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Schauspielerin Saoirse Ronan: «Alkohol ist mit jedem Aspekt unseres Lebens verwoben»
- Text: Mariam Schaghaghi
- Bild: Filmcoopi / Cineworx
Saoirse Ronan erzählt in «The Outrun» die wahre Geschichte von einer jungen Frau, die sich ihrer Alkoholsucht stellt. Mit uns sprach die Irin über ihren Traum, Regie zu führen, veränderte Trink-Gewohnheiten und den Entspannungseffekt eines Kaltwasserbads.
Mit 13 wurde sie zum ersten Mal für einen Oscar nominiert. Seitdem galt Saoirse Ronan als Wunderkind, verblüffte in Filmen wie «The Lovely Bones», «The Grand Budapest Hotel», «Lady Bird» oder «Little Women» mit ihrer Intensität und erspielte sich drei weitere Oscarnominierungen.
Auch in ihrem neuen Drama «The Outrun» haut sie einen mit ihrer Wucht um. Dabei wirkt die dreissigjährige Irin beim Treffen im karg möblierten, noblen Berliner Hotelzimmer fast, als wolle sie ihr Ausnahmetalent durch Unauffälligkeit tarnen.
Die Begrüssung ist herzlich, Ronans wasserhelle Augen sind voller Neugier. Auf dem Sofa sitzend schlägt sie die Beine in den Oversize-Jeans entspannt übereinander. Ihr Gesicht ist ungeschminkt, über dem schwarzen Sweater hängen drei dünne Silberkettchen. Die einzige Extravaganz liegt neben ihr: eine kleine, kastige Clutch von Louis Vuitton, übersät mit goldenen Nieten und Beschlägen.
annabelle: Saoirse Ronan, als ich Sie das erste Mal interviewt habe, waren Sie 14 Jahre alt und schon eine Sensation: Sie spielten das Opfer eines Sexualverbrechens, das vom Himmel aus versucht, ihrer Familie die Trauer zu erleichtern.
Saoirse Ronan: Verrückt – das ist schon so lange her! Das war «The Lovely Bones» mit Stanley Tucci. Wir haben uns vor Kurzem getroffen. Er lebt ja in England, mit seiner Frau Felicity Blunt.
Emily Blunt, deren Schwester, hatte die beiden verkuppelt, oder?
Ja, und Stanley zog ihretwegen nach London. Jedenfalls war ich erst neulich bei ihnen zu Hause eingeladen. Er hat köstlich gekocht, es gab Risotto. Es war schön, ihn wiederzusehen. Es ist verrückt, dass ich das alles jetzt schon über zwanzig Jahre mache.
«Ich habe das Gefühl, dass ich länger in diesem Business unterwegs bin als sonst jemand. Ein Fossil»
Und dabei sind Sie im April gerade mal dreissig geworden.
Ich weiss, es ist wild. Manchmal sagen mir Leute: «Du bist doch noch jung, was deine Arbeit angeht.» Ich habe eher das Gefühl, dass ich länger in diesem Business unterwegs bin als sonst jemand. Ein Fossil.
Haben Sie daher beschlossen, mit «The Outrun» etwas Neues zu wagen?
Ich bin immer auf der Suche nach Rollen, die an die Substanz gehen, bei denen nichts Routine ist. Ein Kollege hatte das Buch von Amy Liptrot gelesen und meinte: «Das solltest du als Nächstes machen.»
Was hat Sie überzeugt, genau das zu tun?
Wenn du eine Süchtige spielst, der Vernunft und Logik komplett abhandenkommen, bedeutet das, dass du bis zum Äussersten gehen kannst. Für mich als Darstellerin war das eine grossartige Gelegenheit.
Sie waren auch Produzentin des Films, haben das Projekt angeschoben und eine Regisseurin ausgewählt, die Deutsche Nora Fingscheidt. Warum sie?
Jemand von uns hatte in Berlin «Systemsprenger» gesehen, so kamen wir auf Nora. Was mich überzeugte, war, dass es ihr um den Heilungsprozess der Alkoholikerin ging, um die Freude, die sie wiederfindet, um das Leben, das jede Anstrengung lohnt. Ich fand auch ihren Regiestil wunderbar, alles sollte sich improvisiert anfühlen, sie gab mir so viel Freiheit. So habe ich noch nie gearbeitet.
Sie haben auf den schottischen Orkney-Inseln gedreht, bei Wind und Wetter, am Ende der Welt …
… und meist auf einer Schaffarm. Ich habe sogar beim Lammen geholfen!
Wie lernt man das?
Die Bauern brachten es mir bei. Bei ihnen klang es unkompliziert: «Hände rein ins Mutterschaf, dann suchst du den Kopf, greifst ihn, ziehst das Lamm raus, rubbelst es ab, gibst ihm etwas Heu ins Maul und schickst es ins Leben.» Ich ging zwei Tage mit dem Bauern mit und irgendwann musste ich allein ran. Bis zum Ende des Drehs habe ich immerhin sieben Lämmern in die Welt geholfen.
«Mein Traum war es immer, Regie zu führen. Das ist es letztlich, was ich tun möchte»
«The Outrun» beruht auf der wahren Geschichte der Autorin Amy Liptrot. Hatte sie Mitspracherecht?
Amy hatte immer Zugang zum Set und zum Filmmaterial. Sie sah abends alles, was wir tagsüber gedreht hatten. Wenn ihr etwas unangenehm war, konnte sie uns ansprechen. Ich fand es wichtig, Amys Erfahrungen zu ehren und auch Personen zu schützen, deren Geschichte wir in den Film einbeziehen – Familie, Freunde, Ex-Partner.
War die Erfahrung als Produzentin ein Einschnitt in Ihrer Karriere? Werden Sie die Dinge jetzt noch mehr vorantreiben, noch mehr wagen?
Ja, es hat definitiv etwas in mir freigesetzt. Nach zwanzig Jahren im Schauspiel – so sehr ich es liebe – wollte ich mehr: mehr Verantwortung, mehr Input geben. Mein Traum war es immer, Regie zu führen. Das ist es letztlich, was ich tun möchte. Das ist meine Leidenschaft.
Sie haben zweimal mit der Frau gedreht, die mit «Barbie» den Regie-Olymp erobert hat: Greta Gerwig. Sie wussten sicher längst, wie fabelhaft sie ist – aber «Barbie» machte sie offiziell zur Sensation. Hatte Gerwig Einfluss auf Ihren Wunsch, selbst Regie führen zu wollen?
Sogar sehr grossen Einfluss! Greta ist jemand, zu dem ich aufschaue, als Mensch und als kreativer Kopf. Es gibt kaum jemanden, vor dem ich mehr Respekt habe. Sie ist ein totaler Film-Nerd, aber gleichzeitig auch so cool. Sie ist klug, lustig, scharfsinnig – sie ist einfach der Hammer.
Was macht Greta Gerwig so besonders? Was macht sie vielleicht auch anders als andere Regisseurinnen?
Schon bei «Little Women» dachte ich, dass sie eine unserer grossen Regisseurinnen ist. Klar, es gab schon andere brillante Regisseurinnen wie Jane Campion. Aber die Grossen waren immer die Scorseses, die Coppolas, die Spielbergs. Greta hat durch ihre Arbeit – und seien wir ehrlich: durch den Haufen Geld, den ihre Projekte eingespielt haben – diese alte Ordnung auf den Kopf gestellt. Plötzlich ist es möglich, dass eine junge Frau danach strebt, eine grosse Regisseurin zu sein. Das war vorher nicht so. Wenn ich mal Regie führen sollte, habe ich es auch ihr zu verdanken.
«Es gibt diesen Druck, zu trinken, um dabei zu sein. Dieses Problem ist leider noch nicht verschwunden»
In «The Outrun» spielen Sie grandios und zeigen, wie Lust in Kontrollverlust übergeht. Die Gefahr ist offensichtlich: Alkohol ist gesellschaftlich fast obligat. Sind Sie selbst seit dem Dreh vorsichtiger geworden? Vielleicht auch gerade, weil Ihr Leben eine ziemliche Achterbahnfahrt sein kann?
Ich hatte gestern Abend drei Drinks und bin heute völlig fertig. Ich habe noch nie viel vertragen, es laugt mich einfach aus. Heute bin ich aber noch vorsichtiger, weil ich bei Menschen, die mir nahestanden, die Hässlichkeit des Saufens gesehen habe. Ich habe das seitdem immer im Kopf. Ich will nicht so sein. Klar, wenn jemand psychisch erkrankt ist, ist es anders. Aber ich habe die Wahl. Und der Dreh hat mich sogar dazu gebracht, meine Beziehung zu Menschen zu überdenken, die mir nahestehen.
Inwiefern?
Alkohol ist mit jedem Aspekt unseres Lebens verwoben, sei es ein Geburtstag, ein Schulabschluss, eine Taufe, eine Hochzeit: Alkohol ist so präsent. Es gibt diesen Druck, zu trinken, um dabei zu sein. Sonst gilt man als Spassbremse. Dieses Problem ist leider noch nicht verschwunden. Ich stelle in meinem Umfeld aber auch fest, dass es inzwischen viele gibt, die über Monate bewusst nichts trinken, um sich besser zu fühlen. Die Leute fangen also an, ihre Gewohnheiten zu überdenken und sich vom Alkohol zu lösen.
Wozu greifen Sie, wenn Sie runterkommen wollen: zum Glas Wein, zum Handy, zur Fernbedienung?
Ich gehe mit meiner Hündin spazieren. Gerade, wenn ich lange weg war, liebe ich es, mit Stella stundenlang laufen zu gehen. An der frischen Luft zu sein und mich zu bewegen, das ist das Grösste für mich.
«Für mich ist Schwimmen die beste Art, sich zu erholen. Es bringt einen komplett zurück in die Gegenwart»
Dann wohnen Sie sicher nicht mitten in London, oder?
Nur zeitweise, was auch sehr schön ist. Aber ich bin einfach kein Stadtmensch. Ich finde den Stadtalltag nach ein paar Wochen ziemlich anstrengend, besonders in London, weil es so voll ist. Auf dem Land wandern wir viel, ich schwimme oft, egal bei welchem Wetter. Das habe ich schon immer gemacht. Für mich ist Schwimmen die beste Art, sich zu erholen. Es bringt einen komplett zurück in die Gegenwart. Man konzentriert sich nur darauf, wie man sich fühlt. Immer, wenn ich wacher und aufmerksamer werden möchte, springe ich in kaltes Wasser.
Sie sind aber wirklich beinhart drauf.
(lacht) Letztes Silvester waren wir in Schweden, auch da bin ich geschwommen und da wars echt kalt. Danach gings in die Sauna und nochmal ins Wasser.
Im Juli haben Sie Ihren Partner und Kollegen Jack Lowden in Edinburgh geheiratet, herzlichen Glückwunsch!
Danke! Jetzt habe ich, als Irin, noch eine komplette schottische Familie dazubekommen. Ein Vorteil ist, dass ich nun ständig den schottischen Akzent höre, sodass ich ganz mühelos zwischen meinem irischen und einem schottischen Akzent hin- und herswitchen kann. Das ist ein gutes Training für meine Rollen.
«Ich reagiere ganz krass auf offene, weite Felder, wo es einfach nur Raum gibt. Und Klarheit»
Sie sind in New York geboren, aber in Irland aufgewachsen. Wie wichtig ist das Irisch-Sein für Ihre Identität?
Irin zu sein, war sehr, sehr wichtig für mich, als ich noch jünger war. Dieses Gefühl einer Identität, eine Zugehörigkeit zu haben. Wenn ich irgendwo auf der Welt unterwegs war zum Drehen oder um PR für meine Filme zu machen, half es mir sehr, etwas zu haben, auf das ich mich stützen und verlassen konnte. Aber je älter ich werde, je mehr man auch über sein Land und seine Geschichte lernt, mit all seinen Fehlern und Schwächen, desto komplexer wird die Beziehung. Es ist wie mit den Eltern: Wenn du jung bist, glaubst du, dass deine Eltern alles wissen und alles können. Je älter du jedoch wirst, desto komplizierter und differenzierter wird deine Sicht.
Glauben Sie, dass die Landschaften, in denen man aufwächst, sich im Wesen spiegeln?
Ja, ich denke, das tun sie. Ich reagiere ganz krass auf offene, weite Felder, wo es einfach nur Raum gibt. Und Klarheit. Wo es keine anderen Menschen gibt, nichts, das ablenkt, und wo ich den Himmel sehen kann. Das brauche ich, um mich zu erholen und diese Offenheit in mir selbst zu spüren. Ich bin überzeugt, dass Landschaften eine starke Wirkung auf uns haben; darauf, wie man sich fühlt und wer man ist.
Sie haben auf dem Handrücken ein Tattoo – ist das eine Möwe?
(lacht) Entweder ist es eine Möwe oder eine schottische Flagge, ich weiss es noch immer nicht. Ich habe es schon lange. Und vermute heute, der Tattoo-Artist hat an mir geübt.
«The Outrun» ist aktuell im Kino zu sehen.
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