In China ist sie ein Superstar. Der politischen Sprengkraft ihres Ethnopop ist sie sich aber nicht bewusst. Oder kann sie auf ihrem Schweiz-Besuch nicht frei sprechen?
Sa Dingding trägt ein wunderschönes traditionelles Kleid. Die hübsche Halbmongolin posiert für den Fotografen und formt dabei die Hände zu buddhistischen Gesten. In Asien ist die 26-Jährige längst ein Star, ihre erste CD, «Alive», hat sich dort über zwei Millionen Mal verkauft. Nun soll Sa Dingding im Westen aufgebaut werden, in der Hoffnung, dass sie den Weg bereitet für eine weitere Ethnowelle: Pop aus Asien. Ihr erstes Album ist bereits im Jahr 2007 erschienen, für das zweite, «Harmony», hat man nun Björk- und U2-Produzent Marius de Vries geholt. Das Resultat: spirituell angehauchte, leichtfüssige Songs, die beim ersten Hören seltsam steril und fremd im Ohr klingen. Man darf gespannt sein, ob Sa Dingding die Hoffnungen, die in sie gesetzt werden, erfüllen wird.
Wer mit der Chinesin durch die Zürcher Clubs zieht, stellt schnell fest: Bislang ist ihr Gesicht hier noch unbekannt. Von der Türsteherin des an diesem Abend ausverkauften In-Clubs Exil werden sie und ihr Gefolge ungerührt abgewiesen, und auch im prall gefüllten Kaufleuten dreht sich keiner nach der klein gewachsenen Frau um. Stattdessen wirken sie und ihre Übersetzerin wie zwei sympathische junge Touristinnen, wie sie zwischen all den Konzertbesuchern fröhlich kichernd die Köpfe zusammenstecken, die Finger zum Victory-Zeichen erheben und Erinnerungsfotos schiessen.
Dabei hat die Sängerin bereits Musikgeschichte geschrieben: «Alive» war das erste chinesische Ethno-Album mit Electrobeats. Im Westen ist dieses Spiel mit der Tradition nichts Neues, ein Rapper, der zusammen mit einem Jodelclub ein Lied aufnimmt, bringt hier niemanden aus der Fassung. Doch Sa Dingdings Musik ist eine Gratwanderung. Sie singt in tibetischer und mongolischer Sprache, auf dem neuen Album auch in der Sprache des Bergvolks der Yi. Mit ihren Songs rückt sie die kulturellen Minderheiten, die von den chinesischen Behörden noch immer unterdrückt werden, ins Bewusstsein der jungen Chinesen, und man fragt sich unweigerlich: Ist sich die junge Frau der Sprengkraft ihrer Kunst bewusst?
Das sei nicht als politisches Statement zu verstehen, relativiert sie sofort, es gehe ihr dabei nur um die «künstlerische Innovation». Die Tochter eines chinesischen Funktionärs und einer mongolischen Ärztin will Kunst und Politik nicht mischen. «Wenn ich politisch etwas ändern möchte», sagt sie, «dann würde ich nicht singen, sondern in die gehen.» Wobei, fügt sie kichernd an, «Künstler in der Politik? Keine gute Idee, wenn man an Arnold Schwarzenegger denkt». Lieber gibt sie sich linientreu: So hält sie die Zwangsansiedlung von 650 000 Nomaden und Halbnomaden für einen sozialen Fortschritt – obwohl sie selbst bis zu ihrem sechsten Lebensjahr bei ihrer Grossmutter im Grasland als Nomadin gelebt hat und diese Zeit nicht nur wegen all der Lieder, die sie dort singen gelernt hat, in wärmster Erinnerung hat.
Kann Sa Dingding nicht frei sprechen wegen der Übersetzerin, die ihr von ihrer chinesischen Plattenfirma an die Seite gestellt worden ist? Oder ist sie einfach eine unpolitische junge Frau, wie es sie auch hier zu Lande zuhauf gibt? Auf diese Fragen gibt es heute keine Antwort, klar wird aber, dass die «asiatische Björk» durchaus eine Mission hat: Es sei schade, sagt sie, dass so viele ihrer chinesischen Altersgenossen ihre kulturellen Wurzeln vergessen hätten, dass alle dieselben westlichen Kleider tragen würden und denselben Abklatsch westlicher Musik hörten. Sie möchte der chinesischen Jugend vorleben, wie man die Welt «mit eigenen Augen sieht» und einen «eigenen Weg» geht. Sa Dingding bietet der chinesischen Mittelstandsjugend eine Alternative zu Folklore und zu westlicher Musik: So gesehen steht ihr Ethnopop auch für eine Differenzierung der Lebensstile in China.
Und so passt es perfekt ins Bild, dass Sa Dingding am liebsten in einer selbst erfundenen Nonsense-Sprache singt, die jeden Gedanken an eine Botschaft hinfällig macht. «In dieser Sprache kann ich meine Emotionen am besten ausdrücken, so entsteht reine Musik», sagt sie. «Ich mag es nicht, wenn sich die Leute zu sehr auf den Text konzentrieren.» Und vielleicht ist ja auch genau das in einem diktatorischen Land wie China bereits subversiv: apolitische Musik zu machen.
Sa Dingding stellt ihr neues Album «Harmony» am 25. Mai im Kaufleuten in Zürich vor.