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Serie: Jessica Jones ist unsere neue Superheldin
- Text: Miriam Suter; Fotos: Getty Images
Die Netflix-Serie «Jessica Jones» mit Krysten Ritter in der Hauptrolle wird als feministischer Erfolg gefeiert. Zu Recht!
13 Episoden lang ist die erste Staffel von «Jessica Jones», der Netflix-Adaption von Brian Michael Bendis’ Marvel-Comicreihe «Alias». Jessica Jones, eindrücklich gespielt von der 33-jährigen Krysten Ritter, lebt in New York in einer karg eingerichteten Wohnung, trinkt und flucht zu viel und hat ein gestörtes Verhältnis zu Männern. Eigentlich ist Jessica eine Superheldin. Ihr Cape hat sie aber abgelegt. Sie will sich nun darauf konzentrieren «das Böse im Menschen aufzuspüren» – als Privatdedektivin. Bis sie von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt wird und im Zuge eines Auftrags auf ihren ärgsten Feind trifft, den Superschurken Kilgrave (brillant: David Tennant, Dr. Who). Auch Jessica gehört zu seinen früheren Opfern – und will sich jetzt endlich rächen. Die Serie mit Film-Noir-Äthetik ist in vielerlei Hinsicht eine kleine Revolution und wird zu Recht als feminsitischer Erfolg gefeiert.
Starke Frauenrollen
Fast der ganze Cast von «Jessica Jones» ist von starken Frauen besetzt und zeigt eine enorme Vielfalt von weiblichen Charakteren, wie sie momentan leider noch rar gesät sind im TV und auf der Kinoleinwand. Jeri Hogarth etwa, gespielt von Matrix-Star Carrie-Ann Moss, ist eine lesbische Anwältin. Wir erleben mit, wie sie sich durch die Scheidung von ihrer Ehefrau quält und für ihre neue Beziehung kämpft. Jessica selbst hat als Kind ihre Eltern bei einem schweren Autounfall verloren und ein Trauma davongetragen. Noch heute fällt es ihr schwer, Menschen an sich heranzulassen – ganz selten flackert Jessicas Wärme aber auf und sie zeigt, dass sie sich auch rührend um andere kümmern kann. Die Einzige, zu der sie eine innige Beziehung hat und für die sie ihr Leben aufs Spiel setzen würde, ist ihre Adoptivschwester und frühere Superheldinnen-Kollegin Trish «Patsy» Walker (Rachael Taylor). Sie ist eine erfolgreiche Radiomoderatorin, kämpft aber gleichzeitig gegen das Trauma, das die Misshandlungen ihrer Mutter bei ihr hinterlassen haben. Und auch Hope Shlottman, ein Opfer von Kilgrave (gespielt von der 21-jährigen Erin Moriarty), ist eine starke Frau, die auch hinter Gittern ihren Kampfwillen nicht verliert.
Weiblicher Blick
Neben starken Frauen zeichnet die Serie noch etwas anderes aus: Wir sehen die Welt durch Jessicas Augen, durch den «female gaze». Als Jessica ihren Liebhaber Luke Cage (Mike Colter) nach der ersten gemeinsamen Nacht betrachtet, ist das vor allem eine emotionale Angelegenheit. Zwar liebkost die Kamera seinen nackten Oberkörper, in der Szene wird aber deutlich, dass nicht Cages Muskelkraft sondern seine innere Stärke das ist, was Jessica Geborgenheit gibt. Denn auch die männlichen Darsteller werden in der Serie nicht auf ihren Körper reduziert.
Keine Scheu vor Tabuthemen
Auch heute noch wird die weibliche Sexualität im TV und im Kino eher stiefmütterlich behandelt. Anders bei «Jessica Jones»: Die Frauen nehmen sich, was sie wollen und geniessen es. Auch vor schweren Themen wie Vergewaltigung, Traumata, Abtreibung und Stalking scheuen sich die Macher nicht, sondern setzen sich tiefgründig und sorgfältig damit auseinander. Das jedoch nie mit einem erhobenen Zeigefinger, sondern immer aus der Position der Opfer und auf eine solch einfühlsame und ermächtigende Art, die nicht zuletzt für den durchschlagenden Erfolg der Serie verantwortlich ist.
Das Problem mit dem Einverständnis
Jessicas Erzfeind Kilgrave – seinerseits verantwortlich für ihre innere Zerrissenheit – verkörpert den sadistischen Stalker perfekt. Er hat die übernatürliche Fähigkeit, Menschen seinen Willen aufzuzwingen und sie dadurch zu seinen Marionetten zu machen. In einer Szene konfrontiert ihn Jessica damit, dass er sie vergewaltigt hat, als er sie mental unter Kontrolle hatte. Kilgrave zeigt sich ehrlich bestürzt und verteidigt sich damit, dass Jessica das doch selbst gewollt habe. Gerade in der heutigen Zeit ein relevantes Thema: Immer wieder kommt es schliesslich vor, dass Opfer und Täter eine Vergewaltigung komplett anders erleben, dass sich das Opfer vielleicht nicht wehren kann und sich später gegen den Vorwurf wehren muss, sich nicht ausreichen verteidigt zu haben.
Dieses Phänomen nennt sich Rape Culture und tritt in der Schweiz aktuell besonders hässlich im Fall von Markus Wenger zutage: Der 58-Jährige hat sich in den vergangenen dreissig Jahren an 24 Frauen sexuell vergangen. Nach einer Vollzugslockerung machte er sich 2011 und 2012 nochmals über zwei Opfer her, nachdem er sie betäubt hatte. Die Lausanner Richter sahen die sexuelle Integrität seiner letzten beiden Opfer dennoch nicht genügend schwer verletzt, um Wenger lebenslänglich zu verwahren.
Einzig ein kleiner Kritikpunkt an «Jessica Jones» bleibt: Alle weiblichen Hauptrollen in der Serie sind weisse, schlanke und hübsche Frauen. Dass es auch anders geht, zeigen beispielsweise die Erfolgsserie «Girls» und «How to Get Away with Murder». An dieser Front gibt es noch einiges zu tun. Nichtsdestotrotz: «Jessica Jones» könnte massgeblich zu einem neuen Frauenbild in der Serienwelt beitragen. Es wäre langsam an der Zeit.