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Schauspieler Jude Law: «Wir alle müssen uns mit unserem Ego auseinandersetzen»
- Text: Mariam Schaghaghi
- Bilder: Dukas, Unsplash; Collage: annabelle
In «Das Spiel der Königin» mimt Jude Law den skandalträchtigen, englischen König Heinrich VIII. — von Midlife Crisis scheint beim Hollywoodstar jedoch keine Spur: Ein Gespräch über Work-Life-Balance, Egos und die Magie des Films.
Als ob er in Sorglosigkeit, ewiger Jugend lebe, immer auf der Sonnenseite des Lebens. Auch wenn «Der talentierte Mr. Ripley» schon 25 Jahre her ist, hat Jude Law immer noch diesen Touch des Golden Boys, den er in dem legendären Film spielte, der ihm damals eine Oscar-Nominierung eingebracht hat. Vielleicht liegt es aber auch am Licht in Cannes, dass der 51-Jährige immer noch so gut rüberkommt, auch wenn das Haar etwas lichter geworden ist und die Lachfältchen um die Augen ausgeprägter.
Ein Hollywoodstar mit viel Selbstironie und Lebensfreude
Wir sitzen unter einem Sonnenschirm auf einer Dachterrasse, Law in lässiger Sommermode, Polohemd und Leinenhose, womit er natürlich wirkt, als sei er gerade von einer der Yachten gesprungen. In der Welthauptstadt des Films ist er zu Besuch, um ein neues Werk vorzustellen, «Das Spiel der Königin», in dem er als englischer König Heinrich VIII. im 16. Jahrhundert seiner sechsten Ehefrau nach dem Leben trachtet. Der Schauspieler ist bester Laune, ein einziges, grosses Lächeln, auch während unserer Unterhaltung liegt ein ständiges Zwinkern in seinen Augen, sei es aus Selbstironie, mildem Spott oder einfach nur Lebensfreude.
annabelle: Jude Law, endlich kann ich Sie mal begrüssen: Hey Jude!
Jude Law: (lacht laut) Zum Glück ist dieser Song ja richtig gut! Er wird sogar immer besser mit den Jahren. Nicht auszudenken, was für eine Qual das wäre, wenn dieser Song völlig daneben wäre und ich ihn verabscheuen würde. Aber zum Glück liebe ich ihn sehr.
Sie sehen aus, als kämen Sie direkt aus dem Urlaub …
… leider ganz falsch. Ich bin gerade von einem Drehort in Kanada hier eingeflogen und muss morgen auch schon wieder zurück. Ich drehe mit dem australischen Regisseur Justin Kurzel – ein brillanter Typ. Wir haben aber erst angefangen.
So gut sehen Sie aus, wenn Sie total gejetlagged und erschöpft sind?!
Ja. Nein. Also ja. (lacht) Ehrlich gesagt, bin ich schon ziemlich kaputt. Aber ich bin froh zu hören, dass ich zumindest einen normalen Eindruck mache!
«Mir ist es wichtig, in die Erziehung meiner Kinder involviert zu sein»
Sie sind inzwischen über fünfzig. Wo stehen Sie im Leben?
Ich bin sehr, sehr zufrieden. Nein, glücklich. Beruflich bin ich in einer wirklich guten Position – ich habe das Glück, einerseits grosse Franchise-Filme zu machen und mit Studios zu arbeiten, und gleichzeitig auf der anderen Seite die kleineren, unabhängigen Auteur-Filme zu drehen. Und ich geniesse meine Rolle als Produzent sehr: Ich bringe Projekte auf den Weg, entwickle mit Autor:innen und Regisseur:innen. Also, ja, meine 50er-Jahre sind und bleiben hoffentlich eine sehr glückliche Zeit. Gott sei Dank! Und den Winter durfte ich gerade mit dem wunderbaren, als Regisseur wirkenden Ron Howard und Kolleg:innen wie Daniel Brühl in Australien erleben. Ihm war ich bisher nur mal bei einem Fussballspiel begegnet, beim Match FC Barcelona gegen Real Madrid. Damals habe ich erst erfahren, dass er ja zur Hälfte Spanier ist.
Was haben Sie in Australien gemeinsam angestellt?
An der Küste von Queensland drehten wir den Thriller «Eden». Ich habe mich riesig auf dieses Projekt gefreut – aber auch aufs Tauchen, Schnorcheln, Segeln.
Sie sind zum zweiten Mal verheiratet, haben mit vier Frauen sieben Kinder. 2023 wurde Ihr jüngstes geboren. Wie managen Sie die Vaterrolle mit 51?
Man versucht es hinzukriegen, dass alles irgendwie zeitlich unter einen Hut passt. In meinen Zwanzigern waren meine ältesten Kinder noch klein und konnten mich zu den Drehs begleiten. In letzter Zeit war ich viel zu Hause, obwohl ich arbeite. Mir ist es wichtig, in ihre Erziehung involviert zu sein.
Ist Ihren Kindern das Ausmass Ihrer Bekanntheit bewusst?
Oh ja, die älteren machen sich oft darüber lustig. Etwa als Jennifer Lawrence eine Zeitlang «J Law» genannt wurde. Mein Sohn las dann Schlagzeilen über «J Law» und dachte, es ginge um mich. Als ihr Handy gehackt wurde, mit den privaten Fotos, fragte er: «Dad, was ist los? Die haben Nacktfotos von dir?»
Zwei Ihrer Kids haben gemodelt. Hatten Sie manchmal Angst, dass sie dem Image-Kult verfallen?
Rafferty fand es damals cool, sich etwas dazuzuverdienen. Für Iris war Modeln auch nur Mittel zum Zweck, sie liebt Fotografie und Mode. Die Generation heute macht alles gleichzeitig: spielen, Musik machen, einen Blog schreiben, Turnschuhe designen, ein Parfum kreieren und eine Yak-Farm betreiben. Ich hätte ebenfalls einen Haufen guter Ideen für meine Kids.
Wollen sie sie hören?
Nein, natürlich nicht. Sie sind meine Kinder.
«Durch meine Liebsten bin ich viel näher an meinen eigenen Gefühlen»
Tritt Ihr Ältester, Rafferty, der ja mittlerweile 27 ist, in Ihre Fussstapfen?
Raff ist in Kalifornien und hat dort in einer TV-Serie von HBO mitgespielt, «Masters of the Air». Wir haben auch schon einmal gemeinsam vor der Kamera gestanden, in einem Kurzfilm.
Wie wars, den Junior als Kollegen auf Augenhöhe gegenüber zu haben?
Total komisch. Der Film war übrigens eine der Folgen des Lockdowns: Wir waren alle zuhause und haben uns gelangweilt. Das Einzige, was wir tun konnten, war jeden Tag zusammen einen langen Spaziergang zu machen. Und daraus entstand dieser Film, eigentlich als Witz, als Beschäftigung. Und plötzlich (lacht) wird «The Hat» gekauft und auf Festivals geschickt, und bei einem hat er sogar etwas gewonnen! Aber ich schwöre Ihnen: Das hatte mit mir gar nichts zu tun.
Wie essenziell ist Ihre grosse Familie für Ihr Leben?
Meine ganze Familie, nicht nur meine Kinder, sind eine konstante Inspiration, eine Quelle emotionaler Weisheit. Durch meine Liebsten bin ich viel näher an meinen eigenen Gefühlen. Das Knifflige an meinem Beruf ist, dass ich selbst die Gefühle spüren muss, die ich spiele, aber gleichzeitig darf ich nicht ich selbst sein – ich muss voll in der Figur aufgehen. Den Mittelweg zu finden zwischen echten Gefühlen und fiktiven Charakteren, ist manchmal wirklich schwierig.
Wie viel Zeit reservieren Sie für die Familie, wenn Sie zwischen den Filmsets hin- und herwechseln, heute in Cannes sind und morgen in Kanada?
Meinen Job empfinde ich trotzdem als normalen Beruf: Mein Zuhause ist mein sicherer Ort, mein Hafen, wenn ich dort bin, bringe ich meine Jüngsten ins Bett und wecke sie morgens wieder auf. Zumindest am Wochenende. Oder im Urlaub. Und den Sommer verbringen wir alle zusammen in Frankreich. Meine Eltern lebten länger in Frankreich, sind jetzt wieder zurück nach England gegangen. Unser Haus gibt es aber immer noch, und das ist jetzt unser aller Familien-Sommerdomizil.
Wie haben Sie sich in den vergangenen zwanzig Jahren als Schauspieler verändert?
Ich glaube, dass ich meine Rollen inzwischen mit mehr Fingerspitzengefühl aussuche. Ich kenne mich selbst besser, das wirkt sich auch auf meine Projekte aus. Ausserdem versuche ich Figuren zu spielen, die neue Facetten von mir zeigen. Mit dem Alter ändern sich natürlich auch die Rollen, die ich spielen kann. Mir wird ganz anderes Material angeboten als vor zwanzig Jahren – und das gefällt mir!
«Ich bin nicht mehr der Jüngste und kann gut damit leben»
Tatsächlich?
Tja, auch für mich kam irgendwann der Tag, an dem ich der älteste Schauspieler am Set war! (lacht) Das ist schon okay. Ich bin nicht mehr der Jüngste und kann gut damit leben. Zumindest hält es mich frisch, wenn ich oft mit jungen Filmschaffenden zusammenarbeite.
Eine Ihrer unvergesslichsten Performances ist noch immer der verwöhnte Golden Boy Dickie Greenleaf, ein schwerreicher Playboy in «Der talentierte Mr. Ripley». Dieser Kultfilm von 1999 wurde jetzt gerade neu als TV-Serie verfilmt, unter anderem mit Dakota Fanning. War der Film damals für Sie etwas richtig Grosses?
Und wie. Der Film war ein extrem wichtiger Wendepunkt für mich als Schauspieler. Denn davor hatte ich eigentlich nur kleine Indie-Filme gedreht. Regisseur Anthony Minghella hatte gerade für «Der englische Patient» einige Oscars gewonnen und scharte eine kleine Gruppe von Schauspieler:innen um sich, die allesamt schon Oscar-Preisträger:innen waren …
Matt Damon war damals der Hotshot in Hollywood, er gewann 1997 mit Ben Affleck einen Drehbuch-Oscar für «Good Will Hunting» – das Skript war eigentlich als Uni-Seminararbeit gedacht. Und Gwyneth Paltrow hatte gerade ihre berühmten Tränen bei der Oscar-Gala 1998 vergossen, für die Trophäe für «Shakespeare in Love» …
Genau. Mit dieser Truppe zusammenzuarbeiten, hiess, auch automatisch in deren Rampenlicht gestellt zu werden. Das hat die Wahrnehmung oder das Bewusstsein für mich in der Branche und wohl auch beim Kinopublikum total verändert. Fast alle Filme, die ich mit Anthony gemacht habe, haben etwas Ähnliches bewirkt. Ein weiterer Wendepunkt war sonst vielleicht noch die Arbeit an «Sherlock Holmes». Das war das erste Mal, dass ich an einem kommerziellen Filmprojekt mit einem richtig fetten Budget gearbeitet habe, und das hat auch vieles verändert – einfach schon durch die riesige Anzahl der Menschen, die diesen Film sahen.
«Für einen Schauspieler ist die Aufgabe reizvoll: Unter einem Widerling immer mal wieder den goldenen Gott durchscheinen zu lassen»
Was reizt Sie, so einen – Verzeihung, aber – unangenehmen, hässlichen Despoten wie den englischen König Heinrich VIII. in «Das Spiel der Königin» zu geben, der in Cannes lief und jetzt bei uns im Streaming zu sehen ist?
Es gibt zwar all diese Porträts von Heinrich VIII., all diese historischen Fakten, aber sie führten nie dazu, dass man erkennt, wer dieser Typ war: ein verblendeter Tyrann, ein Alkoholiker, er litt unter Psychosen und körperlichen Schmerzen und fügte sich selbst auch noch Qualen zu. Mit all diesen Schichten zu jonglieren, ist natürlich eine wunderbare Gelegenheit für einen Schauspieler.
Sie haben ein Herz für Scheusale?
Für einen Schauspieler ist die Aufgabe reizvoll: Unter einem Widerling immer mal wieder den goldenen Gott durchscheinen zu lassen, der dieses selbsthassende Monster in jungen Jahren mal war. Was für eine Reise.
Wie gelingt Ihnen die innere und äusserliche Verwandlung?
Ganz ehrlich: Für mich gibt es beim Film noch so etwas wie Magie. Tricks, die einen Zauber suggerieren, und plötzlich wirkt alles anders. Eigentlich gefällt es mir, all die kleinen Geheimnisse für mich zu behalten, statt alles zu verraten. Ich will ja versuchen, mich zu verwandeln.
Verraten Sie uns zumindest einen Ihrer Tricks?
Für Heinrich VIII. habe ich nicht nur ein paar Kilos zugelegt, sondern auch total unbequeme, schwere Schuhe getragen, sodass der Gang schwerfällig und schleppend wurde. Und dann die vielen Schichten an Gewändern, die man damals trug – da sah jede:r aus wie eine Eiche!
Seit Ihrer Anfangszeit beim Film bis heute hat sich einiges verändert. Wie finden Sie es, Sexszenen mit inzwischen breit eingesetzten Intimacy-Koordinator:innen zu drehen?
Wenn die Person gut ist, kann das solche Szenen für alle Beteiligten sehr einfach machen. In «Das Spiel der Königin» gab es eine brillante Intimacy-Koordinatorin. Dass ich mich sicher und aufgehoben fühlte, lag aber auch an Alicia Vikander. Wir kannten uns eh schon, aber in diesem Film haben wir ein sehr enges Verhältnis zueinander entwickelt. Alicia ist super und immer sehr mutig.
Apropos mutig: War das eigentlich Ihr Hintern, der da nackt zu sehen war?
(lacht) Es war seiner – der königliche Hintern von Heinrich. Ist doch klar.
Stars wie Könige werden verehrt, verklärt und verursachen Hysterie. Gab es Momente, in denen es Sie verstörte, so angehimmelt zu werden?
Wenn das je so war, habe ich es nicht registriert. Ich habe kein Bestreben danach, angestarrt oder erhöht zu werden. Ich wollte immer nur in Rollen schlüpfen, Geschichten erzählen, meinen Beitrag in der Theater- und Filmwelt leisten. Ich habe auch kein Interesse am Privatleben anderer Leute. Mir ist egal, was sie anhaben, was sie trinken oder mit wem sie ins Bett gehen.
«Beim Filmemachen sind übersteigerte Egos gar nicht so häufig wie vermutet»
Jetzt mal ehrlich: Kommt einem Star nicht zwangsläufig mal sein eigenes Ego in die Quere?
Ich glaube, wir alle müssen uns mit unserem Ego auseinandersetzen. Jedes Umfeld, gerade in der Geschäftswelt, kann Fallstricke für das Selbstwertgefühl bereithalten. Beim Filmemachen sind übersteigerte Egos gar nicht so häufig wie vermutet, denn es handelt sich um eine gemeinschaftliche Kunstform. Wenn dein Ego da zu gross wird, verhindert es das Zusammenspiel im Team. Da sollte man besser ein gesundes Verhältnis zu sich selbst haben.
Sie sind am Set keine Diva?
Ich mag es gar nicht, wenn Schauspieler: innen sich zu wichtig nehmen und sich für den Mittelpunkt der ganzen Produktion halten. In meinem Beruf bin ich Dienstleister für die Regie führende Person, also mache ich meinen Job, so gut ich kann. Manchmal passieren dann magische Dinge, und manchmal endet das Ganze in einem Desaster. (lacht)
Was ist als Brite Ihre Haltung zur Institution der Monarchie?
Ich weiss es nicht … Ich mache mir über die Monarchie kaum Gedanken.
Haben Sie die Krönung von König Charles im Fernsehen mitverfolgt?
Ich war gerade in Kanada, da stehe ich nicht freiwillig um vier Uhr morgens auf, um mir die Krönung anzusehen. Aber ich sah danach ein paar Fotos davon. Ich fand es seltsam, aus der Zeit gefallen, diese mittelalterlichen Rituale zu betrachten – kurz nachdem ich meine Rolle als Heinrich VIII. abgelegt hatte. Auf mich wirkte es umso stärker wie eine Aufführung, eine theatralische Darstellung. Ein Spiel.
«Die Männer haben doch schon genug Mist gebaut. Ich finde: Lasst besser mal die Frauen ran»
Was finden Sie schwieriger: Hollywoodstar zu sein oder König?
(überlegt) Ich glaube, ein Regent zu sein, ist schwierig. Ich wäre ein furchtbarer König. Ich würde den Kopf in den Sand stecken, die Aufgabe verweigern und bei jeder Entscheidung, die zu treffen wäre, heulen: «Keine Ahnung. Fragt mich bitte nicht!»
Und dann würden Sie Ihre Frau regieren lassen?
Ja. Die Männer haben doch schon genug Mist gebaut. Es ist erstaunlich, dass sie trotzdem ihren Platz in der Geschichtsschreibung behauptet haben, mehr im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert sind. Ich finde: Lasst besser mal die Frauen ran.
Wird man mit dem Alter klüger?
Automatisch passiert das nicht. Aber wenn man es mit dem Älterwerden richtig anstellt, lernt man schon sehr viel über das Leben. Das klappt halt leider nicht bei allen. (lacht) Das Wichtigste ist, dass man aus seinen Fehlern lernt. Man muss die Lektionen des Lebens schon verstehen, damit man an ihnen wachsen kann.
Funktioniert dieses Prinzip bei Ihnen?
Schwer zu sagen! Ich gebe mir auf jeden Fall sehr viel Mühe.
«Das Spiel der Königin» ist zum Kaufen und Leihen auf allen gängigen Video-on-Demand-Plattformen erhältlich.