annabelle-Autorin Brigitte Zaugg hat schon für die 10. AHV-Revision, als das Rentenalter für Frauen erhöht wurde, ein Ja in die Urne gelegt. Jetzt erhält sie ihre erste Rente – und kann über die Argumente gegen eine Angleichung nur den Kopf schütteln.
Wer hätte gedacht, dass ich jemals das gesetzliche Rentenalter erreiche? Ich jedenfalls nicht, in jenen fernen Junitagen, als ich ein Ja in die Urne warf zur 10. AHV-Revision, die unter anderem eine schrittweise Erhöhung des Frauenrentenalters von 62 auf 64 Jahre beinhaltete. Die Vorlage wurde mit 60.7 Prozent Ja-Stimmen deutlich angenommen.
Das war 1995, ich lebte mein Leben in vollen Zügen, im übertragenen Sinn genauso wie im wörtlichen – als Pendlerin zwischen Basel und Zürich, wo die Medienbranche boomte und man sich nicht mal selbst bewerben musste, um zu einer spannenden Redaktorenstelle zu kommen. Ich fand meinen Journalistenjob grossartig, die zwei Jährchen Mehrarbeit schreckten mich also keineswegs.
Und sowieso: Nichts schien mir 1995 weiter entfernt als 2018, das Jahr, in dem ich dieses neue gesetzliche Rentenalter erreichen würde. Ob ich es überhaupt erreichen würde, während ich noch eine feste Anstellung hätte, stand übrigens schon in den Neunzigerjahren in den Sternen. Die Altersdiskriminierung, die heute viele ältere Berufstätige zittern lässt, nahm damals – im Schatten von Neoliberalismus und Deregulierung – diskret Fahrt auf.
Nun erhalte ich also in den nächsten Wochen tatsächlich meine erste AHV-Rente. Unglaublich, wie schnell das gegangen ist! Und kein einziges Mal habe ich in den vergangenen zwei Jahren darüber nachgedacht, was wäre, wenn die Frauen 1995 die AHV-Revision bachab geschickt hätten – wozu sie ja, als Mehrheit unter den Stimmberechtigten, durchaus imstande gewesen wären.
Was sagt mir das? Vor allem eines: Sollte das ordentliche Frauenrentenalter demnächst von 64 auf 65 Jahre erhöht werden, so kräht in einigen Jahren kein Hahn mehr danach. Es wird selbstverständlich sein, dass Frauen und Männer im gleichen Alter in den wohlverdienten Ruhestand treten. Und die Frauen werden darüber hinaus einen stichhaltigen Trumpf mehr im Ärmel haben, um die Lohngleichheit, falls das dann immer noch nötig sein sollte, ein für allemal einzufordern.
Apropos Lohngleichheit: Gerade diese Ungerechtigkeit, so höre ich oft, sei ein schlagendes Argument gegen die Erhöhung des Frauenrentenalters. Tatsächlich? «Man kann nicht eine Ungerechtigkeit gegen die andere aufrechnen», sagte Monika Bütler, Wirtschaftsprofessorin an der Universität St. Gallen, vor vier Jahren in einem annabelle-Interview. Wie recht sie hat! Denn wenn man das täte, so müsste man zum Beispiel auch in Betracht ziehen, dass Frauen eine höhere Lebenserwartung haben als Männer und folglich länger von der AHV profitieren, also genau genommen auch mehr beziehungsweise länger einzahlen müssten.
Aber was wäre das am Ende für ein jämmerliches Solidaritätsprinzip, wenn wir die Sozialwerke nur noch mit Kleinkrämeraugen betrachteten. Solidarischer ist es doch, wenn wir, statt uns dauernd in Genderdiskussionen zu verwickeln, gemeinsam nach Lösungen suchen, die den Minderprivilegierten zugute kommen, egal welchen Geschlechts. Über den eigenen Schatten springen zu können, ist dabei auf allen Seiten ein zunehmend gefragter Soft Skill. Der Generationenvertrag wird nicht zerbrechen, wenn die Frauen ein Jahr länger auf die AHV-Rente warten müssen. Starres Beharren ist da schon eher ein Risikofaktor.
Brigitte Zaugg verjubelt demnächst ihre erste AHV-Rente, hat aber auch danach nichts gegen den einen oder anderen Einsatz als Freelancerin bei annabelle