Millionen von Zuschauer:innen, Kitsch, Kontroversen, Romantik und Gossip – die neue Netflix-Serie «Bridgerton» ist in aller Munde. Was am Hype um die Serie dran ist und ob es sich wirklich lohnt, reinzuschauen, lest ihr hier.
Normalerweise sind Kostümfilme nicht wirklich mein Ding. Zu versteift, zu aufgesetzt, zu sehr aus einer anderen Zeit. Also ignorierte ich den «Bridgerton»-Teaser zuoberst auf meiner Netflix-Startseite tagelang – bis die Dauerpräsenz Wirkung zeigte und meine Neugier doch überwog. Und ich wurde regelrecht reingesogen. So wie mir geht es wohl noch anderen: Unglaubliche 63 Millionen Mal wurde die Serie laut Netflix seit ihrer Erscheinung im Dezember geschaut, in 76 Ländern erreichte «Bridgerton» die Nummer eins der Netflix-Top-10.
Darum gehts im Drama: «Bridgerton» handelt davon, wie die jungen Damen des Hochadels zur Ballsaison in London im Jahr 1813 von ihren Müttern verheiratet werden sollen. Im Fokus steht Daphne Bridgerton (Phoebe Dynevor), die älteste Tochter der wohlhabenden Bridgerton-Familie. Gebuhlt wird um die Gunst der Königin, der begehrtesten Junggesellen (allen voran der smarte Duke of Hastings, gespielt von Regé-Jean Page) und nicht zuletzt von Lady Whistledown. Letztere dokumentiert im Stil von «Gossip Girl» das rege Treiben der Heiratswilligen und mischt die Heiratssaison damit gehörig auf. Gesprochen wird die mysteriöse Klatsch-Reporterin übrigens von Hollywood-Ikone Julie Andrews.
Daphne geht mit dem Duke of Hastings einen Deal ein: Sie wollen die Verliebten spielen, damit sie sich die interessantesten Verehrer sichern und er sich aufdringliche Mütter vom Hals halten kann. Und so beginnt sie, die Geschichte um Wohlstand und Status, Romanzen und wahre Liebe, List und Betrug.
Die Welt so schreiben, wie sie ist
Produziert wurde die Serie von Shonda Rhimes, ihres Zeichens verantwortlich für Serien-Knaller wie «Grey’s Anatomy», «Scandal» und «How To Get away with Murder». Allesamt Serien mit starken Frauenrollen, die unbeirrt ihren Weg gehen und das Publikum fesseln. Rhimes ist zudem bekannt dafür, ganz unverkrampft mit gesellschaftlichen Konventionen zu brechen. So auch in «Bridgerton»: ein inklusiver Cast, der zwar klassische Rollen spielt, die gleichzeitig aber vielschichtig sind und Tiefgang haben. Und es geht nicht nur um Liebe und Romanzen, sondern auch um die Stellung der Frau in der (damaligen) Gesellschaft, um wahre Freundschaft und Familienbande.
Die Diversität der Darsteller sorgt für Diskussionen. Anders als in früheren Kostümfilmen gibt es nicht nur weisse Darsteller:innen: Sowohl die Queen und der Duke of Hastings als auch Mitglieder des Hofstaats und der High Society sind People of Color. Und dies ganz selbstverständlich. Dafür erhielt die Show viel Lob, jedoch auch Kritik. Sogenanntes Colorblind Casting, deutsch: farbenblindes Casting, ändere nichts an der Tatsache, dass Historienfilme meist von weisser Kulturgeschichte handeln, bemängeln Kritiker. Shonda Rhimes will für ihre Shows aber die Hautfarben der Charaktere nicht im Voraus festlegen, sondern ganz einfach die:der beste Schauspieler:in für eine Rolle casten. Wie sie in ihrem Buch «Year of Yes» schreibt, ahme sie mit ihrer jeweils inklusiven Besetzung, auch betreffend sexueller Orientierungen, schlicht das wahre Leben nach: «Es ist nicht bahnbrechend, die Welt so zu schreiben, wie sie tatsächlich ist.»
Ein optisches Spektakel
Die Show nimmt uns mit auf eine Zeitreise, zweihundert Jahre zurück in die Regency-Ära – jedoch mit einem modernen Twist. Was für ein optisches Spektakel!
Die Kostümdesignerin Ellen Mirojnick verwendete dafür historische Elemente wie Empiresilhouetten und Seidenhandschuhe, setzt aber noch gehörig einen drauf: laute Farben, grossartige Perücken (die Queen, ein Traum), viel Bling und beeindruckende Roben. Allein für die Hauptdarstellerin Daphne Bridgerton wurden 104 Kostüme kreiert – insgesamt seien über einen Zeitraum von fünf Monaten rund 7500 Einzelstücke gefertigt worden.
Und wenn wir schon von optischen Reizen sprechen: In der High Society gibt es ein paar sehr attraktive Damen und Herren, die jedoch nicht nur durch gutes Aussehen anziehen, sondern auch dadurch, dass sie allesamt vielschichtige Charaktere sind, die man im Laufe der Serie immer besser kennenlernt.
Allen voran hat der Duke of Hastings in den wenigen Wochen seit Erscheinen der Show bereits eine beträchtliche Fan-Base generiert. Der Darsteller Regé-Jean Page hat mittlerweile 1.5 Millionen Instagram-Follower. Und Twitter geht gerade durch die Decke mit Thirst Tweets über den Duke.
Und während bei früheren Kostümfilmen Intimität meist eher angedeutet wurde, schwenkt bei «Bridgerton» die Kamera nicht ab, sondern hält drauf. Es gibt ziemlich viel Sex. Und die Fangemeinde ist ziemlich aus dem Häuschen darüber. Man merkt den expliziten Szenen an, dass sich die Schauspieler:innen beim Dreh – wohl nicht zuletzt dank dem eigens engagierten Intimacy Coach am Set – wohlfühlten. Die Chemie stimmt auf jeden Fall.
Die Serie gibt zu reden
Und doch gibt eine kontroverse Szene besonders zu reden (Spoiler- und Triggerwarnung): In der sechsten Folge sieht man Daphne und den Duke of Hastings in ihren Flitterwochen – hauptsächlich nackt. Da Daphne während der Folge herausfindet, wie Kinder gezeugt werden – Aufklärung war damals noch kein Thema –, findet sie auch heraus, dass der Duke zwar Kinder haben könnte, jedoch keine haben will. Danach zwingt sie ihn, in ihr zu ejakulieren, obwohl sie klar wusste, dass er dies nicht will und er sie eindeutig auffordert, zu warten. Sehr schade, da alle anderen Sex-Szenen betont einvernehmlich sind, hier aber nicht einmal nur von fehlendem Konsens gesprochen werden kann, sondern sogar von Vergewaltigung. Und problematisch ist nicht nur die Szene selbst, sondern auch der Fakt, dass die Geschichte danach weiterläuft, ohne diese Grenzüberschreitung zu thematisieren.
Natürlich ist «Bridgerton» nicht perfekt, aber die fiktive Serie macht einiges richtig: ein toller Cast, in einem fantastischen Setting und eine erfrischende Herangehensweise ans Romantik-Genre und an Kostümfilme. Trotz Kitsch und Romanzen – oder vielleicht genau deshalb – bietet «Bridgerton» für ein paar Stunden Realitätsflucht. In einer Zeit, in der die aufregenden Dinge des Lebens eher auf dem Bildschirm stattfinden, als im Homeoffice und im (Soft-)Lockdown.
«Bridgerton» läuft auf Netflix.