Popkultur
Taylor Swifts Erfolgsjahr: Deshalb treffen ihre Lockdown-Alben den Zeitgeist
- Text: Charlotte Theile; Bild: Alamy
Taylor Swift veröffentlichte in den vergangenen Monaten gleich zwei Erfolgsalben. Mit «Folklore» und «Evermore» bricht sie Rekorde – und wird endlich auch von denjenigen ernst genommen, die sie lange als Pop-Sternchen abstempelten. Das Corona-Jahr dürfte daran nicht ganz unschuldig sein. Eine Analyse.
Gibt es etwas, worauf sich gerade alle einigen können? Vermutlich nur das: Es war ein ziemlich beschissenes Jahr. Taylor Swift, die ja für mich eine wichtige Instanz ist, sagte kürzlich, 2020 sei «hell on earth» gewesen, die Hölle auf Erden. So ganz stimmt das allerdings nicht, zumindest nicht für Taylor selbst. Denn die frühere Country Sängerin hat die Lockdown-Monate genutzt, um gleich zwei Alben heraus zu bringen – «Folklore» im Sommer, «Evermore» im Winter.
Die Alben kamen völlig überraschend, beide wurden nur ein paar Stunden vorher auf Social Media angekündigt. So kann sich eigentlich nur verhalten, wer absolut sicher ist, dass er keine Werbung braucht. Taylor Swift ist schon länger an diesem Punkt angelangt. Sie bricht im Moment vor allem die Rekorde, die sie selbst aufgestellt hat.
Alle fünfzehn Songs auf «Evermore» haben es in die Top 100 geschafft, die Leadsingle «Willow» ist auf Platz 1 der Billboard Charts gelandet, das Album selbst ist ebenfalls auf Platz 1 eingestiegen. Swift ist die erste Künstlerin, der das zweimal hintereinander gelungen ist.
Und als ob all das noch nicht genug wäre, ist 2020 das Jahr in dem Taylor Swift endlich auch von denjenigen ernst genommen worden ist, die sie lange vor allem als Pop-Sternchen betrachtet haben. Vom «Rolling Stone» bis zum «Spiegel» – so ziemlich alle Medien haben in den letzten Tagen und Wochen euphorische Besprechungen veröffentlicht. Das liegt zum einen daran, dass die beiden Lockdown-Alben ernsthafter und erzählerischer klingen als die autobiografischen Breakup-Hymnen, die Swift bekannt gemacht haben. Doch es hat auch damit zu tun, dass sich in diesem Corona-Jahr etwas verändert hat.
In den Monaten, in denen wir nicht rausgehen konnten, um eigene Geschichten zu erleben, haben wir uns mehr denn je auf das verlassen, was uns Streamingdienste, Podcasterinnen, Schriftsteller und Songwriterinnen zu erzählen hatten. Nie war es so wichtig, die Realität verlassen zu können – und sich zum Beispiel in Taylor Swifts opulenten Liedern über Betty, Dorothea, Majorie oder James zu verlieren.
Die Sängerin ist nicht die einzige, die in diesem Jahr viel Geld mit guten Geschichten verdient hat. True-Crime-Podcasts und Dokumentationen (denen Swift übrigens das Lied «no body, no crime» gewidmet hat) konnten sich während der Lockdowns kaum vor Zuhörern und Zuschauerinnen retten, Miniserien wie «Queens Gambit» brachten Netflix neue Rekorde ein.
Taylor Swift hat schon immer weibliche Figuren in den Mittelpunkt gestellt – in den meisten Fällen: sich selbst. Auf «Folklore» und «Evermore» stellt sie andere Frauen in den Fokus. Die exzentrische Rebekkah Harkness, ihre eigene Grossmutter, die Influencerin Dorothea, die zwar in L.A. Erfolg hat, aber nicht wirklich glücklich ist. Und anders als auf ihren früheren Alben schafft es Taylor Swift jetzt mühelos, Geschichten aus mehreren Blickwinkeln zu erzählen. Die Geschichte von Dorothea etwa wird erst dadurch komplett, dass sich ihr Jugendfreund aus Tupelo in einem herzzerreissenden Stück fragt, ob sie wohl irgendwann erkennt, dass der Ruhm sie nicht glücklich macht und zu ihm zurückkehrt.
Spoiler: Sie tut es nicht.
Die Figuren auf den beiden Lockdown-Alben erleben eher selten Happy Endings. Einsamkeit, Traurigkeit und Fehler, die sich nicht mehr gutmachen lassen, sind Themen, die immer wieder vorkommen. Sie heben sich angenehm ab von dem bunten Kaugummi-Sound, der lange ein Markenzeichen von Taylor war. Und auch das passt ins Jahr 2020: Mehr als alles andere wünschen wir uns echte Geschichten.
Geschichten, die auch die dunklen Seiten des Lebens zeigen, Geschichten, die uns zeigen, dass wir nicht allein sind mit unseren Ängsten. Besonders das Winteralbum «Evermore» lotet diese ernsteren Themen aus.
Was auch noch auffällt: Beide Alben sind angenehm unperfekt – es wird geflucht, ihr Boyfriend Joe Alwyn hat an einigen Songs unter einem wahnsinnig schlechten Pseudonym mitgearbeitet, das etwa zwei Stunden nach der ersten Veröffentlichung enttarnt war. Man sieht Taylor an, dass sie lange nicht beim Friseur war.
Ausserdem arbeitet sich die Sängerin auch in diesem Jahr an Scooter Braun ab – dem Medienunternehmer, der vor anderthalb Jahren die Rechte an ihren ersten sechs Studioalben gekauft hat und den sie nun regelmässig mit subtilen Spitzen und Vorwürfen überzieht. Es ist noch nicht lange her, da hätte ein solcher Streit eine Frau sämtliche Sympathiepunkte gekostet.
2020 aber ist das Jahr, in dem niemand mehr die Energie hat, gute Laune zu faken oder freundlich zu Menschen zu sein, die keine Freundlichkeit verdient haben. Was eigentlich gar nicht so schlecht ist.
Man könnte also sagen: Taylor Swift setzt auf die guten Seiten dieses seltsamen Jahres. Auf starke Frauen, auf ehrliche Geschichten. Und darauf, hin und wieder «Fuck you» sagen zu dürfen, wenn alles zu viel wird.
«Champagne problems», der Song, der in diesen Dezembertagen dabei ist, die grössten Weihnachtshits aus den Charts zu vertreiben, hat diese eine Zeile, die perfekt in die Zeit passt: «She would have made such a lovely bride / what a shame she´s fucked in the head».
Was es jetzt noch braucht? Ein Stadion, das diese Zeilen aus voller Kraft mitbrüllt.