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Al Gore, sind Sie noch stolz darauf, Amerikaner zu sein?

Al Gore, sind Sie noch stolz darauf, Amerikaner zu sein?

  • Interview: Jacqueline Krause-Blouin; Fotos: ZFF

Klimakrise, what’s new? So einiges, sagte uns ein vorsichtig optimistischer Al Gore in Zürich, wo er seinen neuen Film «Immer noch eine unbequeme Wahrheit» vorstellte.

«Mein Name ist Al Gore, und ich war einst der nächste Präsident der Vereinigten Staaten» So stellte sich Al Gore, nachdem er im Jahr 2000 nach einem Wahlkrimi gegen George W. Bush verloren hatte, eine Zeit lang vor. «Ich hatte einen detaillierten Plan für mein Leben, aber das Leben hatte einen anderen Plan für mich», sagt der 69-Jährige heute. In der Tat – und dieser Plan ist kein geringerer, als den Planeten zu retten. Das Bekämpfen der Klimakrise wurde zu Al Gores Lebensaufgabe. Nun präsentierte er am «Zurich Film Festival» seinen zweiten Film «Immer noch eine unbequeme Wahrheit». Wir treffen Al Gore in einem Zürcher Nobelhotel. Er trägt einen Anzug – und dazu Cowboystiefel.

annabelle: Mr. Vice President, wünschen Sie sich manchmal, dass es nicht nötig gewesen wäre, eine Fortsetzung Ihres Filmes zu produzieren?
Al Gore: Nun, ich dachte, ein Jahrzehnt nach dem ersten Film wäre es an der Zeit, Bilanz zu ziehen und das Publikum über die Neuigkeiten aufzuklären. Es gibt zwei: Erstens, die klimabezogenen Wetterereignisse sind noch extremer und schlimmer geworden und zweitens – und das ist die gute Nachricht –, wir haben nun die Lösungen bereit. Es wäre schön gewesen, schnellere Fortschritte zu sehen, aber wie der Ökonom Rudi Dornbusch schon sagte: «Die Dinge brauchen länger, als man denkt. Und dann passieren sie viel schneller, als man dachte.» Das beschreibt sehr gut den Wendepunkt, an dem wir uns befinden.

Nicht nur ein politischer, auch ein kultureller Wendepunkt? Al Gore kam ja sogar schon bei den Simpsons vor – ist der Klimadialog endlich im Mainstream angekommen?
Ja, das Bewusstsein in den letzten Jahren ist enorm gestiegen, die extremen Wetterereignisse sind einfach nicht mehr zu ignorieren. Es zeigt sich, dass Mutter Natur viel überzeugender ist, als ich es mit meinen Reden jemals sein könnte. Ich setze grosse Hoffnungen in die jungen Generationen. In ihrem Mindset hat sich einiges geändert. Beispielsweise reicht es ihnen nicht mehr, einen Job mit einem guten Lohn zu haben, sie wollen für Firmen arbeiten, die ihre Werte vertreten. Und eine angemessene Umweltpolitik gehört für viele dazu.

Braucht es zivilen Ungehorsam, um sich in Klimafragen noch mehr Gehör zu verschaffen? Ihre Tochter würde da wohl zustimmen, sie wurde im letzten Jahr verhaftet.
Nun, da sehen Sie, wie sich die Zeiten geändert haben. Früher hätte ein Vater doch nie gesagt, «Ich bin so stolz, dass meine Tochter verhaftet wurde!» (lacht) Aber ich bin wirklich sehr stolz! Sie hat gegen den Bau einer Gas-Pipeline in Pakistan protestiert und wurde dabei festgenommen. Bewusster und gewaltloser ziviler Ungehorsam ist angebracht. Es geht um so viel, da ist Protest ein angemessenes Mittel.

Bill Gates sagte kürzlich, dass wir ein Energiewunder brauchen. Ist es wirklich sinnvoll, auf eine bahnbrechende Erfindung zu warten, oder sollten wir nicht lieber die Technologien, die wir bereits haben, gesetzlich implementieren?
Das Wunder ist bereits geschehen: Die Kosten für erneuerbare Energien, wie etwa Solar- und Windenergie, Batterien, LED, elektrische Autos, sind dramatisch gesunken. Wir brauchen nur noch den politischen Willen, diese Lösungen auch umzusetzen. Doch es ist schwierig, jemandem etwas zu verstehen zu geben, wenn sein Lohn davon abhängt, es nicht zu verstehen. Aber ich glaube ja, dass der politische Wille selbst eine erneuerbare Energie ist. (lacht)

Trotzdem, derzeit werden nur zwei Prozent des US-Forschungsbudgets in Energieforschung gesteckt.
Das ist richtig, und ich stimme zu, dass die USA auf dem Gebiet noch sehr viel Potenzial haben. Neue Durchbrüche? Ich bin absolut dafür! Aber solange die nicht da sind, müssen wir mit dem arbeiten, was wir haben.

Der ökonomische Fortschritt in Entwicklungsländern geht oft mit deutlich erhöhter Umweltverschmutzung einher. Das Klischee: Sobald man zu Geld kommt, kauft man sich ein Auto und isst mehr Fleisch. Die indischen Vertreter gaben Ihnen während den Verhandlungen in Paris zu bedenken, dass jedes Land ein Anrecht auf diese Entwicklung hat.
Das spielt aber keine Rolle, denn die Menschen können die Luft in ihren eigenen Städten nicht mehr atmen. Also müssen sie etwas ändern, alleine schon für sich selbst. Wenn die USA oder die Schweiz vor hundert Jahren die Wahl gehabt hätten, direkt umweltfreundliche Solar- und Windenergie zu nutzen, hätten sie es doch auch getan. Jetzt haben einige Entwicklungsländer die Chance, die Zeit der dreckigen Technologien zu überspringen. Und sie tun es, wie man in unserem Film sieht. Indien hat seit dem Pariser Klimaabkommen 37 Kohlebergwerke geschlossen, sie schliessen Kohlefeueranlagen, sie verbreiten Solar- und Windenergie schneller als jedes andere Land, und vor einigen Wochen liessen sie verlauten, dass in 13 Jahren alle neuen Fahrzeuge elektrisch sein werden.

Sie waren sehr hartnäckig mit den indischen Vertretern am Pariser Klimagipfel. Werden Sie ähnlich hartnäckig mit Donald Trump sein und erneut das Gespräch suchen?
Nun, Sie haben vielleicht gemerkt, dass der Mann ein Spezialfall ist. (lacht) Ich war bereits sehr hartnäckig und habe mehrmals mit ihm gesprochen nach der Wahl und im Vorfeld der Klimakonferenz in Paris. Aber seit seiner Rede, in der er mitgeteilt hat, dass die USA aus dem Pariser Abkommen ausscheiden werden, habe ich nicht mehr mit ihm kommuniziert und ich habe auch keine Pläne, dies erneut zu tun. Vielleicht hat jemand anderes dort Erfolg, wo ich versagt habe. Ich möchte keine Zeit mehr mit dem Präsidenten verschwenden.

Aber Sie sagen doch selbst, dass der Posten des US-Präsidenten der ist, von dem aus man die Welt bewegen kann.
Das ist richtig, darüber mache ich mir auch keine Illusionen. Aber ich weiss nicht, wie ich seine Meinung ändern kann. Ich verstehe seine Denkweise nicht. Ich weiss ja nicht einmal, ob er sich selbst versteht. Das Gute ist, dass der Rest der Welt sich nicht von ihm beeinflussen liess. Ich hatte Angst, dass weitere Nationen aus dem Klimaabkommen aussteigen würden, aber das ist nicht passiert. Es sind sich immer noch alle einig, und viele wichtige US-Unternehmen und einzelne Bundesstaaten werden sich an die Vorgaben halten und sie teilweise sogar übertreffen, egal was Donald Trump sagt. Trump kann uns nicht stoppen. Ich würde nicht sagen, dass er irrelevant ist, aber er hat sich selbst isoliert.

Würden Sie so weit gehen, zu sagen, dass Präsident Trump gut für die Klimakrise ist? Immerhin stösst er einen Dialog an, der vorher so nicht stattgefunden hat.
Nein, das würde ich absolut nicht sagen. Er ist in jeder Hinsicht schlecht. Wir werden in den nächsten Monaten mit grossen Herausforderungen in den USA konfrontiert werden. Wir beobachten das Experiment Trump noch nicht einmal ein Jahr lang. Ich möchte dazu nur Folgendes sagen: In der Medizin und in der Wissenschaft werden manche Experimente aus ethischen Gründen frühzeitig abgebrochen.

Manche Schweizer Politiker führen das Argument an, dass die Schweiz als kleines Land keinen Unterschied bezüglich der globalen Erderwärmung mache. Wie stehen Sie dazu?
Nun, die meisten einzelnen Länder der Welt könnten dieses Statement abgeben. Aber alle Länder zusammengenommen können es eben nicht. Die Schweiz ist ja sogar eine Anführerin in Klimafragen. Und ich bin dankbar für die Schweizer Wähler, die ihre Regierung dazu bewegen, mehr zu unternehmen. Die Schweiz kann und sollte, wie jedes Land, noch mehr tun. Aber meiner Meinung nach bewegt sie sich derzeit in eine sehr positive Richtung.

Sind Sie noch stolz, US-Amerikaner zu sein?
(seufzt, und zum ersten Mal kommt seine Antwort nicht wie aus der Pistole geschossen) Ja. Aber ich schäme mich dafür, dass Donald Trump der Präsident der Vereinigten Staaten ist. Und es tut mir leid. Es tut mir leid, dass er ein solches Verhalten an den Tag legt und damit im Rest der Welt für tiefe Besorgnis und Enttäuschung sorgt. Ich bedauere, dass wir derzeit nicht die moralische Führung bieten können wie zu unseren besten Zeiten. Aber ich bin immer stolz Amerikaner zu sein.

Wie geht das zusammen?
Ich möchte ganz klar festhalten, dass Donald J. Trump nicht die USA ist. Der Tag, an dem das bestätigt werden wird, ist der Tag, an dem der nächste Präsident gewählt wird. Die amerikanische Verfassung und das politische System sind sehr widerstandsfähig. Die Gerichte haben einige von Trumps Vorlagen abgeblockt. Der Kongress hat sich in mancher Hinsicht geweigert, ihm Folge zu leisten. Die Staaten und Städte ergreifen die Initiative. Aber ich bin tief beunruhigt und ich glaube, dass wir in den nächsten Monaten mit einem Chaos rechnen müssen. Die nächsten Jahrzehnte werden entscheidend für unsere Welt werden, weil – egal was wir tun, um die Klimakrise zu lösen – manche Schäden bleiben werden. Es wird ein Test für die Courage und den Charakter der Menschheit. Aber wir können an der Aufgabe wachsen und ändern, was sich ändern muss, und uns an die Dinge anpassen, die nicht mehr zu ändern sind. Die Frage ist nicht, ob wir das schaffen werden. Die Frage ist, wie schnell.

Immer noch eine unbequeme Wahrheit, Regie: Bonnie Cohen und Jon Shenk, ab 12. Oktober im Kino

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Al Gore am Set von «Immer noch eine unbequeme Wahrheit»

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Unsere stellvertretende Chefredaktorin Jacqueline Krause-Blouin mit Al Gore