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Kritik zur Netflix-Serie «Stateless»: Gefangene des Systems

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Kritik zur Netflix-Serie «Stateless»: Gefangene des Systems

  • Text: Claudia Senn; Bilder: Netflix

Die von Cate Blanchett produzierte Netflix-Serie «Stateless» erzählt von der Mitleidlosigkeit der australischen Flüchtlingspolitik. Beklemmend gut!

Gute Filme und Serien lassen uns in die Dramen und Schicksale anderer eintauchen. Aus der sicheren Warte des Fernsehsessels erlauben sie uns, an Erfahrungen teilnehmen, die uns im wahren Leben erspart bleiben, und öffnen unseren Verstand für die Sichtweisen Andersdenkender. Wenn sie sehr gut gemacht sind, triggern sie auch unser Mitgefühl.

Ich weiss noch genau, wie gebannt ich vor dem Fernseher sass, als ich kurz nach der Jahrtausendwende einmal eine Folge der Ärzteserie «Emergency Room» sah, in der der samtäugige Dr. Kovac und sein Kollege Dr. Carter für «Médecins sans Frontières» in den Kongo flogen und dort zwischen die Fronten von Regierungstruppen und marodierenden Mai-Mai-Milizen gerieten. Der Alptraum aus Armut, sinnloser Gewalt und Hoffnungslosigkeit, mit dem sich die beiden smarten Helden konfrontiert sahen, erschütterte mich so nachhaltig, dass ich noch am selben Tag einen Dauerauftrag für «Médecins sans Frontières» ausfüllte.

Die Netflix-Serie «Stateless» hat ebenfalls das Potenzial, aufzurütteln

Kein Bettelbrief der NGO hatte jemals diese Wirkung auf mich gehabt. Fernsehen ist eine mächtige Waffe – auch im Kampf um Empathie und Spendengelder. Die Netflix-Serie «Stateless» hat ebenfalls das Potenzial, aufzurütteln. In eindrücklichen Bildern zeigt sie, welche verheerenden Folgen die beinharte australische Flüchtlingspolitik hinterlässt – nicht nur bei den Flüchtlingen selbst, sondern auch bei jenen, die für ihre Verwahrung zuständig sind.

Für die von Cate Blanchett produzierte Serie wurde in der Nähe der Stadt Port Augusta ein Internierungslager nachgebaut. Solche Camps gab es hier von 2002 bis 2007 tatsächlich, bevor sie wegen mehrerer schwerer Skandale in die Schlagzeilen gerieten. Verschwunden sind sie danach nicht. Die Regierung hat die Lager, in denen Asylsuchende teils viele Jahre auf ihren Bescheid warten müssen und wie Sträflinge gehalten werden, einfach in die Ferne verlegt: auf abgelegene Inseln in Papua-Neuguinea, weit weg von der Aufmerksamkeit der Medien.

Im «Detention Center» verwandelt sich Hoffnung langsam in Bitterkeit

Das «Detention Center» in «Stateless» besteht aus nicht viel mehr als rostigen Containern, Stacheldraht und Staub. Hier, mitten im sengend heissen Outback, verwandelt sich Hoffnung langsam in Bitterkeit, leiden Insassen genauso wie Aufseher an einem System der Mitleidlosigkeit, das ihre Frustration allmählich in Gewalt und Resignation umschlagen lässt.

Wie Fäden werden die Schicksale der Figuren miteinander verwoben: Da ist der afghanische Lehrer Ameer, dessen Frau und Kind auf der Flucht ertrunken sind. Da ist der muskelbepackte, aber emotional hilflose Wachmann Cam, der den Job angenommen hat, um seiner Frau ein Haus mit Pool bieten zu können. Da ist die ehrgeizige Camp-Leiterin Clare, die sich durch hartes Durchgreifen den Goodwill ihrer Chefin erhofft. Und die psychisch angeschlagene Stewardess Sofie, die aufgrund von schlampiger Polizeiarbeit im Lager festgehalten wird, obwohl sie gar nicht hierher gehört. Missbraucht vom Chef einer Art Psychosekte, weigert sie sich, ihre Identität bekannt zu geben, aus Angst vor erneuter Nötigung und Gewalt.

Sofies Geschichte beruht auf einem realen Fall

Warum steht eine Figur mit einer derart abstrusen Geschichte im Zentrum der Serie? Reichen die Schicksale der «echten» Flüchtlinge etwa nicht aus? Zugegeben, das irritiert am Anfang – aber nur, bis man erfährt, dass Sofies Geschichte auf einem realen Fall beruht: 2004 wurde die Deutsche Cornelia Rau in einem Internierungslager festgehalten, obwohl sie eine permanente Aufenthaltsgenehmigung besass. Rau war aus einer psychiatrischen Klinik entwichen und als vermisst gemeldet worden. Bei der Polizei gab sie sich als deutsche Backpackerin aus, weshalb man sie als «ungesetzliche Nichtbürgerin» ins Lager sperrte. Bis ihre Familie sie endlich aufspürte, dauerte es ganze zehn Monate.

Natürlich, es ist nur Fernsehen. Aber dank «Stateless» weiss ich jetzt über die unmenschliche Flüchtlingspolitik am anderen Ende der Welt Bescheid. Denn auch das kann ein Unterhaltungsmedium leisten, wenn es bloss ein bisschen couragiert daher kommt: öffentlich dazu aufrufen, Missstände zu ändern.

Der Sechsteiler «Stateless» ist auf Netflix zu sehen. Die Australierin Cate Blanchett ist nicht nur Autorin und Produzentin, sondern spielt auch die Ehefrau des dämonischen Sektengurus Gordon Maters (Dominic West alias Jimmy aus «The Wire»). Die Sofie-Darstellerin Yvonne Strahovski kennt man bereits aus «The Handmade’s Tale».

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1.

Die Geschichte der Stewardess Sofie (gespielt von Yvonne Strahovski) basiert auf einem realen Fall: 2004 wurde die Deutsche Cornelia Rau in einem Internierungslager festgehalten, obwohl sie eine permanente Aufenthaltsgenehmigung besass.

2.

Die Australierin Cate Blanchett ist nicht nur Autorin und Produzentin der Serie, sondern spielt auch die Ehefrau des dämonischen Sektengurus Gordon Maters (Dominic West).