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Tabubrecherinnen: Sex in der arabischen Literatur

Kultur

Tabubrecherinnen: Sex in der arabischen Literatur

  • Text & Fotos: Susanne Schanda

Sie schreiben über freie Partnerwahl und geben Erotikmagazine heraus: Diese Frauen scheuen kein Tabu!

“Mein Verlangen ist ein Schrei” – Sex in der arabischen Literatur? Klar doch! Besonders Frauen provozieren mit einer unverblümten Sprache und brechen die Tabus der Sittenwächter.

«Wir müssen uns beim Schreiben vom männlichen Blick auf den weiblichen Körper befreien und eine neue Sprache für das Erotische finden», sagt Alawiyya Sobh. Die 55-Jährige bläst den Rauch ihrer Zigarette in die Luft und blinzelt mit schweren Lidern. Wir sitzen im Café Lina’s an der belebten Hamra-Strasse in Beirut, wo die Autorin jeden Tag ihren Kaffee trinkt, bevor sie ins Redaktionsgebäude des Frauenmagazins «Snob» geht, dessen Gründerin und Chefredaktorin sie ist.

Alawiyya Sobh ist eine der zahlreichen Schriftstellerinnen im arabischen Raum, die Erotik und Sex nicht mehr als Tabuzone respektieren wollen. In ihrem dieses Frühjahr auf Deutsch erschienenen Roman «Marjams Geschichten» lässt sie die Titelfigur den dünnen Grat zwischen Hingabe und Selbstaufgabe beschreiten: «Während Mustafas Mund wandernd über meine Haut zog, wurde ich meiner selbst gewahr. Ich lernte meine eigene Geografie kennen, ebene Flächen, sanfte Erhebungen und üppige Rundungen, jeden einzelnen Winkel. Mich selbst aber durch diese mir fremden Lippen, Augen und Hände zu erkennen, war zutiefst verletzend und entfremdete mich sofort wieder von meinem gerade entdeckten Körper.» Der Roman, der die Lebensgeschichten von Marjam, ihren Freundinnen und deren Müttern wie in einem Flickenteppich verwebt, thematisiert die Entdeckung der eigenen Sexualität ebenso wie die oft schmerzvolle Befreiung von traditionellen Rollenmustern.

«Marjams Geschichten» ist Alawiyya Sobhs erster Roman nach einer langen Schreibkrise während des libanesischen Bürgerkriegs (1975–1990). Das Buch wurde in der arabischen Welt als mutiges Werk gelobt, das religiöse und sexuelle Tabus ankratze. «Mir war das damals gar nicht richtig bewusst», sagt die Autorin. Doch inzwischen hat auch sie erkannt, welche Sprengkraft ihr Roman besitzt. In den meisten arabischen Ländern ist er verboten, wird aber trotzdem unter dem Ladentisch verkauft. Sobh erzählt dies lächelnd, als handle es sich bei der Zensurmassnahme um eine Art Gütesiegel. In Wirklichkeit ist der Kampf mit den Behörden ein steter Quell von Zermürbung und Frustration. Ihr jüngster Roman «Man nennt es Leidenschaft», in dem eine alternde Frau ihre Erotik auslebt, wurde dieses Jahr von der Kairoer Buchmesse verbannt.

Die meisten erotischen Gedichte, Bücher und Zeitschriften kommen aus dem Libanon, dem liberalsten der arabischen Länder. Wie Alawiyya Sobh lebt auch die 40-jährige Lyrikerin Joumana Haddad in Beirut. Im Westen wurde sie durch die Publikation des ersten arabischen Erotikmagazins «Jasad» (Körper) bekannt. Während das Magazin, das auch mit erotischen Bildern provoziert, immer wieder von Verbotsanträgen bedroht wird, gedeihen Haddads Gedichte im Schatten der kleinen Lesezirkel. Und dort sprühen sie vor Sinnlichkeit: «Mein Verlangen ist ein Schrei in einem heftigen Sturm», heisst es im Gedichtband «Damit ich abreisen kann» «Komm, mir zuliebe / räche dich an meiner Scham, die mich versklavt. Dann verdampfen die Gitterstäbe / und ich fliege davon. Sei ein Kavalier, sei ein Märtyrer, sei ein Terrorist und auch ein Dieb. Wie lecker ist der Honig, der gestohlen wurde.» Joumana Haddad sagt, dass das Schreiben für sie etwas ganz und gar Physisches sei: «Mein Körper ist das Universum, in dem sich mein poetischer Ausdruck bewegt. Ich schreibe mit den Fingernägeln auf meine Haut. Ich kratze die Oberfläche weg. Meine Nägel und mein Körper sind die Werkzeuge.» Will sie mit ihren Texten provozieren und die vorherrschenden Moralvorstellungen anprangern? «Nein», sagt Haddad, «Erotik ist für mich ganz einfach der Puls des Lebens.» Gewagte Worte in einem Umfeld, das als prüd gilt.
Nicht immer ging es in den orientalischen Gesellschaften so sittenstreng zu und her. Die Hochblüte der arabischen Literatur im 9. und 10. Jahrhundert ist reich an Gedichten und Erzählungen voll ausschweifender Sinnlichkeit. Die aus Syrien stammende Salwa Al Neimi, die heute buchin Paris lebt, bezieht sich explizit auf diese arabische Tradition der erotischen Literatur. In «Honigkuss» lässt sie eine Bibliothekarin heimlich in Erotika schmökern und von ihren sexuellen Abenteuern erzählen. In eingeschobenen Essay-Passagen plädiert sie für die Wiedergewinnung einer erotischen Sprache. Das im Libanon publizierte Buch löste einen grossen Skandal aus und wurde in Syrien und einigen anderen arabischen Ländern verboten. Ebenso erging es der Journalistin und Schriftstellerin Samar Yazbek, auch sie aus Syrien, mit ihrem Roman «Zimtgeruch». Sie erzählt darin, wie eine Dame der besseren Gesellschaft in Damaskus ihre junge Dienerin sexuell ausbeutet.

Seit Monaten macht ein Buch aus Ägypten Furore, das zuerst als Blog im Internet erschien: «Ich will heiraten! Partnersuche auf Ägyptisch» der 32-jährigen Apothekerin Ghada Abdelaal, die sich über die arrangierte Ehe lustig macht. Die Autorin bricht auf ihre Weise ein Tabu, indem sie ihren Heiratswunsch laut ausspricht, was sich in der ägyptischen Gesellschaft für Frauen nicht ziemt. Um das Thema Sex macht das Buch allerdings einen weiten Bogen. Nur einmal, bei der Aufzählung von Gründen fürs Heiraten, findet sich eine verschämte Anspielung: «Wenn ich nachts allein im Bett liege (an die ‹unanständigen› Dinge will ich lieber nicht denken …). Mindestens wird er mich mit seinem Körper davor bewahren, aus dem Bett zu fallen.» Obwohl Ghada Abdelaal den Heiratszwang nicht grundsätzlich anprangert und auch nicht die gesellschaftlichen Strukturen hinterfragt, die ihm zugrunde liegen, erhielt sie übers Internet begeisterte Kommentare, aber auch Kritik von Männern, die ihr schamloses Verhalten geisselten und sie ermahnten, sich anständig zu benehmen, wenn sie einen Mann finden wolle.

«Ich will heiraten!» ist eine Erfolgsgeschichte geworden. Nachdem der Blog heiss diskutiert worden war, publizierte der grösste ägyptische Literaturverlag schliesslich das Buch. Sofort eroberte es die Bestsellerlisten. Dann wurde der Stoff in Ägypten als Fernsehserie mit Starbesetzung verfilmt und während des Fastenmonats Ramadan im August 2010 ausgestrahlt.


Alawiyya Sobh: Marjams Geschichten. Suhrkamp-Verlag 2010, 474 Seiten, ca. 54 Franken

Joumana Haddad: Damit ich abreisen kann (Gedichte). Lisan-Verlag 2006, 64 Seiten, ca. 16 Franken


Salwa al-Neimi: Honigkuss. Verlag Hoffmann & Campe 2008, 125 Seiten, ca. 27 Franken


Ghada Abdelaal: Ich will heiraten. Partnersuche auf Ägyptisch. Lenos-Verlag 2010, 218 Seiten, ca. 26 Franken

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1.

Alawiyya Sobh aus Beirut ist Chefredaktorin des Frauenmagazins «Snob»

2.

Salwa Al Neimi stammt aus Syrien, lebt heute in Paris

3.

Joumana Haddad aus Beirut schreibt Gedichte und ist Chefredaktorin des Erotikmagazins Jasad

4.

Der Kampf mit den Behörden ist ein steter Quell von Zermürbung und Frustration: Joumana Haddads Erotikmagazin «Jasad»