Wie schaffen wir es, Fleisch so zu produzieren, dass es für Tiere und Umwelt möglichst verträglich ist? Und wie kann ich das als Konsumentin beeinflussen? In diesem Artikel geben wir Antworten auf die drängendsten Fragen.
1. Wie viel Fleisch essen wir eigentlich?
Etwa zehn Hamburger pro Woche. Oder zehn Würste, sechs Packungen Hinterschinken oder sechs Pouletbrüstchen. Insgesamt jedenfalls ziemlich genau ein Kilogramm Fleisch. Eingerechnet sind alle Einwohner, vom Baby bis zur Greisin. Ebenso Vegetarierinnen und Veganer, die gemäss einer Umfrage von Swissveg derzeit rund fünf Prozent ausmachen. Und jener Viertel der Bevölkerung, der sich als Flexitarier bezeichnet und nur gelegentlich Fleisch isst. Am liebsten essen wir dabei ganze oder halbe Poulets. Es folgen auf der Beliebtheitsskala in dieser Reihenfolge: Rindshackfleisch, Pouletbrust, Pouletschenkel, Pouletschnitzel, Schweinsspeck, Cervelat und Hinterschinken. Das besagen Zahlen von Proviande von 2019 aus dem Detailhandel, wo allerdings nur die Hälfte des zu verspeisenden Fleisches bezogen wird. Die andere Hälfte kommt in der Gastronomie auf den Teller. Die Schweiz reiht sich mit ihrem jährlichen Fleischkonsum weltweit betrachtet etwa im Mittelfeld ein. Die Spanne reicht von 2.6 Kilogramm Fleisch pro Jahr in Indien bis zu 110 Kilogramm in Hongkong. Das zeigt eine Erhebung der Welternährungsorganisation FAO, die allerdings bereits 2013 erstellt wurde, aktuellere Zahlen sind nicht verfügbar.
2. Ich möchte Fleisch von Tieren essen, die ein glückliches Leben hatten. Doch wie lässt sich das überhaupt definieren?
«Fünf Freiheiten» hiess das erste Konzept, mit dem das Wohlbefinden von Tieren in menschlicher Obhut ab 1990 bewertet wurde. Der Schwerpunkt lag darauf, negative Erfahrungen für Tiere wie Hunger, Durst, Angst oder Schmerz zu vermeiden. Inzwischen weiss man laut der Tierschutzorganisation Vier Pfoten jedoch, dass Nutztiere auch positive Erfahrungen machen können. Sie empfinden beispielsweise Genuss beim Essen und schliessen Freundschaften, was ihre Lebensqualität erhöht. Deshalb stellt heute das Modell der «Fünf Bereiche», das auch mentale Erfahrungen – seien sie negativ oder positiv – einbezieht, das internationale Instrument zur systematischen und umfassenden Bewertung des Tierwohls dar. Yasmine Wenk von Vier Pfoten sagt: «Negative Erfahrungen müssen so gering wie möglich gehalten und den Tieren auch positive Erlebnisse ermöglicht werden – mit dem Ziel, eine unter dem Strich positive Lebensqualität zu erreichen.»
Daraus leiten sich für Vier Pfoten folgende Forderungen ab:
-Physisches und mentales Wohlergehen muss die Regel sein. Schmerz und Leid sollen vermieden werden.
-Haltungsbedingungen und Fütterung sollen sich nach den Bedürfnissen der Tiere richten.
-Für Transport und Schlachtung müssen Vorgaben gelten, die einen fachgerechten und würdigen Umgang mit den Tieren bis zum Tod sicherstellen.
3. Kann Töten je moralisch korrekt sein?
Es gibt verschiedene Auffassungen in der Tierethik. Die einen gehen davon aus, dass moralische Prinzipien nur auf Menschen angewendet werden können und wir folglich nur auf Menschen Rücksicht nehmen müssen. Andere sind der Überzeugung, dass die Leidensfähigkeit der Lebewesen das zentrale Kriterium darstellen muss. Wieder andere, dass jedes Leben an sich einen Eigenwert besitzt, der moralisch zu berücksichtigen ist. Solange Fleisch gegessen wird, wird es Nutztiere geben, die geschlachtet werden. Darum – dahingehend verstehen auch die befragten Tierschutzorganisationen ihre Aufgabe – muss sichergestellt werden, dass die Tiere bestmöglich gelebt haben und am Ende so schonend wie möglich sterben.
4. Was soll das heissen: Schonend sterben?
Ohne Angst und Schmerzen. Vier Pfoten sieht diese Voraussetzung in der Hof- und Weidetötung am besten erfüllt, bei deren Ausarbeitung die Tierschutzorganisation auch selber involviert war. Seit Juli ist diese Art der Tötung in der Schweiz unter strengen Auf lagen erlaubt. Der zentrale Punkt: Es ist kein Transport nötig, womit Stress und Panik erspart werden. Die Rinder werden innerhalb ihres gewohnten Umfelds betäubt und getötet. Entweder im Heimatstall, im Fressgitter fixiert, durch einen Bolzenschuss ins Hirn. Oder auf der Weide, inmitten ihrer Herde, wo sie von einem speziell ausgebildeten Landwirt erschossen werden. Ein anwesender Metzger transportiert das getötete Rind anschliessend in die Metzgerei oder auf den Schlachthof.
5. Wie läuft denn eine Schlachtung auf dem Schlachthof ab?
Milena Burri vom Schweizer Tierschutz kontrollierte im Rahmen ihrer Tätigkeit schon Dutzende Schlachthöfe. Sie sagt: «Für das Stresslevel der Tiere sind schon der Aufenthalt im Wartebereich und auch der spätere Weg zur Betäubungsanlage entscheidend. Je nachdem, wie der Schlachtbetrieb eingerichtet ist und wie das Personal mit den Tieren umgeht, gelangen sie relativ ruhig oder aber in Angst und Schrecken dorthin. Rinder werden durch einen Treibgang geschleust, an dessen Ende sie mit einem Bolzenschussgerät betäubt werden. Der gegen die Stirn geschossene Bolzen löst mit seiner Druckwelle eine Gehirnerschütterung und damit die Betäubung aus. Wenn alles korrekt gemacht wird, ist das eine sichere Methode. Trifft der Betäuber aber nicht richtig, ist das Gerät schlecht gewartet oder nicht genügend stark, wird das Tier nicht vollständig betäubt – was bedeutet, dass es mitbekommen kann, wie seine Kehle mit einem Messer aufgeschnitten wird, um es auszubluten. Erst durchs Ausbluten setzt der Tod ein. Grössere Betriebe schlachten so 70 Rinder pro Stunde. Schweine und Geflügel werden mit Strom oder CO2-Gas betäubt. CO2 steht in der Kritik, weil das Gas während mehrerer Sekunden zu Atemnot führen und damit Angst auslösen kann. Pluspunkte bei modernen CO2-Betäubungsanlagen sind aber der sehr ruhige Zutrieb und die in der Regel gute Betäubung. Die Elektrobetäubung wird bei Schweinen über eine Zange vorgenommen, die von oben an den Kopf gelegt wird. Sie kippen zur Seite, werden manchmal im Liegen ausgeblutet, manchmal auch aufgehängt. Schweine können auch mit dem sogenannten Vollautomaten geschlachtet werden: Sie werden auf ein Förderband geführt, das sie der Länge nach auf hebt und zur Zange fährt. So werden 100 bis 200 Tiere pro Stunde verarbeitet. Geflügel wird an den Füssen aufgehängt und kopfvoran durch ein unter Strom stehendes Wasserbad gezogen. Ist das Wasserbad nicht korrekt eingestellt, kanns sein, dass nicht alle Tiere richtig betäubt werden. Ein kleinerer Betrieb tötet so vielleicht 1000 Poulets pro Tag. Der grösste Schlachthof in der Schweiz 10000 pro Stunde. Nach dem Ausbluten wird die Haut abgezogen, werden die Federn ausgerupft und die Tiere Stück für Stück ausgebeint.» Weiter hält Milena Burri fest: «Um den Tieren im Schlachthof grosses Leid zu ersparen, braucht es gut eingerichtete Betriebe, geschultes Personal, einwandfreie Betäubungsgeräte und regelmässige unabhängige Kontrollen.»
6. Wie wird heute sichergestellt, dass die Vorgaben fürs Schlachten eingehalten werden?
Durch amtliche Kontrollen. Die letzte zeichnet jedoch kein rosiges Bild. Sie wurde in 70 der 500 Schlachtbetriebe in der Schweiz durchgeführt und zeigte, dass in vielen die gesetzlichen Tierschutzvorschriften ungenügend befolgt werden. Mängel stellte man bei der Unterbringung über Nacht fest, es fehlten tiergerechte Tränken – oder Wasser gleich ganz. Fast nie erhielten die Tiere Futter, Einstreu und Beschäftigungsmaterial. In vielen Betrieben unzureichend sind gemäss dem im Januar veröffentlichten Bericht auch die Betäubung und das Entbluten. Bei Schweinen kam es vor, dass die Stromleistung des Elektrobetäubungsgerätes nicht ausreichend war oder die Zange nicht korrekt angesetzt wurde. Bei den Rindern verstrich bisweilen zwischen Betäubung und Ausbluten zu viel Zeit. Diese Mängel führen dazu, dass nicht sichergestellt werden kann, dass die Tiere im Schlachthof so betäubt waren, dass sie am Ende ihres Lebens keine Schmerzen, keine Angst oder gar Panik erlebt haben. Der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch hat deswegen jüngst in einer Motion die Videoüberwachung von Schlachthöfen gefordert, insbesondere in den Bereichen der Betäubung und Entblutung. Sie wurde diesen Frühling abgewiesen. Eine Motion der grünen Nationalrätin Meret Schneider, die unabhängige Kontrollen in Schlachtbetrieben verlangt, ist noch hängig.
7. Dass Fleisch für die Umwelt problematisch ist, weiss ich. Aber ist es tatsächlich so schlimm?
Gemäss Welternährungsorganisation sind Wiederkäuer für 18 Prozent des gesamten weltweiten Treibhausgasausstosses verantwortlich. Untersuchungen des unabhängigen US-Forschungsinstitutes Worldwatch Institute rechnen sogar mit bis zu 51 Prozent. So oder so: Der globale Nutztiersektor verpestet das Klima damit stärker als der gesamte weltweite Verkehr. Also ja, Fleisch ist tatsächlich relativ schlimm fürs Klima. Schuld ist vor allem das Methan, das die Rinder rülpsen und pupsen. Auch Lachgas wird im Zuge der Fleischherstellung in grossen Mengen frei. Es entsteht dann, wenn Gülle draussen gelagert und später als Dünger auf die Felder ausgebracht wird. Lachgas ist für die Erderwärmung fast 300-mal so wirksam wie CO2. Tiere der konventionellen Landwirtschaft werden teilweise mit viel Kraftfutter gefüttert. Es besteht zu grossen Teilen aus Mais, Getreiden und Hülsenfrüchten wie Soja. 86 Prozent der eingesetzten Futtermittel werden hierzulande produziert. Der Rest wird importiert. 800 Kilogramm Soja sind es täglich. Meist stammt es aus Brasilien, wo es in vielen Fällen auf gerodetem Regenwaldboden unter hohem Pestizid- und Düngereinsatz (wodurch wiederum viel Lachgas freigesetzt wurde) wuchs.70 Prozent der weltweiten Äcker und Wiesen gehen zudem für die Viehhaltung drauf. Insbesondere für den Futteranbau. Auf dieser Fläche könnte weit mehr Nahrung für Menschen angebaut werden als heute. Um eine Rindfleisch-Kalorie zu erhalten, sind nämlich sieben pflanzliche Futterkalorien nötig. Bei Schweinefleisch, Poulet, Milch und Eiern liegt das Verhältnis ungefähr bei 1:5. Man spricht dabei von Nahrungsmittelkonkurrenz. Laut Greenpeace könnte das Doppelte der heutigen Weltbevölkerung ernährt werden, wenn die globale Getreide-Ernte nicht zu einem Drittel als Viehfutter benutzt würde. Heute hungern 800 Millionen Menschen. Zwei Milliarden sind mangelernährt.
8. Wie nachhaltig sind all die Fleischalternativen, die in letzter Zeit die Kühlregale schwemmen?
Impossible Foods und Beyond Meat, beide in Kalifornien ansässig, sind derzeit die grössten Fleischersatzfirmen weltweit. Der bekannteste Schweizer Player ist Planted. Das ETH-Start-up verkauft sein Erbsenproteinersatzfleisch inzwischen in 600 Coop-Filialen und an Restaurants. Eine Studie des Schaffhauser Nachhaltigkeitsunternehmens ESU-Services bestätigt, dass bei einem Umstieg auf Fleischersatzprodukte grosses Einsparpotenzial besteht. Die darin untersuchten Produkte Beyond Burger, Planted Chicken, Vivera-Fish-sticks und Délicorn-Cervelats verursachen weit weniger Umweltbelastung pro Kilogramm wie auch pro Gramm Protein als ihre konventionell produzierten Fleischgegenstücke. Am schlechtesten und damit nur ein bisschen weniger umweltbelastend als das Original ist jedoch der Délicorn-Cervelat. Weil er neben Weizenprotein auch Ei enthält, das als tierisches Produkt wiederum grössere Umweltbelastung verursacht.
9. Habe ich als Konsumentin überhaupt Einfluss darauf, wie Fleisch hergestellt wird?
Konsumentenschutz, Tierschutz und Proviande sagen: Ja, sogar einen verhältnismässig grossen. Bei Proviande heisst es: «Die Konsumenten haben direkten Einfluss darauf, welche Tierhaltung gefördert wird. Sie entscheiden mit ihrem Kaufverhalten, wie Fleisch produziert wird und damit auch, wie es den Tieren geht.» Der Branchenverband hält klar fest: «Maximales Tierwohl und minimale Preise passen nicht zusammen.» Josianne Walpen vom Konsumentenschutz sagt: «Durch unsere Ernährung verursachen wir 28 Prozent der Umweltbelastung. Mit wenigen, aber einfachen Faustregeln kann man sie wirksam senken.» Dazu gehöre insbesondere ein reduzierter, bewusster Fleischkonsum.
10. Also, was tun?
Achten Sie darauf, wie das Fleisch produziert wurde, das Sie kaufen. Und nehmen Sie in Kauf, das Sie dafür mehr bezahlen müssen. Wenn Sie möglicherweise überhöhte Margen von Detailhändlern umgehen wollen, kaufen Sie das Fleisch direkt beim (Bio-)Bauern. Dort können Sie sich auch darüber informieren, wie die Tiere gelebt haben, gefüttert und geschlachtet worden sind. Achten Sie auf das Label KAG-Freiland. Es basiert auf den Richtlinien von Bio Suisse, geht bei der Tierhaltung aber darüber hinaus und erfüllt damit in der Schweiz die höchsten Tierwohlkriterien. Beispielsweise bei der Stall- oder Herdengrösse. Daneben gibt es zahlreiche weitere Labels, die sich intensiv um hohe Tierwohlstandards und Nachhaltigkeit bemühen. Ein umfassender Tierwohl-Überblick über alle Labels und Unterlabels hat der Schweizer Tierschutz auf der Seite essenmitherz.ch zusammengestellt. Ein Führer zu Bio-Labels gibt es gratis im Onlineshop beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL). Und es ist nicht populär, das zu sagen, aber: Verzichten Sie öfter. Besonders wenn Sie auswärts essen – weil sie dort eher Importfleisch und solches ohne Label vorgesetzt bekommen. Der Uno-Report «Creating a Sustainable Food Future» berechnet die Mengen, um einen nachhaltigen Weg in die Zukunft zu finden, folgendermassen: Europa und Nordamerika halbieren ihren Fleischkonsum, Brasilien reduziert ihn um 75 Prozent. Für die Schweiz würde das bedeuten: 500 Gramm statt 1 Kilogramm pro Woche. Fünf Burgerpatties statt zehn. Das ist übrigens immer noch mehr, als die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt: nämlich wöchentlich etwa 200 bis 350 Gramm.