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Norah Jones – Seelenstreichlerin

Kultur

Norah Jones – Seelenstreichlerin

  • Text: Hanspeter KünzlerFoto: Frank W. Ockenfels

Norah Jones schenkte uns den Blues des schmerzlosen Schmerzes. Zehn Jahre später ist sie noch immer traurig.

Die Stimme von Norah Jones ist ein aussergewöhnliches Instrument. So federleicht folgt sie den Melodien, dass deren herbstliche Stimmung frühlingshafte Frische ausströmt. Niemand seit Leonard Cohen hat Traurigkeit so entspannt vertont wie Norah Jones.

Auf ihrem neuen Album bleibt alles beim Alten. Gut so für Fans, die sie dafür lieben. Enttäuschend für jene, die nicht nur im frechen CD-Cover (der schamlosen Adaption eines Russ-Meyer-Filmposters) eine stilistische Öffnung zu erkennen glaubten, sondern auch in Norah Jones’ Zusammenarbeit mit Danger Mouse, dem cleveren Produzenten und DJ. Seine Frischzellenkur klingt zwar pfiffig – doch traurig ist Mrs. Jones noch immer.

«… Little Broken Hearts» sei ihr zweites «Break-up»-Album in Folge, flüstert sie beim Interview in einem Londoner Hotel und versinkt dabei im Sessel wie ein Vögelchen im Nest. Trennungsalbum? Man wird hellhörig, möchte mehr erfahren über das Beziehungsgeflecht der scheuen Künstlerin, – «aber dass ich lauter Trennungslieder schrieb, ist reiner Zufall», schiebt sie nach, als wir schon glaubten, einen Spalt im Vorhang ihrer höflichen Melancholie zu erkennen. «Happy Songs», sagt Norah Jones – und lässt sich kurz in die grossen, dunklen Augen blicken –, «sind gut für den Strand. Doch wenn ich daheim am Kochen bin, brauche ich Musik, die die Seele berührt.» Billie Holiday zum Beispiel, da spüre man den Schmerz.

Seit dem makellos schönen Debüt vor zehn Jahren beackert Norah Jones den Kummer in all seinen Facetten. Kein Song ohne Verluste. Sie nahm das vom 11. September gebeutelte Amerika bei der Hand und schenkte ihm den Blues des schmerzlosen Schmerzes. 20 Millionen Exemplare von «Come Away with Me» verkaufte die damals 22-jährige Tochter von Ravi Shankar. Ihre Lieder sind Befindlichkeitsmusik ohne Gefühlsausbrüche. Ein Tonikum für verletzte Seelen – oder solche, die glauben, es sein zu müssen. Diskret vertonte Verzweiflung, die man auch abzuspielen wagt, wenn fröhliche Gäste zu Besuch kommen.

Umso grösser die Überraschung, wenn Norah Jones gegen Ende des neuen Albums zynische Töne anschlägt: «Miriam ist ein sooooo schöner Name», säuselt sie da genüsslich, «ich werde ihn gern gebrauchen, wenn ich dich zum Weinen bringe.» So böse auf einmal? «Ach, es machte einfach Spass, auch mal ein solches Gefühl auszukosten», sagt Jones. «All meine Songs fangen mit einem echten Gefühl an. Sogleich wird daraus aber etwas Künstliches. Machen wir uns nichts vor – Songschreiben ist doch pure Fantasie.» Ob das Billie Holiday auch so gesehen hat?

Norah Jones: «… Little Broken Hearts» (Blue Note/EMI)