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Neue Netflix-Doku «Depp v Heard»: Was wir daraus lernen können
- Text: Vanja Kadic
- Bild: Alamy; Collage: annabelle
Die neue Netflix-Dokuserie «Depp v Heard» beleuchtet das Medienspektakel rund um den Gerichtsprozess von Amber Heard und Johnny Depp. Eine Review von Co-Leiterin Digital Vanja Kadic.
Inhaltshinweis: Sexualisierte, psychische und physische Gewalt
Einen kurzen Moment lang hatte gefühlt jede:r eine Meinung zum Rechtsstreit von Amber Heard und Johnny Depp. Denn in diesem Fall ging es um weitaus mehr als um ein getrenntes Ex-Hollywood-Traumpaar, das sich nun im Rampenlicht eine Schlammschlacht liefert.
In der dreiteiligen Doku «Depp v Heard» beleuchtet Netflix nun ausgiebig den Gerichtsprozess, der im Frühling 2022 im US-Bundesstaat Virginia stattfand. Gezeigt wird unter anderem, wie sich der Rosenkrieg zweier Stars zum ersten Prozess entwickelte, der bei TikTok quasi über Wochen livegetickert wurde. Dabei stellen die Macher:innen der Serie die Aussagen von Depp und Heard gegenüber – und ergründen die Frage, welche Rolle die öffentliche Wahrnehmung im Prozess spielte.
Er lügt, sie lügt, beide lügen – wer sagt die Wahrheit? Die Verhandlung wurde zum globalen Mega-Medienspektakel. Ich selbst änderte etwa fünfzig Mal meine Meinung, war aber, ganz ehrlich, tendenziell auf Depps Seite. Habe auch ich mich von einer riesigen PR-Masche blenden lassen? Wahrscheinlich.
200 Stunden Videomaterial
Wir erinnern uns: Johnny Depp verklagte Amber Heard wegen Verleumdung. Die beiden lernten sich 2009 am Set von «The Rum Diary» kennen. 2015 heiratete das Paar, ehe Heard 2016 die Scheidung einreichte – und öffentlich, etwa auf dem Cover des «People Magazine», mit blauen Flecken im Gesicht zu sehen war. Sie erwirkte eine einstweilige Verfügung wegen häuslicher Gewalt gegen Depp. Und schrieb schliesslich 2018 ein Essay in der «Washington Post», in dem sie sich, ohne Depps Namen zu nennen, als öffentliche Figur bezeichnet, die zum Symbol für häusliche Gewalt wurde.
Der Artikel ist der Grund, warum der Schauspieler seine Ex-Frau auf 50 Millionen Dollar verklagte. Denn Depp bestreitet, Heard – und überhaupt je eine Frau – geschlagen zu haben.
In üppiger Menge – insgesamt wurden während des Prozesses über 200 Stunden Material aus dem Gerichtssaal gestreamt – werden in der Doku Aussagen beider Seiten nacheinander gezeigt: «In diesem Prozess geht es darum, seinen Namen von schrecklichen und falschen Anschuldigungen reinzuwaschen», verkündete etwa Depps Anwalt gleich zu Beginn. «Johnny Depps Team versucht, diesen Fall in eine Seifenoper zu verwandeln. Sie werden sehen, wer der wahre Johnny Depp ist. Er will Amber Heard, ihr Leben und ihre Karriere ruinieren», so Heards Anwalt in seiner Eröffnungsrede.
«Er sagte: Du denkst, das ist witzig, Schlampe?»
Der ganze Zirkus um diesen Prozess macht es schwierig, sich in Erinnerung zu behalten, dass es um zwei reale Menschen und schwere Anschuldigungen – sexualisierten, körperlichen, psychischen Missbrauch – geht. Doch es gibt sie, diese menschlichen Momente: Etwa, wenn Heard und Depp vor Gericht erzählen, wie sie sich kennenlernten und sofort ineinander verliebten.
Oder wenn Heard davon erzählt, wie Depp sie zum ersten Mal geschlagen habe. «Ich werde es nie vergessen, es veränderte mein Leben», sagt sie bei ihrer Zeugenaussage. Sie habe ihn auf eines seiner Tattoos angesprochen und gelacht, woraufhin er sie geschlagen habe. «Er sagte: Du denkst, das ist witzig, Schlampe? Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich danach sofort gegangen und für mich eingestanden bin.» Depp wiederum behauptet, dass diese Situation nie passiert sei.
Galionsfigur der MeToo-Bewegung?
Es gibt unzählige solcher Szenen, in denen Aussage gegen Aussage steht. Auf Audio- und Filmaufnahmen, die sowohl Heard als auch Depp während der Beziehung machten, ist zu hören, wie explosiv ihre Streits waren. Und wie sich beide zumindest verbal missbräuchlich verhielten.
Depp beschimpfte seine damalige Frau wüst, aber auch Heard ist zu hören, wie sie etwa sagt: «Ja, ich habe eine körperlichen Streit angefangen. Aber ich habe dich nicht geschlagen, ich habe dich gestossen! Du bist so ein Baby! Wer soll dir glauben, dass du Opfer häuslicher Gewalt bist?» Nur einer von vielen Momenten, die Zuschauer:innen des Prozesses sauer aufstiessen: Heard gab in der Audiodatei zu, handgreiflich geworden zu sein – wie konnte sie sich also als Galionsfigur der MeToo-Bewegung positionieren?
Views und Geld
Für die Internetgemeinde war, das wird in der Doku ersichtlich, schnell klar: Amber Heard lügt – und was sie vor Gericht abzieht, ist nichts mehr als ein schlechtes Schauspiel. Depp wiederum wurde als Ikone gefeiert und erhielt von Fans auf der ganzen Welt Mitgefühl und Unterstützung zugesprochen, etwa, nachdem er vor Gericht erzählte, wie schwierig seine Kindheit war. Vor dem Gerichtsgebäude warteten jeweils Depp-Fans, die Heard beschimpften und ausbuhten.
«Depp v Heard» illustriert mit Aufnahmen aus dem Gerichtssaal und Material aus Nachrichtensendungen und Social Media gut, welches extreme Ausmass dieser Prozess annahm: Auf der ganzen Welt diskutierten und kommentierten Medien-Outlets und Content Creators den Fall praktisch in Echtzeit – und generierten damit nicht nur Views, sondern auch Einnahmen.
«Depp hat uns alle verführt»
Auf Social-Media-Plattformen verbreiteten sich im Meer aus teils sehr geschmacklosen Memes, kruden Parodien und hasserfüllten Kommentaren auch falsche Informationen – was nicht nur die breite Allgemeinheit, sondern auch die Jury im Gerichtssaal beeinflusst haben dürfte. Und zwar zugunsten Johnny Depps.
Während sich nämlich ein Millionenpublikum über Amber Heard, ihren Gesichtsausdruck oder ihre Aussagen lustig macht, wird Depp als charmanter Sympathieträger gefeiert, der im Gerichtssaal fröhlich Witzchen reisst, liebenswert lacht oder gelangweilt Zeichnungen malt. «Depp ist ein Meisterschauspieler. Er hat uns alle verführt und musste sich dafür kaum bewegen», fasst ein Podcaster in der Doku zusammen.
Heard sei ganz sicher kein «richtiges» Opfer
Die öffentliche Meinung zementierte sich zunehmend: Heard ist eine Lügnerin, eine Psychopathin, eine manipulative Narzisstin, eine nach Aufmerksamkeit dürstende Dramaqueen – aber ganz sicher kein «richtiges» Opfer.
Die Doku zeigt gut auf, wie ihre Glaubwürdigkeit stetig sank. Kurz vor der Urteilsverkündung etwa hatte der Hashtag #JusticeForJohnnyDepp 20 Milliarden Views bei TikTok. Der Hashtag #JusticeForAmber Heard hingegen «nur» 77,5 Millionen Views.
«Kein richtiges Opfer häuslicher Gewalt benimmt sich so»
Eindrücklich: In der Serie ist zu sehen, dass sich Mythen zu häuslicher Gewalt und Vorurteile gegenüber Opfern von Missbrauch selbst bei Celebrities hartnäckig halten. Amber Heard erntete von Zuschauer:innen Skepsis, weil sie sich unter anderem nicht wie ein «richtiges» Opfer benahm und gewissen Vorstellungen nicht entsprach.
So warfen Kritiker:innen Heard vor, der MeToo-Bewegung zu schaden. Und eine Gruppe Überlebender häuslicher Gewalt wandte sich sogar in einem offenen Brief an Heard, um sich öffentlich von ihr zu distanzieren: «Kein richtiges Opfer häuslicher Gewalt benimmt sich so wie du», heisst es im Schreiben.
Mehr Haltung wäre besser
«Depp v Heard» ordnet den Fall für meinen Geschmack zu wenig ein. Indem die Aussagen beider Parteien gegenüber gestellt werden, erhält man immerhin einen guten Überblick. Eine klarere Haltung hätte der Serie gut getan – obschon man merkt, dass Heard in der Doku tendenziell besser davonkommt. So wird suggeriert, dass Depp mit dem öffentlichen Prozess eine riesige PR-Kampagne für sich ins Rollen brachte, um sein Image zu bereinigen – was ihm schliesslich auch gelang.
Doch in der Doku wird klar, wie sehr ein solcher Prozess in erster Linie ein Theater ist. «Obwohl es eigentlich darum gehen sollte, nach der Wahrheit zu suchen, geht es darum, wem die Jury und die Richterin Glauben schenken. Und wir glauben eher der Person, die wir am meisten mögen», so ein Rechtsexperte. Die Jury gab Depp in der Verleumdungsklage mehrheitlich Recht, ihm wurde Schadensersatz zugesprochen. Heard und er einigten sich Ende 2022 mit einem Vergleich.
Einfluss von Content
Das ist es vielleicht auch, was wir aus «Depp v Heard» lernen können: Zum einen gibt es nicht das klassische Opfer häuslicher Gewalt. Zum anderen müssen wir prüfen und aufpassen, wie wir Social-Media-Plattformen wie TikTok konsumieren, was wir glauben, was wir für wahr empfinden. Es ist spannend zu sehen, wie stark uns eine Masse an Content beeinflussen kann.
Eine abschliessende Antwort auf die Frage nach der Wahrheit im Fall Depp/Heard gibt die Doku nicht. Dafür sagt ein Content Creator in der Serie treffend: «Die Wahrheit ging auf Social Media schon vor langer Zeit verloren.»
«Depp v Heard» wird auf Netflix gezeigt.
Mehr Informationen und Hilfsangebote zum Thema psychische und physische Gewalt findet ihr hier:
BIF – Beratungsstelle für Frauen
Männerhäuser in der Deutschschweiz und in Genf
Diese Produktion ist keine wirkliche Dokumentation, sondern in sehr vielen Punkten eine unkommentierte Aneinanderreihung von Inhalten, welche die Produktionsfirma einfach annektiert hat. Das Debakel geht so weit, dass momentan Netflix, bei Youtube die Inhaberrechte der Videos übernommen hat, ohne Zustimmung und Entschädigung für diejenigen, die diese Video erstellt haben. Andy Signore und weitere machen sich gerade über weitere Schritte kundig.