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«Barbie»: Lohnt sich der Kinofilm von Greta Gerwig?
- Text: Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: Dukas
Es ist der Blockbuster des Sommers: Greta Gerwigs «Barbie». Aber lohnt sich der Kinobesuch? Editor-at-large Jacqueline Krause-Blouin hat sich den pinken Spass angeschaut.
Es ist soweit: Greta, the great, Gerwig lässt die Puppen tanzen. Der Blockbuster des Sommers läuft seit Donnerstag in den Kinos und ersten Schätzungen zufolge wird er über
165 Millionen Dollar einspielen. Die Marketingmaschine läuft schon seit Monaten. Es ist das erste Mal, dass sich die Indie-Ikone Gerwig an diese Art von Mainstreamstoff wagt. Ein risikoreicher Schritt – wie gemacht dafür, gecancelt zu werden.
Perfekte Puppen ohne Genitalien
Aber von vorn: Barbie (grandios: Margot Robbie) lebt mit ihren Freundinnen in Barbieland, einem friedlichen Matriarchat, in dem die Frauen jeden Tag den besten Tag ihres Lebens haben, und die Männer, ehm, Ken sind. Die unvergleichliche Helen Mirren berichtet als Erzählerin: «Barbie kann alles sein und dank Barbie wurden alle feministischen Probleme gelöst.»
Weil die Puppen keine Genitalien haben, gibt es so etwas Störendes wie Lust nicht, niemand wird jemals verurteilt, alle sind immer zufrieden und finanziell komplett unabhängig. Die Barbies sind Astronautinnen, Professorinnen, gewinnen Nobelpreise, sehen dabei immer wie aus dem Ei gepellt aus und haben alle ihr eigenes Barbie Dream House.
«Erfrischend, dass man zur Abwechslung mal weiss, wenn etwas echt fake ist»
Life in plastic! Fantastisch sind auch die Kostüme und die Kulissen. Erfrischend, dass man zur Abwechslung in einem Film mal weiss, wenn etwas echt fake ist.
Das perfekte Leben wird nur leider mitten in einer Choreo-Nummer von Barbies dunklen Gedanken über den Tod unterbrochen. Dafür wird sie bestraft. Ihre Füsse sind plötzlich platt und sie bekommt, OMG!, Cellulite! Weil Barbie wirklich, wirklich keine Cellulite möchte, muss sie schnell in die reale Welt, um alles wieder geradezubiegen. Aber ihre Erwartung, als feministische Ikone empfangen zu werden, wird schnell enttäuscht.
Stattdessen wird sie von Männern angegafft und angegraben und von Frauen als Ursache aller weiblichen Selbstzweifel beschimpft. Eine aufmüpfige Teenagerin (Ariana Greenblatt) nennt sie gar eine Faschistin, die mit ihrer Verherrlichung des zügellosen Konsumverhaltens den Planeten zerstöre.
Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, hat Barbie plötzlich auch noch Gefühle. Sie weint eine perfekte Träne. Ken entdeckt indes verzückt das Patriarchat und schmiedet einen Plan, dieses auch in Barbieland zu implementieren. Genug der Unterdrückung! Es folgt ein Kampf der Kens gegen die Barbies. Und jetzt ratet mal, wer am Ende wen überlistet.
Für alle, die Barbie lieben, und für jene, die sie hassen
Der Film soll für Menschen, die Barbie hassen, und jene, die Barbie lieben, gleichermassen sein. Schwieriger kann eine Ausgangslage kaum sein. Der Blockbuster hätte wirklich alles sein können – und das macht die Sache so anspruchsvoll. Aber Greta Gerwig hat mit «Barbie» die einzige Möglichkeit gefunden, wie man die Geschichte einer umstrittenen Ikone der Popkultur 2023 erzählen kann. Selbstironisch, aber nie zynisch – und nie ohne Liebe für die Puppe, mit der so viele von uns aufgewachsen sind.
«Was bedeutet es, eine Frau zu sein?»
Mit ihrem Film verhandelt die Regisseurin die grossen Fragen: Wie wollen wir leben? Was bedeutet es, eine Frau zu sein? Und: Ist Barbie nun Feministin oder sogar das Gegenteil davon?
Zuweilen fragt man sich, wie Greta Gerwig und Margot Robbie, deren Produktionsfirma LuckyChap Entertainment hinter dem Film steht, es geschafft haben, den Barbie-Machern von Mattel diesen Stoff schmackhaft zu machen. Man stelle sich die beiden im Mattel-Hauptsitz vor, wie sie dem CEO erklären, dass es nötig sei, Witze darüber zu machen, dass keine Frau an der Spitze des Konzerns steht. (Will Ferrell spielt den Mattel-Chef grossartig und verteidigt sich mit dem Satz «Aber ich bin der Neffe einer weiblichen Tante!»)
«Barbie zerfleischt alles, was am kommerziellen Amerika furchtbar ist, und ist gleichzeitig kommerzieller als alles»
Wie haben sie es geschafft, alles, was problematisch an Barbie ist, zu thematisieren, obwohl Mattel doch immer krampfhaft versucht hat, das Image der Puppe zu verbessern? «Barbie» zerfleischt alles, was am kommerziellen Amerika furchtbar ist, und ist gleichzeitig selbst kommerzieller als alles. Das ist genial und der einzige Weg für Gerwig, an diesem Projekt nicht zu scheitern.
Barbie in der Sinnkrise
«Barbie» ist ein lustiger Film. Aber er ist so viel mehr als das. Er ist ein Stück Zeitgeist und überraschend berührend (unglaublich gut: der Filmsong «What Was I Made For» von Billie Eilish). Wenn Barbie in der Sinnkrise steckt, kann man das als den Moment verstehen, in dem kleinen Mädchen bewusst wird, was es bedeuten könnte, eine Frau in der westlichen Welt zu sein.
Es ist der Moment, in dem sie nicht mehr selbstbewusst ein Glitzertutu über ein Prinzessinenkleid und drei Kronen gleichzeitig tragen. Sondern still werden, weil sie merken, dass es besser ankommt, wenn man sich anpasst. Wenn man nicht auffällt, wenn man hübsch ist, aber nicht zu schön. Dünn, aber nicht zu dünn, schlau, aber nicht zu schlau, selbstbewusst, aber nicht eingebildet, erfolgreich, aber nicht karrieregeil, eine liebende Mama, aber keine Helikoptermutter.
Barbie fragt sich, ob man als Frau eigentlich nur verlieren kann, und versinkt in Selbstzweifeln. Wenn ihr die trotzige Teenagerin an den Kopf knallt, dass sie alles repräsentiere, was mit unserer Welt nicht stimmt, ist das niederschmetternd und überraschend tiefgründig in einer Jeff-Koons-pinken Kulisse.
Ist sie nun eine Feministin oder nicht?
Zum Schluss die wichtigste Frage: Ist Barbie nun eine Feministin oder nicht? Nun, die Sachlage ist komplex. Ja, Barbie ist vor Neil Armstrong zum Mond geflogen. Ja, Barbie war Präsidentin der Vereinigten Staaten, was bisher noch keine Frau aus Fleisch und Blut geschafft hat. Ja – und das ist vielleicht das Radikalste an ihr –, Barbie hat nie ein Kind bekommen und sich immer selbst versorgt (Barbies Freundin «pregnant Midge» wurde sehr schnell wieder aus dem Sortiment genommen). Aber es gab die Puppe eben auch in einer Pyjama-Party-Version mit einer Waage, die auf 55 kg festgesetzt war, und einem Diätratgeber, in dem einzig der Tipp «Don’t eat» stand.
Barbie war schon immer eine Projektionsfläche, sie kann tatsächlich alles sein. Für Greta Gerwig und Margot Robbie ist sie natürlich eine Feministin. Aber es wäre plump gewesen, eine pinke Feel-Good-Girl-Power-Party mit Spice-Girls-Soundtrack zu feiern. Barbie ist auf der Suche. Weil sie alles sein kann, weiss sie nicht mehr, wer sie sein will. Und das ist vielleicht die Essenz des modernen Frauseins.
PS: Es liegt in der Natur des Stoffes, dass man nicht sehr viel über Ken spricht, aber Ryan Gosling (besonders in seinem Batik-Pullover mit der Aufschrift «I am Kenough») ist eine Wucht.
Hier erfahrt ihr, wann und wo «Barbie» in den Schweizer Kinos läuft.
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