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Sängerin Jessie Reyez: «Die Pandemie hat mich als Person verändert»

Sängerin Jessie Reyez: «Die Pandemie hat mich als Person verändert»

Mit ihrem zweiten Album schlägt Jessie Reyez optimistischere Töne an. Uns erzählte die kanadische Sängerin im Interview, wie sich ihre Beziehung zur Liebe verändert hat und welche Selbsthilfestrategien ihr in schwierigen Momenten helfen.

Jessie Reyez machte sich mit intimen Songtexten und als Support Act ihrer guten Freundin Billie Eilish einen Namen. Ihr erster Hit, der eingängige, hyper-rohe Heartbreak-Song «Figures», war ein erster Vorbote auf den Ton, den sie bis heute setzt.

Die in Kolumbien verwurzelte Kanadierin thematisiert in ihrer Musik seit jeher Herzschmerz weit über klassischen Trennungsschmerz hinaus. Die Sängerin sprach offen über ihre Erfahrungen mit häuslicher Gewalt und sexuellen Übergriffen. 2018 erklärte sie, dass Musikproduzent Noel Fisher aka Detail, der etwa für Beyoncé oder Whiz Kalifa arbeitete, sie bedrängt habe. Seit 2020 steht der Grammy-Gewinner vor Gericht. Verhandelt werden derzeit Klagen mehrerer dutzend Frauen, die Fisher sexuell missbraucht und teils vergewaltigt haben soll.

Mit der Veröffentlichung ihres zweiten Albums «Yessie» lenkt Jessie Reyez in ihrem Singer-Songwriter-R’n’B nun weg vom Schmerz und hin zu etwas Optimistischerem. Zwischen den US-Terminen ihrer aktuellen Tour nahm sich die Musikerin kurz Zeit, via Zoom von den Dingen zu berichten, die ihre Musik und die neue Zuversicht inspirierten.

annabelle: Jessie, Sie sind gerade mit Ihrem Album auf Tour. Im Grunde ist das eine Premiere, denn die Konzerte zu Ihrem Debütalbum fielen 2020 Corona-Restriktionen zum Opfer. Mit welchen Gefühlen betreten Sie heute eine Bühne?
Jessie Reyez: Ich bin ganz im Moment. Dass es mir nach vielen Anläufen und Rückschlägen gelingt, meine Stimme intakt zu halten und all die Leute zu sehen, die an meine Shows kommen und nach so kurzer Zeit die Songs schon Wort für Wort mitsingen, macht mich sehr glücklich. Und ich habe Spass daran, gesund zu bleiben.

Letzteres hört man auch Ihrem Album «Yessie» an. Es klingt weit wärmer und optimistischer als Ihr Debüt «Before Love Came To Kill Us». Was hat diesen Wandel ausgelöst?
Das Leben. Es inspiriert meine Musik – das tat es schon immer und das hat sich auch nicht verändert. Aber die Pandemie hat mich als Person verändert.

Was passierte bei Ihnen ganz konkret?
Ich fand das Buch «Jetzt! Die Kraft der Gegenwart» von Eckhart Tolle. Das hat alles verändert; es machte mich präsenter im Leben und brachte mich wieder in Verbindung mit meiner Intuition. Auch als Künstlerin vertraue ich heute viel mehr auf mich selbst.

War es wirklich nur dieses Buch, das den Wandel initiierte?
Nein. Ich war depressiv. Und wenn du drohst, zu ertrinken, geht es manchmal einfach nur darum, Halt zu finden – an einem Ast, der an dir entlang driftet. An einem Strohhalm. Ich habe damals viel Yoga gemacht und intensiv meditiert. Dann verschlang ich an einem Wochenende «Eine neue Erde», das zweite Buch von Eckhart Tolle, und «Jetzt! Die Kraft der Gegenwart». Das war ganz schön viel.

Viel Selbstreflexion?
Ja, ich steckte damals in einer sehr selbstreflektiven Phase – eigentlich stecke ich immer noch drin.

Der Titel Ihres aktuellen Albums deutet es an. Aber warum nannten Sie es «Yessie» und nicht «Jessie»?
Meine Familie nennt mich Yessie, mein Ex nannte mich so. Yessie ist quasi noch einen Schritt näher an mir dran als Jessie.

Sie erklärten einmal, dass die Liebe für Sie in Flutwellen komme und jeder Heilprozess einer Mount-Everest-Besteigung gleiche. Hat sich Ihre Beziehung zur Liebe seither verändert?
Ja, das hat sie. Ich hatte solche Angst vor der Liebe, weil ich in der Vergangenheit schwer verletzt wurde. Am Ende begann ich selber, Menschen zu verletzen, weil ich mich nicht öffnen konnte. Aber als mir das letzte Mal das Herz gebrochen wurde, ging ich die Sache anders an. Ich möchte sagen, ich ging logistischer vor, aber das wird der Magie dieser Erfahrung nicht gerecht (lacht).

Können Sie diese Magie beschreiben?
Damit meine ich diesen wunderschönen Moment, wenn man sich jemandem ganz plötzlich verbunden fühlt. Dann beginnst du, Liebe für dich selbst zu empfinden. Ich spürte damals ein riesiges Glück in mir, weil ich es schaffte, meinen eigenen Wert zu erkennen. Ich wusste, dass alles gut kommt, solange ich mir selbst Acht gebe und mein eigenes Glück nicht in die Hände anderer lege. Heute kann ich Schmerz um Welten besser abschütteln als früher.

Haben Sie konkrete Selbsthilfestrategien, auf die Sie in schwierigen Momenten zurückgreifen?
Bekräftigungen im Spiegel helfen mir sehr. Es muss gegenwärtig sein, ich sage etwa oft: «Hello, you beautiful bitch!» Das bringt mich zum Lachen, aber es gibt auch einfach den Ton für den Tag an. Inzwischen erkenne ich auch, wenn ich Zeit für mich brauche und weiss, dass es nicht egoistisch ist, sie einzufordern. Wenn ich mich selber leer fühle, habe ich anderen nichts zu geben.

Wie verbringen Sie diese Momente für sich?
Ich nutze sie, um zu meditieren, Yoga zu machen, zu lesen, gesund zu essen, zu schlafen – wobei ich mich noch immer schwer tue damit, rechtzeitig ins Bett zu gehen. Aber Selbstliebe hat für mich auch nichts mit Retail Therapy zu tun oder damit, sich ein Stück Kuchen zu gönnen. Oft sind es Dinge, die du nicht unbedingt tun willst, von denen du aber weisst, dass sie gut für dich sind. Dinge, die dich bestärken, die oft mit Disziplin zu tun haben.

Gibt es auf «Yessie» einen Song, der Ihnen besonders nah ist?
Das wechselt täglich, aber momentan ist es «Mood», weil das Lied das Album gut repräsentiert. Ich höre im Song mein Selbstvertrauen und dass ich mich heute viel weniger von Angst leiten lasse. Wenn du lernst, vom Guten auszugehen, auch vom Guten in dir selbst, wird das Leben einfacher. Wenn du etwas verdammt nochmal willst, wirst du nicht mehr zögern. Du kannst die Person sein, die du sein willst. Dafür steht «Mood» für mich.

Jessie Reyez spielt am 26. Januar im Komplex 457 in Zürich.

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