Werbung
Regisseurin Petra Volpe:

Regisseurin Petra Volpe: "Mein neuer Film ist ein grosses Dankeschön an Pflegende"

In Petra Volpes neuem Film "Heldin" wird man mitgerissen in die Spätschicht einer Pflegefachfrau. Wir haben mit der Schweizer Regisseurin über den Pflegenotstand, den Wert menschlicher Interaktionen und fehlende Wertschätzung gesprochen.

Floria steigt aus dem Bus und betritt nach wenigen Schritten das Spital. Raus aus den Privatklamotten, rein in die Uniform. Sie streift damit auch ein Stück weit die Privatperson Floria ab, stülpt sich die professionelle Rolle der Pflegefachkraft über. Die nächsten acht Stunden rennt sie nonstop. Hält Hände von todkranken Patient:innen, erträgt Schimpftiraden, trocknet Tränen, singt gegen die Angst an, verabreicht Medikamente, schiebt Spitalbetten durch endlose Korridore, nimmt unzählige Anrufe entgegen.

Als Zuschauer:in wird man im Spielfilm "Heldin" – Drehbuch und Regie von Petra Volpe (54) – mitgerissen in diese Spätschicht von Floria (Leonie Benesch), rennt atemlos mit, fühlt den Stress, die Verzweiflung, das Mitgefühl; bleibt ergriffen und betroffen, wütend und beschämt zurück.

annabelle: Petra Volpe, das Spital ist eng mit dem Leben verbunden, die meisten von uns wurden dort geboren, viele werden dort sterben. Sind wir aber nicht gerade Patient:in oder Angehörige, gelingt es uns sehr gut, die Parallelwelt Spital auszublenden. Warum tun wir das?
Petra Volpe: Spitäler machen uns Angst, sie sind oft mit Schmerz verbunden. Es ist ein Worst-Case-Szenario, dass wir selbst oder geliebte Personen dort landen. Wir alle hoffen, nicht hinzumüssen, und verschliessen deshalb die Augen vor diesem Ort – und der Arbeit, die da geleistet wird.

Während der Pandemie waren Pflegende sehr präsent, wurden gefeiert, wir alle applaudierten. Seither wurden sie wieder unsichtbar. Haben wir nichts gelernt?
Leider blieb der erhoffte Reset aus. Covid hat sicher geholfen, dass die Pflegeinitiative angenommen wurde, mit deren Umsetzung hapert es jetzt aber, wir haben die Dringlichkeit der Anliegen von Pflegenden schnell wieder verdrängt. Und lassen sie in ihrem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen heute weitgehend allein.

Werbung

"Care-Arbeit liegt vermeintlich in der Natur der Frau, wird oft unbezahlt geleistet, und das wird unterschwellig auch von Pflegenden erwartet"

Was sagt es über uns als Gesellschaft, dass wir Pflegefachkräften gegenüber so wenig Wertschätzung zeigen?
Das hat sicher damit zu tun, dass es historisch gesehen ein Frauenberuf ist. Früher pflegten Nonnen die Kranken. Man hält die Arbeit der Frauen – und das sind sie überwiegend, noch heute sind mehr als achtzig Prozent der Pflegenden weiblich – für selbstverständlich. Schliesslich liegt Care-Arbeit vermeintlich in der Natur der Frau, wird oft unbezahlt geleistet, und das wird unterschwellig auch erwartet.

Die Patient:innen und ihre Angehörigen im Film erwarten Florias uneingeschränkte Aufmerksamkeit: Der Privatpatient, der jetzt sofort einen Tee will und mit der Stoppuhr in der Hand überprüft, wie lange er darauf warten muss. Die Söhne einer Patientin, die von der Pflegefachfrau verlangen, ihre reguläre Runde zu unterbrechen und zuallererst ihre Mutter zu betreuen. Die Frau, deren Infusion gewechselt werden soll, die Floria drängt, ihr im Korridor auflauert, immer und immer wieder.

Der Film hält einem als Zuschauer:in ziemlich erbarmungslos den Spiegel vor. Wieso werden wir so egoistisch, wenn es um unsere Gesundheit geht?
Wir sind grundsätzlich eine sehr egoistische, hyperindividualistische Gesellschaft und setzen unser eigenes Befinden immer an erste Stelle. Wenn man selbst oder eine nahestehende Person im Spital gepflegt wird, ist das ein Ausnahmezustand – oft sogar ein Wendepunkt im Leben, das dieses in ein Davor und Danach teilt. Für Pflegende hingegen ist das Alltag, und die Patient:innen sind Teil des Jobs.

Was man den Pflegenden übelnimmt?
Man erwartet, in dieser für einen speziellen Situation speziell behandelt zu werden. Das führt zu einer starken Dissonanz. Und man vergisst als Patient:in, dass viele Abteilungen unterbesetzt sind, zu wenig Personal da ist, das sich kümmern kann. Das schafft unglaublich viel Frustration, und die wird dann ausgerechnet an denen ausgelassen, die da sind.

Werbung

Wie wir uns anderen gegenüber verhalten, sagt bekanntlich viel über uns als Menschen aus.
Genau das wollte ich in den Mittelpunkt rücken: Wie wertvoll menschliche Interaktionen sind, wie präsent und menschlich Pflegende in diesen kurzen Begegnungen sind und wie sie ihr Gegenüber vollumfänglich als Menschen wahrnehmen. Denn man muss von jemandem gar nicht so viel wissen, um viel über ihn zu verstehen – wenn man aufmerksam ist.

Einer der ergreifendsten Momente des Films: Eine ältere Patientin ist orientierungslos, hat Angst. Ihre Tochter ruft aus den USA an, verwirrt sie noch mehr. "Sie singt gern", sagte der Kollege bei der Schichtübergabe zu Floria. Und so setzt sie sich ans Bett und singt mit der alten Frau "Der Mond ist aufgegangen" – mitten im Trubel aus ungeduldigen Patient:innen, Angehörigen, Kolleg:innen, Ärzt:innen.

Was hat Sie dazu veranlasst, einen Film über eine Pflegende zu drehen?
Ich habe früher mit einer Pflegefachfrau zusammengewohnt und damals schon immer gedacht, wie banal mein Alltag war im Vergleich zu ihrem. Ich quälte mich mit einem Skript ab, während sie abends furchtbare Geschichten von Angehörigen und Sterbenden erzählte. Das Thema beschäftigt mich also schon lange, ich fand nur die richtige Form nicht, um den Stoff zu erzählen. Als ich das Buch "Unser Beruf ist nicht das Problem. Es sind die Umstände" der jungen deutschen Pflegefachkraft Madeline Calvelage gelesen hatte, war mir klar: Das ist der Film. Eine ganz normale Schicht einer Pflegefachkraft, die sich aber anfühlt wie ein Thriller. Ich kriegte beim Lesen fast Herzrhythmusstörungen und wollte dieses Gefühl der Atemlosigkeit, des Mitrennens auch bei meinen Zuschauer:innen auslösen.

"Nach meinen Recherche-Schichten war ich nudelfertig, nur schon vom Zuschauen"

Wie haben Sie recherchiert?
Ich habe Kontakt mit Madeline Calvelage aufgenommen und sie hat mich zusammen mit einer Schweizer Pflegefachkraft während der Drehbucharbeit begleitet. Zudem habe ich Interviews mit vielen Pflegefachkräften geführt, wollte wissen, wie die Situation in Schweizer Spitälern ist, wie ihre Haltung zum Beruf ist, wie es den Pflegenden geht – gerade auch nach Covid. Und dann bin ich als Schatten zweimal im Spital mit Pflegenden mitgelaufen. Nach diesen acht Stunden war ich beide Male nudelfertig, nur schon vom Zuschauen. Und es handelte sich sogar um Abteilungen, die okay besetzt waren. Selbst dann: Die Konzentration, das Fachwissen, die Menschlichkeit, die einem abverlangt wird – das ist ein irrer Job, den jeden Tag Tausende machen, einfach so.

Im Film ist man sehr nah dran am Alltag einer Pflegefachfrau. Haben Sie mal überlegt, einen Dokumentarfilm zu machen?
Nein, für mich war von Anfang an klar, dass es ein Spielfilm wird. Ich wollte den Film aktiv gestalten, er sollte eine physische Erfahrung sein und bei den Zuschauer:innen das Gefühl auslösen, selbst die Schicht mitzuarbeiten. Es brauchte eine bewusste Dramaturgie, Inszenierung und Gestaltung, um diesen Effekt zu erzielen und das Publikum mitzureissen.

Den Stress, dem man in diesem Job ausgesetzt ist, spürt man auch als Zuschauer:in sehr gut. Was hat Sie persönlich am meisten überrascht vor Ort im Spital?
Die Komplexität dieses Jobs physisch mitzuerleben, hat mich beeindruckt. Was es bedeutet, für all diese Patient:innen millilitergenau Medikamente abmessen zu müssen, konzentriert und fokussiert, und gleichzeitig möglichst schnell zu sein. Und die Hingabe dieser Frauen zu ihrem Beruf. Es ist nicht so, dass alle leiden und hassen, was sie tun – im Gegenteil: Die meisten, die ich getroffen habe, sagen nach wie vor, dass sie ihren Beruf lieben.

Und doch steigen 36 Prozent der Pflegefachkräfte bereits nach vier Jahren wieder aus dem Job aus. Bis 2030 werden uns allein hierzulande 30'000 Pflegende fehlen. Wie kommen wir da wortwörtlich heil raus?
Indem die Politik das Thema und die Forderungen der Pflegenden ernst nimmt. Die Arbeitsbedingungen müssen sich verbessern – und da geht es nicht nur um den Lohn. Es geht auch um besser besetzte Abteilungen, flexiblere Arbeitszeiten für Pflegende mit Familie, bezahlte Weiterbildungsmöglichkeiten. Alles, was hilft, damit junge Pflegende nicht nach vier Jahren schon ausgebrannt sind. Unsere Gesellschaft wird immer älter, die Medizin verbessert sich stetig. Doch die meisten schlafen nicht mit 99 Jahren topfit friedlich ein, sondern sind während einer langen Phase abhängig von Pflegenden. Es muss ein Sinneswandel stattfinden, eine Verschiebung der Prioritäten. Wir sind alle potentielle Patient:innen und hoffentlich irgendwann alte Menschen. In unserem Leben ist eine Pflegefachkraft oft die erste und dann auch die letzte Person, die uns berührt, die sich um uns kümmert, an unserem Bett sitzt.

Welche Folgen der Mangel an Pflegepersonal hat, wird in "Heldin" eindrücklich geschildert. Eine ältere Frau kann nicht allein essen, Floria muss aber genau während der Essenszeit einen Patienten zur Untersuchung bringen, auch dort fehlt Personal und niemand kann ihn abholen kommen. Die junge Kollegin soll übernehmen, muss aber anderswo noch aushelfen. Die Frau versucht selbst zu essen und verschmutzt sich dabei komplett. Als Floria es entdeckt, lässt sie ihren Ärger darüber an der jungen Kollegin aus.

Die Mischung im Pflegeteam aus Sympathie, Hilfsbereitschaft, aber auch Schroffheit und wütenden Momenten, weil alle am Anschlag sind, stimmt einen nachdenklich. Wie wichtig ist es in dem Beruf, nicht auf sich allein gestellt zu sein?
Das Team ist unglaublich wichtig, der Zusammenhalt untereinander essenziell – und vielerorts spürbar. Aber es gibt auch diesen Spruch "nurses eat their young", der nicht von irgendwo kommt. Gerade junge Pflegende werden tragischerweise teils schlecht behandelt von älteren, die so ausgebrannt, erschöpft und frustriert sind, dass sie nur noch um sich beissen. Der Druck von aussen richtet sich – wie überall – oft gegen innen, gegeneinander.

Was erhoffen Sie sich von diesem Film?
Gerade bei diesem Film hatten wir als Team das Gefühl, etwas wirklich Wichtiges zu machen. Ein Film, in dem sich die Pflegenden hoffentlich gesehen fühlen, mit dem wir ihnen ein Denkmal gesetzt haben, ein grosses Dankeschön an diesen Beruf.

Wie hat sich Ihr eigener Blick aufs Gesundheitswesen und die eigene Gesundheit durch die Arbeit an diesem Film verändert?
Sie hat mehr Wertschätzung für meinen gut funktionierenden Körper ausgelöst. Ich versuche jetzt noch mehr dafür zu tun, nicht ins Spital zu müssen. Aber auch eine unglaubliche Dankbarkeit für die Pflegenden, die sich um mich kümmern würden, wenn es dann doch anders käme. Meine Mutter hatte während des Drehs eine Notfalloperation und ist genau auf derselben Abteilung gelandet, um die sich auch mein Film dreht. Ich ging dann jeden Morgen ins Spital zu ihr und abends zum Dreh; führte dieselben Unterhaltungen mit Pflegenden und Ärzt:innen wie meine Patient:innen und Angehörigen im Film. Das war wie ein Fiebertraum. Dank der guten Pflege geht es ihr heute wieder gut. Aber es war eine krasse Erinnerung daran, dass wir alle nur eine Hundertstelsekunde von dieser Parallelwelt Spital entfernt sind. Rein schon aus egoistischen Gründen müssten also wir potenziellen Patient:innen auf die Strasse, um für die Pflegenden zu kämpfen.

Ab 27. 2. im Kino: "Heldin"

Abonniere
Benachrichtigung über
guest
1 Comment
Älteste
Neuste Meistgewählt
Inline Feedbacks
View all comments
Helena Trachsel

Grossartig, differenziert, erschütternd, ehrlich und zeigt Lösungen auf! Bravo, @Petra Volpe und Annabelle 🌹