Literatur & Musik
Neue Bücher: 7 Empfehlungen aus der Kulturredaktion
- Text: Marah Rikli
- Bild: Stocksy
Wenn Blätter von Bäumen fallen und Sonnenstunden rarer werden, ist eindeutig Lese-Saison: Sieben neue Bücher, die Zeit und Raum vergessen lassen.
«Täuschend echt» von Charles Lewinsky
«Du wirst in Zukunft beruflich genauso überflüssig sein, wie du es privat schon lange bist», spottet seine Ex-Freundin, die er seit der Trennung nur noch «der Teufel» nennt. Künstliche Intelligenz werde ihn ersetzen, sagt sie – wenig später verliert der Werbtexter seinen Job. In Charles Lewinskys neuem Roman ist die KI allgegenwärtig im Leben des frustrierten Protagonisten. Zunächst begegnet sie ihm als Feind und Konkurrent, später als Gesprächspartner, schliesslich sogar als Freund und Schreibcoach: Unterstützt von KI widmet er sich einem autobiografischen Roman und feiert damit zunächst einen grossen Erfolg. Doch wird sein Schwindel auffliegen und wird er erneut alles verlieren?
«Was ist schon für immer?» von Katja Lewina
Katja Lewinas Sohn stirbt im Alter von sieben Jahren unverhofft. Später erfährt sie, dass sie eine erbliche Herzkrankheit hat, woran auch der Sohn unwissentlich litt und starb. Der Schmerz sitzt in jeder Zelle der Autorin; nichts ist mehr, wie es vor dem Verlust war, und dennoch geht das Leben weiter. Lewina nimmt uns in diesem kleinen Buch mit auf eine Reise durch ihre Gedanken zur Sterblichkeit, zur Liebe, dem Sinn der Endlichkeit und damit auch dem des Lebens – und fragt sich: Wie wird man zwischen all den Fragen nicht verrückt? Aufwühlend, philosophisch, dennoch leicht und Lewina-typisch mit viel Sarkasmus und Witz.
Die Autorin liest Am Mittwoch, 30. Oktober, im Kaufleuten in Zürich.
«Intermezzo» von Sally Rooney
Die 33-jährige irische Schriftstellerin Sally Rooney beginnt ihren vierten Roman mit einem Zitat aus Ludwig Wittgensteins «Philosophische Untersuchungen»: «Aber fühlst du nicht jetzt den Kummer? Aber spielst du nicht jetzt Schach?» – In «Intermezzo» geht es um das ehemalige Schach-Wunderkind Ivan und dessen Bruder Peter: Einst waren die Brüder eng verbunden, doch dann stirbt ihr Vater. aAlte Verletzungen und Unausgesprochenes treten hervor und beide müssen sich ihrer Vergangenheit stellen. Ein unglaublich packender, psychologisch feinfühliger Familienroman.
«Unsere Jahre auf Fellowship Point» von Alice Elliot Dark
Die zwei Freundinnen Polly und Agnes haben achtzig Sommer zusammen auf Fellowship Points in schönster, romantischster Natur verbracht. Nun sind sie beide im hohen Alter. Die Kinderbuchautorin Agnes hat immer erfolgreich geschrieben, steckt jetzt aber in einer Blockade. Gleichzeitig kommt ein lang gehegter Wunsch an die Oberfläche: Sie möchte, dass ihr Haus nach ihrem Tod in umweltbewusste Hände kommt. Sie hat keine Nachkommen und auch keine:n Partner:in, Polly hingegen ist Mutter dreier Kinder und gerät in einen Loyalitätskonflikt. Autorin Alice Elliot Dark stellt in ihrem Roman auch die Frage: Was ist dicker, Blut oder Freundschaft?
«Anatol abholen» von Lea Gottheil
«Anatol, wie war dein Morgen in der Schule?», fragt Jil. «Nicht gut, Mama», antwortet der Junge. Anatol hat ADHS und Jil, die einst Künstlerin werden und ein freies Leben führen wollte, droht an ihrer Aufgabe als Mutter zu zerbrechen. Autorin Lea Gottheil erzählt in «Anatol abholen» einfühlsam und schonungslos, wie unvorbereitet Schulen und Institutionen auf Kinder reagieren, die anders sind, und spiegelt die Realität vieler Familien, die in einem rigiden Schulsystem und einer überlasteten Gesundheitsversorgung erfolglos nach Unterstützung suchen. Keine leichte, aber eine wichtige und hochaktuelle Lektüre, die Betroffene sich weniger allein fühlen lässt.
«Ours» von Philipp B. Williams
Eine geheimnisvolle Stadt aus den 1830er Jahren, die nördlich von St. Louis liegt und auf keiner Landkarte verzeichnet ist: Diese Stadt, gegründet und beschützt von der mächtigen und rätselhaften Figur namens Saint, bietet ehemals Versklavten und Verlorenen einen Zufluchtsort. Saints existenzieller Kampf besteht darin, die Sklaverei zu verbannen und sie befreit die Menschen unter anderem durch «Hoodoo», eine spirituelle Tradition, die Heilung durch die Verbindung zur Natur und zu den Vorfahren ermöglicht. Dem jungen US-amerikanischen Autor Phillip B. Williams ist ein kraftvoller Roman über Gemeinschaft, Magie und Widerstand gelungen.
«Brief an mein Kind» von Ada D’Adamos
Ada D’Adamos Tochter kommt mit einer Mehrfachbehinderung zur Welt. Das Mädchen kann nicht sehen, nicht sprechen, nicht laufen. Als die Autorin mit fünfzig feststellt, dass sie selbst schwer krank ist, nehmen die Nöte und Wut, mit jedem Tag aber auch die Momente unendlicher Zärtlichkeit und Dankbarkeit für die gemeinsame Lebenszeit zu. In diesem Buch beschreibt sie ihre Gefühle rund um Mutterschaft, Selbstbestimmung, Behinderung und Krankheit klar und ohne Pathos. Ein wichtiger Text, der unbequem ist, etwa auch Fragen zu Abtreibung oder bedingungsloser Mutterliebe aufwirft.
Die Schriftstellerin und Tänzerin verstarb 2023 im Alter von 55 Jahren.