Südstaaten-Rap: Yelawolf überträgt die Energie des Rock'n'Roll auf den Hip-Hop. annabelle hat den 31-jährigen Rapper aus Alabama getroffen.
Der weisse Südstaaten-Rapper Yelawolf gibt dem Hip-Hop den Rock’n’Roll zurück.
Schwarzes Metal-Shirt, unzählige Tattoos, stechender Blick: Michael Wayne Atha gibt sich alle Mühe, bedrohlich zu wirken. Muss man als angehender Hip-Hop-Star mit Künstlernamen Yelawolf wohl auch. Seit ihn der grosse Eminem bei seinem Label Shady Records unter Vertrag genommen hat, geht es mit der Karriere des 31-jährigen Rappers aus Alabama steil bergauf. Blogs und Internetforen sind des Lobes voll, sein punkiges Antlitz ziert Fach- und Trendmagazine. Nur die grossen amerikanischen Radio- und TV-Stationen zögern noch. Kein Wunder. In seinen billig produzierten Videos lässt Yelawolf die Dinge gern ins Absurde kippen oder kaspert mit der Kamera herum. Ganz anders als die Hochglanz-Clips von Jay-Z und Konsorte. Wer ist der weisse Südstaaten-Hipster mit Punkfriise und Skateboard-Vergangenheit? Der talentierte Eigenbrötler mit Quäkstimme, der gern bunte Socken trägt und trotzdem so bleich und grimmig dreinblicken kann, wie es sich für einen Rapper gehört? Ist das nun noch Hip-Hop – oder schon fast wieder Rock’n’Roll?
“Ich hoffe, man buht mich von der Bühne, sollte ich eines Tages träge werden”
Im Interview gibt sich der Wolf aufgekratzt und handzahm. Er lacht und blödelt und behauptet frech, seine neue Platte sei knallhart durchkalkuliert: Ein Lied klinge wie Flo Rida, eins wie Akon, ein anderes wie T-Pain. Aber am besten, scherzt er, sei ihm die Imitation von Justin Bieber gelungen. Seine flinke Zunge schnitt schon in den im Internet zirkulierenden Appetithäppchen unreife Themen an. Der Song «Daddy’s Lambo» etwa handelt davon, wie er die Tochter eines Hollywoodbonzen davon überzeugt, ihm die Schlüssel zum Sportwagen ihres Vaters auszuhändigen. Ein anderer von den Freuden des gepflegten morgendlichen Bierrauschs. Natürlich ist das lustvolles Geprahle. Doch Michael Wayne Atha kramt auch in der eigenen Biografie. Etwa, wenn er mit seiner Ex abrechnet, einem «College Kid» durchgebrannt ist. Oder wenn er die Wirkung des Marihuanas beschreibt, das die wechselnden Lebensgefährten seiner Mutter, die ihn mit 15 zur Welt brachte, hinter dem Haus angepflanzt hatten. Immer dann, wenns persönlich wird, gehts auch musikalisch zur Sache: rockig, aggressiv, blitzschnell, die Wortfolgen immer wieder anders rhythmisierend. «Ich versuche die Energie des Rock’n’Roll auf den Hip-Hop zu übertragen», sagt Yelawolf. Schliesslich sei er mit Rockmusik aufgewachsen. Er nerve sich, wie wenig sich die heutigen Rap-Stars um eine gute Liveshow bemühten. «Ich hoffe, man buht mich von der Bühne, sollte ich eines Tages träge werden. Mein Publikum soll mitgehen, meine Musik fühlen können, wie bei einem guten Rockkonzert.»
Um das zu erreichen, zieht er sich vor seinen Auftritten Livemitschnitte von Bands wie The Who, Primus, Red Hot Chili Peppers oder AC/DC rein. Und es nützt: Sein Konzert am diesjährigen Openair Frauenfeld gehörte zum Besten, was das Genre seit langem zu bieten hat. In perfekter Abstimmung mit seinem DJ baute Atha fleissig Brücken zwischen Hip-Hop und Rock, zwischen Massage-Bass und Stromgitarre, zwischen ihm und dem ahnungslosen Publikum, das höchstens zwei, drei seiner Stücke kannte. Seinen Mentor Eminem, der ein Jahr zuvor für horrendes Geld auf der gleichen Bühne stand und mehrheitlich Playback rappte, hätte der hyperkonzentrierte Yelawolf mit seiner Performance glatt an die Wand geklatscht.
Selbst wenn er ihn nicht zu scheuen braucht, beim Vergleich mit Eminem verdreht Michael Wayne Atha dennoch die Augen: «Das höre ich die ganze Zeit. Sogar Eminem selbst hat mich davor gewarnt.» Doch damit müsse er nun mal leben. Genau wie mit Sticheleien wie «Little Redneck», «Cracker» oder «White Trash». «Fuck it! Irgendeinen Übernamen verpassen sie einem immer.»
“Ich komme aus dem Süden, aus einem Kaff namens Gadsden. Das ist nicht Detroit”
Kürzlich ging ein Reporter dann aber doch zu weit. Er fragte Atha, ob er eine Liste der besten weissen Rapper erstellen könne. «Was ist denn das für eine saublöde Frage?», ereifert er sich. «Ich frag dich ja auch nicht, wie viele schwarze Freunde du hast! Ich mache diese Unterscheidung nicht.» Als Haupteinfluss nennt er stattdessen Outkast aus Atlanta, deren Mitglieder Big Boi und André 3000 mit Songs wie «Hey Ya», «Ms. Jackson» oder «Rosa Parks» lustvoll die Grenzen des Genres überschritten. Und so wie André 3000, so möchte auch Atha rappen. Die Beweglichkeit und das Melodiegefühl sind schon da. Der Rest, die genialen, oft doppeldeutigen Zeilen, in denen genauste Beobachtungen stecken, mal schlüpfrig, mal witzig, aber nie plump, daran muss Yelawolf noch feilen. Sieht er denn wirklich keine Parallelen zwischen Eminem und sich? «Wir haben einen ähnlichen Background, haben phasenweise das Gleiche durchgemacht», sagt Atha und meint damit das Aufwachsen in einer Wohnwagensiedlung, die prekären Finanzen, die unklaren Familienverhältnisse, geprägt von Drogenmissbrauch und Alkohol. «Aber ich komme vom Land, aus dem Süden, aus einem Kaff namens Gadsden. Das ist nicht Detroit. Meine Musik klingt ganz anders als seine.»
Basslastig nämlich, geprägt von den tiefen, agilen Tönen eines alten Drumcomputers und den schnellen, gedehnten Silben des Südstaatendialekts. Sound, der wie gemacht ist fürs Auto, für die Strasse, für eine wippende Karosserie. «Hier sind alle ganz verrückt nach Autos. Auch ich. Allerdings schalte ich das Radio meistens gar nicht ein. Ich geniesse die Ruhe.» Die Ruhe? Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Denn der wird kommen, ganz bestimmt.
«Radioactive» (Universal) von Yelawolf erscheint am 22. 10.; die Single «Hard White (Up in the Club) (feat. Lil Jon)» ist schon jetzt als Download erhältlich