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Sirka Elspaß: Die Sprachlosigkeit mit Wörtern beschreiben

Literatur & Musik

Sirka Elspaß: Die Sprachlosigkeit mit Wörtern beschreiben

In ihrem Debüt «ich föhne mir meine wimpern» verhandelt Sirka Elspaß Gefühle und stellt damit auch die Frage: Wie bereit ist der Literaturbetrieb für Gleichberechtigung?

«niemand steht über den dingen / wir stehen alle mittendrin», schreibt die Lyrikerin Sirka Elspaß in ihrem Debüt «ich föhne mir meine wimpern». Und genau dort sind die Leser:innen – mittendrin in der Gefühlswelt der Autorin. Sie nimmt uns mit in schlaflose Nächte, auf Rolltreppen, die schneller sind als man selbst, und auf die Toilette bei der ersten Menstruation.

Das Buch ist eine Coming-of-Age-Geschichte, aber in Gedichten. Ihr Lyrikband steht auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises, ist also schon vor dem Erscheinen ein Erfolg. Und doch sieht Sirka Elspaß Unterschiede in der Bewertung innerhalb des Literaturbetriebs. Ein Gespräch über Kategorien, Gefühle, Sprache und Sprachlosigkeit.

annabelle: Sirka Elspaß, was ist Lyrik?
Sirka Elspaß: Lyrik ist sehr konzentriert. Wenig Text, anstatt einer Geschichte das Spotlight auf einen Moment oder auf ein Gefühl. Aber das könnte man auch alles entkräften, was ich sage.

Zum Beispiel mit Ihrem Buch, oder? Darin erkenne ich eine Heldinnenreise.
Auf jeden Fall. Die Lautgedichte von Ernst Jandl zum Beispiel sind ganz klar Gedichte. Aber dann gibt es auch Leute, die einen eher prosaischen Ansatz haben, dazu würde ich mich zählen. Die Genre-Grenzen sind fliessend. Eine klare Definition fällt mir schwer.

Wenn Sie Lyrik schreiben, denken Sie dann manchmal: Verdammt, ich würde jetzt gern einen Roman schreiben, aber ich bin ja Lyrikerin.
(Lacht) Nein, nie. Ich schätze die Konzentriertheit und die in meinem Fall eher kurze Form. Ich arbeite an einem Gedicht – und dann kommt das nächste. Ich kann mir nicht vorstellen, etwas Längeres zu schreiben. Ich wüsste gar nicht, woher ich die Ausdauer nehmen sollte. Bei mir sind die Gedichte nie länger als eine Seite und das ist genau richtig so.

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«Ich gehe immer von meinem Gefühl aus und das ist einzigartig»

Muss die Kürze zwangsläufig oberflächlicher sein als ein langer Text?
Überhaupt nicht. Ob ein Text oberflächlich oder tiefgründig ist, entscheidet sich für mich daran, wie nah die Beschreibungen einem Moment kommen oder einem Gefühl. Ein Text ist auch dann oberflächlich, wenn ich mich beim Lesen frage: «Wie oft haben wir das schon gehört?»

Fürchten Sie manchmal, Wiederholungen zu produzieren?
Ich bin mir bewusst darüber, dass vieles in irgendeiner Form schon da war. Wenn ich schreibe, habe ich die Menschen und die Texte im Hinterkopf, die ich gelesen habe. Im Moment des Schreibens denke ich aber nicht, dass ich das jetzt anders sagen muss. Ich gehe immer von meinem Gefühl aus und das ist einzigartig. Das nehme ich mir raus. Und dann schreibe ich auf, wie ich es fühle oder denke. Natürlich war auch das schon mal da, aber nie so, wie ich es ausdrücken kann.

Gibt es bestimmte Themen, die eher zu Wiederholungen neigen?
Bei Liebeskummer oder Einsamkeit ist die Gefahr gross, dass der Text an einer Oberfläche schabt. Weil Wörter und Sätze sich wiederholen, die ich zehntausendmal gelesen habe. «Ich liege alleine im Bett und du fehlst», das würde ich nicht schreiben. Ich kann mich diesem Thema aber subjektiv und mit anderen Worten nähern.

Ihr Buch ist eines über Sprachlosigkeit – mit Wörtern, die so nah wie möglich an die Sprachlosigkeit herankommen.
Ja, es ist eigentlich immer so: Es gibt eine Sprachlosigkeit und ich versuche jetzt trotzdem, die Wörter dafür zu finden. Aber auch die Frage: Was kann ich mit Wörtern nicht ausdrücken? Was ist sagbar und was ist mit Wörtern nicht sagbar?

«seit montagabend verstehe ich jeden der keine worte hat und trotzdem spricht»: Auch hier wieder, die Sprachlosigkeit.
Darüber habe ich lange mit zwei Lyriker:innen gesprochen. Die eine Person verstand nicht, was ich damit sagen will. Die andere Lyrikerin meinte, sie erkenne darin den Moment, in dem man nicht weiss, was man sagen soll, und dann überbrückt man mit Smalltalk. Das Unsagbare wabert dann darunter.

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«Wenn Frauen und trans oder nicht binäre Menschen schreiben, ist es immer politisch»

Auf Instagram haben Sie die unterschiedliche Bewertung von Lyrik kritisiert. In welchen Momenten merken Sie, dass Sie kein heterosexueller weisser cis Mann sind, der bei Suhrkamp sein Debüt veröffentlicht?
Vor allem an den Reaktionen der Menschen, die mein Buch besprechen. Schon alleine, dass ich jetzt als Frau in einem männlich gelesenen Literaturbetrieb einen Lyrikband bei Suhrkamp veröffentliche ist politisch. Ich glaube, wenn Frauen und trans oder nicht binäre Menschen schreiben, ist es immer politisch. Es wird ja oft von männlichem und weiblichem Schreiben gesprochen, was eh schwierig ist, weil es vom binären System ausgeht. In der Lyrik ist das vielleicht nochmal anders oder fliessender.

Wie meinen Sie das?
Es hat sich in der Lyrikszene etwas verändert. Es gibt viele zeitgenössische Lyrikerinnen, die ich grossartig finde. Ich denke zum Beispiel an Mira Gonzalez, Lütfiye Güzel, Dilek Mayatürk, die in ihren Gedichten häufig Gefühle verhandeln. Ihren Werken wird dann schnell der Stempel aufgedrückt: Ah ja, das ist Lyrik für Frauen und Mädchen. In Interviews bin ich darauf vorbereitet, dass ich gefragt werde: «In Ihren Texten werden Gefühle verhandelt. Würden Sie sagen, das ist Frauenliteratur?» Ich sage dann: «Das ist Quatsch» und «ich möchte das ungern in eine Kategorie pressen».

Ihr Verlag packt Ihr Buch in die Kategorien «Für Frauen und/oder Mädchen», «Psychische Störungen» und «Zeitgenössische Lifestyle-Literatur». Was würden Sie ankreuzen?
Ich verstehe bei allem, woher es kommt. Aber wenn ich mir diesen Lyrikband angucke, würde ich nichts davon ankreuzen.

Es gibt ja manchmal die Kategorie «Für Leser:innen von». Wem würden Sie Ihr Buch empfehlen?
Das erste Buch von Benjamin Maack war der Lyrikband «Du bist es nicht, Coca Cola ist es». Den habe ich mit 14 gelesen. Da sehe ich Ansätze, die meinem Buch nicht unähnlich sind. Wem dieser Band gefallen hat, dem wird auch meine Art zu schreiben gefallen.

Wäre es Ihr Wunsch, dass heute ein:e 14-Jährige:r das fühlt, was Sie damals mit 14 gefühlt haben beim Lesen dieses Buchs?
Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber das wäre total schön. Als ich 14 war, hatte ich kaum Zugang zu Lyrik. In der Buchhandlung standen Rilke, Hilde Domin und Rose Ausländer. Aber das war es dann auch. Was aktuelle Lyrik angeht, war da wenig zu finden. Wenn ich mir jetzt vorstelle, ein:e 14-Jährige:r liest mein Buch und es eröffnet nochmal eine Welt fernab von den Namen, die ich gerade genannt habe, dann wäre das schön.

Sirka Elspaß: ich föhne mir meine wimpern, Suhrkamp Verlag, Berlin 2022, S. 80

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