Und der Quartz geht schon wieder in die Romandie? Warum die besten Filme des Landes meist aus der Westschweiz kommen.
Wenn dieser Tage der Quartz, der wichtigste Filmpreis der Schweiz, verliehen wird, könnte schon wieder ein Werk aus der Romandie gewinnen. Was machen die Westschweizer besser?
Ökonomisch gesehen ist die Deutschschweiz das Zentrum des Schweizer Films. Hier finden sich die finanzstarken Förderinstitutionen, die das hiesige Filmschaffen alimentieren. Hier arbeiten die meisten Produzenten.
Und künstlerisch? Da lohnt sich eher der Blick in die Romandie, wo der junge Lionel Baier 2004 seine provokante Psychostudie «Garçon stupide» vorstellte und damit eine neue Welle des Westschweizer Kinos lostrat. Wenn das Ausland heute über den Schweizer Film spricht, meint es diese Werke. Filme wie «Home» von Ursula Meier, der in 45 Ländern zu sehen war, inklusive den USA. Oder «Cleveland versus Wall Street» von Jean-Stéphane Bron, der die Schweiz 2010 am Festival von Cannes vertrat – eine Ehre, auf die Deutschschweizer Filmemacher seit vielen Jahren vergeblich warten.
Aus der Romandie stammen auch die Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond, die jetzt ihren ersten Film «La petite chambre» vorstellen, ein Sozialdrama von erstaunlicher Reife. Produziert wurde es von der Zürcherin Ruth Waldburger, einer der ganz Grossen der Branche, die mit Ikonen wie Jean-Luc Godard zusammenarbeitet. «Erst sagte sie, dass sie keine Filme von Debütanten produziere», erzählt Stéphanie Chuat mit verhaltenem Stolz. Doch dann war Waldburger von der Story und dem Durchhaltewillen der Regisseurinnen so beeindruckt, dass sie ihre Meinung änderte. Für den am 12. März in Luzern verliehenen Quartz, den wichtigsten Filmpreis der Schweiz, ist «La petite chambre» gleich zweimal nominiert: bester Spielfilm, bestes Drehbuch. Die Chancen auf mindestens eine der Trophäen stehen gut.
2009 gewann den Quartz Ursula Meier mit «Home». Letztes Jahr musste sich überraschend die populäre Deutschschweizer Komödie «Giulias Verschwinden» vom harschen Bergdrama «Coeur animal» des Lausanners Séverine Cornamusaz geschlagen geben. Bewegt sich das Westschweizer Kino einfach auf höherem Niveau?
Schauen wir uns den unterlegenen «Giulias Verschwinden » einmal genauer an: kein schlechter Film, ohne Frage. Aber alles wirkt so schrecklich wohltemperiert. Ein bisschen Lamento über die Unbill des Alterns, ein bisschen Kritik an der oberflächlichen Konsumhaltung unserer Tage – und dann ganz viel Wohlfühlkino, damit die Balance wieder stimmt. Bloss nicht zu sehr anecken, bloss niemanden vergraulen.
Zum Vergleich «La petite chambre», auch das ein Film über das Altern. Doch hat die Geschichte eines Rentners, der um keinen Preis ins Altersheim abgeschoben werden will, eine unversöhnliche, radikale Qualität, die man in «Giulias Verschwinden» vergeblich sucht. Das heisst nicht, dass der Film anstrengend wäre. «Ich will keine Sachen machen, die man seinen Freunden nicht für den Samstagabend empfehlen kann», sagt die Regisseurin Stéphanie Chuat. Zwar erzählt sie von Kummer, Bitterkeit und Schmerz, aber mit komischen, leichten Momenten durchsetzt. Der Film hat eine innere Stimmigkeit. Eine dramaturgische Konsequenz, die für das Schaffen in der Romandie typisch ist, auch wenn sie zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führt. Dazu gehören Genrestücke wie der Polizeifilm «Complices» von Frédéric Mermoud. Experimentelle, emotional packende Filme wie «Cleveland versus Wall Street». Und natürlich «Home» diese mutige Metapher auf die Unmöglichkeit unserer Bunkermentalität.
Für die «Home»-Regisseurin Ursula Meier ist Film «eine Sprache ohne Limit». Bei Deutschschweizer Regisseuren dagegen scheint irgendwie immer eine Bremse eingebaut. Man spürt den Mentalitäts- und Kulturunterschied. Die Romands verstehen sich als Cineasten: Die siebte Kunst ist ihnen heilig, da werden keine Kompromisse gemacht. In der Deutschschweiz dagegen wird kaum mehr zwischen Kino und Fernsehen unterschieden. Das führt zu unaufgeregten Durchschnittsdramaturgien, in denen die Kunst dem Quotendenken untergeordnet ist. Natürlich gibts Ausnahmen. Michael Steiner etwa, dem wir das aufsehenerregende Dokudrama «Grounding» verdanken. Und was immer man über sein effektgesättigtes «Sennentuntschi» denkt – Steiner ist jedenfalls kein Mann, der das kreative Risiko scheut. So ist auch «Sennentuntschi» in drei Kategorien für den Quartz nominiert.
Vier der spannendsten Exponenten der Westschweizer Filmszene, Jean-Stéphane Bron, Frédéric Mermoud, Ursula Meier und Lionel Baier, werden ihre Kräfte künftig bündeln. In einer gemeinsamen Gesellschaft, an der auch Ruth Waldburger beteiligt ist. Die Firma heisst nach einem Godard-Klassiker aus der frühen Sechzigern: Bande à part; grob übersetzt: ein eigener Weg. Es sieht ganz so aus, dass hier ein Kino entsteht, das diesen Namen auch verdient.
12. März: Quartz 2011, KKL Luzern, roter Teppich ab 17 Uhr, Preisverleihung 19 bis 21 Uhr