Leben
«Über so viel Dummheit kann ich nur fassungslos den Kopf schütteln»
- Text: Kerstin Hasse; Foto: Getty Images
Es hagelte Schimpf und Häme als die deutsche Moderatorin Claudia Neumann als erste Frau an einer Männer-EM zwei Spiele kommentierte. Wir haben bei SRF nachgefragt, ob wir in der Schweiz bald mit einer Kommentatorin rechnen dürfen.
Bevor die Europameisterschaft in Frankreich begonnen hatte, bevor Claudia Neumann zum ersten Mal zum Mikrofon griff, ahnte sie, dass ihr Einsatz als erste Kommentatorin bei einer Männer-EM für Tumult sorgen könnte. «Natürlich wird die Mission nicht ganz ohne Widerstand ablaufen, aber bei mir überwiegt die pure Lust auf diesen Job», erklärte sie vor dem Turnier gegenüber der «Sonntagszeitung». Die EM startete, Neumann kommentierte am zweiten Spieltag Wales gegen die Slowakei und eine knappe Woche später Italien gegen Schweden. Der Widerstand kam mit voller Wucht. «Weiber sollten Weiberfussball kommentieren und Männerfussball den Männern überlassen, liebe Frau Claudia Neumann», erklärte ein User über Twitter. Er gehörte mit seiner Bemerkung zu den netteren Zeitgenossen. «Frauen sollen Kinder gebären und bitte nicht ein Fussballspiel kommentieren», erklärte ein anderer Zuschauer auf Twitter, während ein anderer User folgenden Satz auf Facebook postete: «Wie kann man nur diese Frau kommentieren lassen, das ZDF merkt es einfach nicht, die wollen cool sein und unsere Kritik ignorieren, diese Schlampe braucht einfach einen Pimmel».
Solche Kommentare schockieren. Das ZDF reagierte, löschte die Kommentare auf seiner Facebook-Seite, und vor allem ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz zeigte sich in der Öffentlichkeit betroffen. Er habe damit gerechnet, dass es Kritik geben würde, erklärte er gegenüber dem Sport-Informations-Dienst, aber dennoch sei er erschüttert von der «asozialen Kritik in den sozialen Netzwerken». Neumann werde zukünftig wieder live Männerfussball kommentieren. Darüber «wird es keine Diskussion geben», so Gruschwitz weiter.
Auch bei SRF hat man die Diskussion um Neumann mitverfolgt. Wie Susan Schwaller, Bereichsleiterin Live, gegenüber annabelle erklärt, ist sie enttäuscht über die Heftigkeit der Kommentare aus Deutschland. «Dass so etwas immer noch passiert, gibt mir zu denken. Die Kommentare sind absolut unter der Gürtellinie.» Sie könne sich gut erinnern, wie sie damals, als sie vor über zehn Jahren in die Sportabteilung wechselte, von Bekannten gefragt wurde, weshalb sie sich in diese «Männerwelt» begebe. «Es gibt anscheinend noch immer viele Leute, die denken, dass sich Frauen weniger für Sport und mehr für ihre Fingernägel interessieren. Das ist doch ein total veraltetes Frauenbild.»
Dennoch, an der EM in Frankreich kommentieren, moderieren und analysieren für SRF fast ausnahmslos Männer das Fussballgeschehen. Auf Radio SRF 3 ist Kathrin Lehmann als Expertin und Kommentatorin zu hören, aber im TV sind nur Männer im Einsatz. Als einzige Journalistin vor der Kamera ist Florence Fischer unterwegs, sie soll laut SRF für den «anderen Blick auf die EM» sorgen. Wie Schwaller erklärt, liegt die mangelnde weibliche Besetzung nicht an der Einstellung von SRF. «Der Wille, mehr Frauen in die Berichterstattung einzubauen, ist da, wir sind sehr offen. Und bei SRF Sport gibt es ja bereits Frauen, die Sportarten kommentieren. Sobald eine Position frei wird, prüfen wir, wer dafür infrage kommt, egal ob Frau oder Mann.» Es sei allgemein schwieriger, Frauen zu finden, die sich exponieren wollen, da Frauen in der Sportberichterstattung noch immer in der Minderheit sind. «In jeder Sportart sind wir laufend daran, die Szene zu scannen und zu prüfen, wer interessant wäre für den Zuschauenden, wer den Sport vermitteln kann.» Dass zurzeit im EM-Studio keine Journalistin neben Matthias Hüppi sitzt und keine Kommentarin die Spiele begleitet, scheint also am fehlenden Angebot zu liegen. «So eine Neubesetzung ist zudem ein Prozess, das muss natürlich geschehen.» Man wolle keine Frau verheizen – gerade wenn man sehe, wie brutal die Reaktion im Netz sein könne. «Man muss als Frau vorbereitet sein sich zu exponieren.»
Steffi Buchli, Sportjournalistin bei SRF, weiss, was es heisst, in der Öffentlichkeit zu stehen – und böse Kommentare vom Publikum zu ernten. Vor einigen Wochen musste sie sich dafür rechtfertigen, dass sie nach knapp vier Monaten Mutterschaftsurlaub wieder auf den Bildschirm zurückkehrte. Wieso aber steht Buchli, die sich bereits in der Berichterstattung zu Eishockey durchsetzte, in Frankreich nicht vor der Kamera? Wie Schwaller erklärt, hätte ein Einsatz Buchlis nur schon aus zeitlichen Gründen nicht geklappt: «Steffi Buchli ist eine unserer Hauptmoderatorinnen bei den Olympischen Spielen, wir müssen die Grossanlässe in unserem Team aufteilen.» Das habe aber nichts mit dem Geschlecht zu tun. Ausserdem betont sie: «Was dieses Jahr gilt, ist für die nächsten Meisterschaften nicht in Stein gemeisselt.»
Die deutsche Sportjounalistin Claudia Neumann zeigte sich gegenüber annabelle indes abgeklärt. Im Kurzinterview scheint es fast so, als sei sie die Rolle der Vorreiterin ein wenig leid.
annabelle.ch: Wie haben Sie auf die teilweise sehr negativen Kommentare zu Ihren Einsätzen als Kommentatorin reagiert?
Claudia Neumann: Tatsächlich mit viel Gelassenheit.
Verletzen Sie diese bösartigen Kommentare, oder können Sie fast schon darüber lachen?
Über so viel Dummheit will ich gar nicht lachen, nur fassungslos und mitleidig den Kopf schütteln.
Haben Sie mit solch krassen Reaktionen gerechnet?
Über die genaue Art der negativen Reaktionen hatte ich mir erlaubt, mir keine Gedanken zu machen.
In einem Tweet heisst es etwa: «Eine Frau kommentiert das Spiel im ZDF? Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich ausserhalb der Küche aufzuhalten?» Woran liegt es, dass in Fussballkreisen noch immer so alte Klischees zementiert und zelebriert werden?
Woran genau das liegt, weiss ich nicht. Da müsste man wohl eher Gesellschaftswissenschafter fragen.
Dass Sexismus zum Fussball gehört, merkt man auch in der Berichterstattung darüber. Die Kamera schwenkt auf Frauen in knappen Oberteilen und in Zeitungen werden Fussballgattinnen in Trikot-Bikinis abgebildet. Es scheint manchmal, dass man diesen Sexismus als Frau einfach hinnehmen muss, wenn man den Sport weiter verfolgen will. Wie gehen Sie damit um?
Gar nicht. Diese Medaille hat ganz sicher zwei Seiten, schliesslich gibt es viele Frauen, die sich genau für diese Bilder auch «zur Verfügung» stellen. Auch Spielerfrauen gehen ja mitunter ins Stadion, «um gesehen zu werden». Daran kann ich aber nichts Verwerfliches finden, nur gibt es eben auch Frauen, die sich anders definieren.
1.
Die sexistischen Kommentare in den sozialen Medien häuften sich nach Neumanns Einsatz in Frankreich.