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Tipp: Warum sich die Netflix-Serie «My Unorthodox Life» lohnt

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Tipp: Warum sich die Netflix-Serie «My Unorthodox Life» lohnt

In der Netflix-Serie «My Unorthodox Life» erzählt Julia Haart, ehemaliges Mitglied einer ultra-orthodoxen jüdischen Gemeinde, ihre Geschichte. Die ist manchmal etwas zu schön, um wahr zu sein. Warum die Realityserie trotzdem sehenswert ist.

Als Mitglied einer ultra-orthodoxen jüdischen Gemeinde in Monsey, New York, bestimmten 40 Jahre lang strikte Regeln Julia Haarts (50) Alltag. Sie kümmerte sich um den Haushalt, den Ehemann und die vier Kinder, trug Perücke und war streng religiös. 2012 stieg sie aus und änderte ihr Leben komplett: Heute ist Haart CEO der Elite World Group und will von der Spitze des globalen Unternehmens aus die gesamte Modeindustrie revolutionieren. In der Realityserie «My Unorthodox Life» auf Netflix erzählt Julia Haart ihre Geschichte. Und die ihrer Familie.

«Die Ehe war für mich ein Gefängnis. Ich hasste es, verheiratet zu sein. Aber ich hatte keine Ausbildung und konnte mich nicht selbst finanzieren», erinnert sie sich. Heimlich plante Haart ihre Flucht aus der Gemeinde und begann hinter dem Rücken ihres Ex-Mannes Versicherungen zu verkaufen, um Geld für ihren Ausstieg zu sparen. Ihre steile Karriere begann sie schliesslich als Designerin von High Heels, in denen man schmerzfrei unterwegs ist. «Ich wollte Frauen davon befreien, für Schönheit zu leiden», sagt sie. «Die Vorstellung, dass irgendeine Frau für irgendetwas leiden muss, war für mich empörend.»

Nachdem ihr Schuhlabel von La Perla aufgekauft wurde, etablierte sich Haart als Creative Director des italienischen Lingeriebrands. Inzwischen leitet Haart die Elite World Group, ein Unternehmen, das sie zusammen mit ihrem zweiten Ehemann, dem vermögenden Techunternehmer Silvio Scaglia Haart, besitzt.

Nebenbei kümmert sich Haart um ihre vier Kinder. Diese sind in der Gemeinde streng religiös aufgewachsen und befinden sich seit dem Ausstieg ihrer Mutter im Spagat zwischen ihrem alten Wertesystem und dem modernen Leben in der Grossstadt. «Ich will, dass meinen Kindern alle Möglichkeiten offen stehen und dass sie Teil der Welt da draussen sind», sagt sie. Spannend ist, wie unterschiedlich sich die vier Kinder – Influencerin Batsheva (28), Shlomo (25), App-Entwicklerin und Studentin Miriam (21) und Schüler Aaron (15), für den sich Haart das Sorgerecht mit ihrem Ex-Mann teilt – darauf einlassen.

«Ich war konstant umgeben von Sexismus»

Batsheva etwa heiratete mit 19 Jahren ihren Mann Ben und musste ihre Mutter nach der Hochzeit erst mal fragen, wie Sex funktioniert. Die Influencerin lebt noch immer ein religiöses Leben und diskutiert zum Beispiel mit ihrem Mann in einer Szene, ob er es unangemessen findet, wenn sie Jeans trägt. «Ich habe meinen eigenen Weg in der Religion gefunden», sagt sie.

Ihre Schwester Miriam hingegen löste sich komplett von ihrer streng religiösen Erziehung. Sie brennt für die Stärkung von Frauenrechten und geht offen mit dem Thema Sex und Liebe um. So spricht sie mit ihrer Mutter selbstverständlich über Vibratoren oder über ihre Bisexualität. Auf Social Media wird sie für ihre Repräsentation von jüdischer Queerness gefeiert. «Es war hart, in meiner Gemeinde aufzuwachsen. Ich wollte rumrennen und Sport machen, aber als Frau durfte ich das nicht», sagt sie. «Ich war konstant umgeben von Sexismus und konnte meine Sexualität überhaupt nicht entdecken.»

Der jüngste Haart-Spross Aaron lebt zur Hälfte bei seinem Vater, der noch immer Teil der orthodoxen Gemeinde ist. Aaron ist streng religiös – und bringt seine Mutter zum Weinen, als er ihr erklärt, dass er nicht mehr mit Mädchen sprechen oder Fernsehen schauen will, weil ihn dies vom Studieren der Thora ablenkt oder zur Sünde verleiten könnte.

«Jeder Minirock ist für mich ein Emblem der Freiheit»

Julia Haart positioniert sich in «My Unorthodox Life» als feministische Unternehmerin und Mutter, die die Unterdrückung nicht mehr ausgehalten hat. «Die Frauen in unserer Gemeinschaft sind Bürgerinnen zweiter Klasse», sagt sie. «Wir existieren nur in Beziehung zu einem Mann. Eine Frau kann nicht singen, weil ein Mann sich zu ihr hingezogen fühlen könnte. Wir dürfen nicht Fahrrad fahren, weil wir unsere Knie zeigen und ein Mann schlechte Gedanken über uns haben könnte.»

In ihrer ehemaligen Gemeinschaft hätte die Frau eine Bestimmung: ihrem Mann zu folgen und Kinder zu kriegen. Ihre Selbstbestimmung feiert Haart heute unter anderem mit knappen Outfits: «In der Welt, aus der ich komme, war ich mein Leben lang von Kopf bis Fuss bedeckt. Für mich ist jedes Top mit tiefem Ausschnitt und jeder Minirock ein Emblem der Freiheit.»

Obwohl sie sich von ihrem alten Leben abgewandt hat und den Umgang mit Frauen in ihrer Gemeinde kritisiert, betont Haart, dass sie sich nicht gegen ihre Religion stellt. «Es gibt viele Jüdinnen und Juden, die ein ganz normales Leben leben», so Haart. «Das hat nichts mit dem Judentum oder der Religion zu tun – sondern mit Fundamentalismus. Ich liebe es, jüdisch zu sein. Aber ich glaube auch, dass Fundamentalismus – egal ob jüdisch, christlich oder muslimisch – gefährlich ist.»

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Aussteiger:innen fehlen die Tools, um in dieser Welt zu leben

Im Gegensatz zu Netflix-Produktionen wie «Unorthodox», die auf Deborah Feldmans autobiografischem Bestseller-Roman basiert, wirft «My Unorthodox Life» einen anderen, deutlich leichteren Blick auf das Aussteiger:innen-Thema. Ob die Serie die Realität der meisten ehemaligen Mitglieder streng-orthodoxer Gemeinden abbildet, ist zweifelhaft. Dessen ist sich Julia Haart bewusst: «Was mir Sorgen bereitet, sind all die Geschichten von Menschen, die ihre Gemeinschaft verlassen. Die Hälfte nimmt Drogen, die andere stirbt durch Suizid oder hat psychische Probleme. Und nicht, weil sie etwas falsch machen – sondern weil ihnen die Tools fehlen, um in dieser Welt zu leben.»

Kritik für die Serie von Jüdinnen und Juden

Obwohl Julia Haart und ihre Familie im Netz für ihre Offenheit gefeiert werden, erhält die Show auch Kritik. So sind zahlreiche orthodoxen Jüdinnen und Juden nicht mit der Darstellung der Religion einverstanden. «Diese Art von Shows ärgert mich. Ich bin eine orthodoxe jüdische Frau und Archäologiedoktorandin. Orthodoxie ist nicht zwingend unterdrückend und ich wünschte, mehr Menschen würden sich dessen bewusst werden. Diese Sendung trägt nicht gerade dazu bei, diese Botschaft zu verbreiten», lautet etwa ein Kommentar unter dem offiziellen Trailer der Serie.

«Es ist eine Schande, dass wir ständig von denen dargestellt werden, die keine guten Erfahrungen in der Gemeinschaft gemacht haben. Das führt nur zu übertriebenen Verallgemeinerungen und schadet dem Rest der Gemeinschaft. Ich bin als junge Jüdin nicht eingeschränkt, ich arbeite, gehe aufs College, gehe campen und reise um die Welt. Lebe dein Leben, aber bewerfe nicht eine ganze Religion mit Dreck», lautet ein weiterer Kommentar.

Viele Fragen bleiben unbeantwortet

«My Unorthodox Life» ist ein Streamingtipp für Fans von interessanten Realityformaten. Einige Erzählstränge sind unnötig, überspitzt oder klar gescriptet – und viele essentielle Fragen bleiben unbeantwortet. Wie empfand Haarts Ex-Mann ihren Ausstieg aus der Gemeinde und was bedeutete es für ihn und sein Leben? Haben die beiden wirklich noch so ein gutes Verhältnis, wie es dargestellt wird? Wie schaffte es Haart, sich und die Kinder nach dem Ausstieg zu finanzieren und sich in der Welt ausserhalb der Gemeinde zurechtzufinden? Und welche Rolle spielte Haarts zweiter Ehemann, Vorsitzender der Elite World Group und ehemaliger Besitzer von La Perla, bei ihrer Erfolgsgeschichte?

Die Realityserie lässt ihr glamouröses Leben und den Ausstieg manchmal ein bisschen zu glossy, einfach und sorgenlos erscheinen. Dennoch: Die Geschichte von Julia Haart und ihrer Familie ist spannend und unterhaltsam – solange man im Hinterkopf behält, dass es sich um ein Realityformat handelt und nicht um eine Dokumentation.

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