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Netflix-Film «Paradise» mit Iris Berben: «Jugend ist nicht die Antwort auf alles»
- Text: Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: DUKAS/ABACA
Iris Berben langweilt die Frage nach dem Alter – gerade, weil Zeit so wertvoll ist. Anlässlich ihres neuen Netflix-Films «Paradise» hat Editor-at-large Jacqueline Krause-Blouin die 73-jährige Schauspielerin interviewt.
Wenn man über die wichtigsten deutschen Schauspielerinnen unserer Zeit spricht, fällt relativ schnell ihr Name: Iris Berben. Als 18-Jährige debütierte sie 1968 im Edgar-Wallace-Krimi «Der Mann mit dem Glasauge» und ist seitdem eine feste Grösse in deutschsprachigen Film- und Fernsehproduktionen. Preise und Anerkennung bekam Berben aber nicht nur für ihre schauspielerischen Leistungen, sondern immer wieder auch für ihr gesellschaftliches Engagement.
In «Paradise» (Netflix) spielt Berben nun die gerissene CEO eines Biotech-Unternehmens. Wir erleben die 73-Jährige im Interview zwar reflektiert, aber auch fröhlich und unbeschwert, selbst wenn sie über das vermeintliche Tabuthema Tod spricht. Eine Unterhaltung über den Wert von Zeit, die Unsichtbarkeit von Schauspielerinnen jenseits der vierzig und was dereinst in ihrem Nachruf stehen soll.
annabelle: Iris Berben, Sie haben doch vor kurzem in einem Interview gesagt, dass Sie die Frage nach dem Alter langweilt. Und dann machen Sie so einen Film! Eine Geschichte über den Wert von Zeit, den Wert des Lebens. Warum haben Sie sich dann doch für diesen Stoff entschieden?
Iris Berben: Weil der Film den Jugendwahn auf eine sehr zynische Weise angeht. Es ist ein Thema, mit dem sich unsere Gesellschaft intensiv beschäftigt. Es gibt ganze Marketingabteilungen, Influencer:innen, die die ewige Jugend anpreisen und den Leuten erklären, dass Jungsein bedeutet, dazuzugehören. Dieser Film verhandelt das Thema auf fast boshafte Weise – aber unsere Gesellschaft ist eben auch zynisch. Zum Glück gibt es aber auch eine Gegenbewegung – Frauen, die sagen: Lasst uns Individualität feiern! Lasst uns darüber reden, dass Jugend nicht die Antwort auf alles ist.
In «Paradise» spielen Sie Sophie Theissen, die Chefin von Aeon, einem Biotech-Start-up, das eine Methode zur Übertragung der Lebenszeit von einer Person auf eine andere entwickelt hat. Leben gegen Geld sozusagen. Was hat Sie an der Figur, die diese schreckliche Firma leitet, interessiert?
Ich habe es genossen, eine Frau zu spielen, die über Leichen geht. Mich hat interessiert, ob es eine Charakterfrage ist, wie man mit Macht umgeht. Und ihre Ansicht, dass das Leben gewisser Menschen mehr wert sein soll. Natürlich ist die Frage spannend, was Einstein, Nelson Mandela oder Frida Kahlo noch für die Gesellschaft hätten leisten können, wenn sie länger gelebt hätten. Hier geht es auch um Privilegien – darum, dass wohlhabende Menschen schlechter gestellte Menschen strategisch ausnutzen. Meine Figur geht davon aus, dass ewige Jugend ewige Macht bedeutet – eine schreckliche Aussage.
Iris Berben«Ich bin gegen alles Menschenverachtende auf die Barrikaden gegangen»
Wären Sie eigentlich früher gegen so eine Firma wie Aeon auf die Strasse gegangen?
Ja klar! Ich bin gegen alles Menschenverachtende auf die Barrikaden gegangen.
Ist das ewige Leben denn wirklich der ultimative Luxus?
Der Gedanke an die Unendlichkeit triggert bei mir schon etwas, weil ich so ein neugieriger Mensch bin. Ich möchte gar nicht forever young sein. Aber in meinem Leben habe ich so viele Veränderungen miterlebt und es geht immer schneller. Ich will wissen, wie sich unsere Welt weiterentwickelt. Was machen diese rasanten Veränderungen mit den Menschen? Wie geht unsere Geschichte weiter? Ich hätte grosse Lust, für immer an unserer Geschichte teilzuhaben. Gerade weil unsere Zeit aber begrenzt ist, haben wir ja so unterschiedliche Fähigkeiten, Wünsche und Bedürfnisse in unterschiedlichen Lebensphasen.
Iris Berben«Keiner von uns weiss, was der Tod bedeutet»
Der ultimative Luxus könnte also vielleicht sein, Frieden in dieser Begrenztheit zu finden.
Ja, das wäre wohl der ultimative Luxus. Angstfrei zu sein. Aber keiner von uns weiss, was der Tod bedeutet. Wir wissen es nur als Hinterbliebene – es ist Schmerz. Ich bin jemand, der weder esoterisch noch sehr gläubig ist, obwohl ich katholisch erzogen wurde. Der Glaube kann eine grosse Hilfe sein, wenn es um den Umgang mit dem Tod geht. Ich kenne diese Hilfe leider nicht. Insofern ist der Tod wirklich das Ende für mich. Das Einzige, was wir haben, ist das, was wir bei anderen zurücklassen. Unsere Gedanken, unsere Taten.
Sie sind schon oft vor der Kamera gestorben. Auch kürzlich in Ihrem Film «Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster»…
Ja, ich habe schon mal geübt (lacht). Der Tod ist noch immer ein Tabuthema. Aber ich habe wirklich selten so viel persönliche Resonanz auf meine Arbeit bekommen. Lange, wunderschöne Briefe.
Beantworten Sie diese Briefe?
Nein, das habe ich mir abgewöhnt. Man begibt sich in eine private Zone – meine und die der Schreibenden – die nicht zu kontrollieren ist.
Eben haben Sie das Wort «angstfrei» benutzt. Sie behaupten von sich, vor gar nichts Angst zu haben. War das schon immer so?
Ja, ich glaube, ich habe das von meiner Mutter. Sie war auch eine sehr selbstbestimmte Frau – damals schon – und hat mir vorgelebt, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Ich hatte noch nie Angst vor Autoritäten, nicht vor Veränderungen, nicht vor unsicheren Situationen. Auch der Tod macht mir keine Angst, der macht mich einfach nur wütend.
Iris Berben«Ich verschwende keine Zeit damit, darüber nachzudenken, was andere von mir halten könnten»
Kürzlich haben Sie den schönen Begriff «die Wildheit der Verweigerung» benutzt. Was meinen Sie damit?
In dem Alter, in dem ich jetzt bin, weiss ich, was ich privat, in meinem Beruf und auch als Mitglied unserer Gesellschaft geleistet habe. Die Freiheit, die ich jetzt spüre, erinnert mich an die Freiheit, als ich 18 war. Ich kann jetzt viel genauer definieren, was mir guttut und was nicht. Ich verschwende keine Zeit damit, darüber nachzudenken, was andere von mir halten könnten. Was es über mich aussagt, wenn ich irgendwo mitmache oder nicht. Ich habe ein viel zu ausgeprägtes Selbstbewusstsein entwickelt, als dass mich die Meinung der anderen irgendwie beeinflussen könnte. In dieser messbaren Zeit, die mir noch bleibt, bin ich nicht bereit, mich zu irgendetwas drängen zu lassen, was gegen meine Überzeugung ist. Die Freiheit der Verweigerung spüre ich etwa darin, dass ich nicht bei Social Media mitmache. Das gibt mir Freiheit. Und schenkt mir Zeit.
Das wäre heute als Berufsanfängerin nicht mehr möglich: Junge Schauspielerinnen werden sogar an Followerzahlen gemessen, um für eine Rolle besetzt zu werden.
Ich weiss, heute könnte ich mir diese Verweigerung nicht erlauben. Aber an dem Punkt, an dem ich nun stehe, kann ich sagen: Nein danke, ohne mich. Ich verteufle im Übrigen die sozialen Medien auch nicht, ich beobachte die Entwicklung sehr interessiert und es geschehen auch wunderbare Dinge dadurch. Ebenso wie dumme, nutzlose, schmerzhafte. Bei allen Erfindungen ist das so – man kann sie in verschiedene Richtungen nutzen.
Früher war man als Schauspielerin ab vierzig quasi unsichtbar, wurde nicht mehr besetzt, die Karriere war mehr oder weniger vorbei. Bei Ihnen gab es – anders als bei vielen Ihrer gleichaltrigen Kolleginnen – keinen solchen Knick in der Karriere. Wie erklären Sie sich das?
Ich würde mir wünschen, dass ich keine Ausnahme wäre. Dafür bin ich bereits in den 1960ern auf die Strasse gegangen: für diese Sicht auf die Frauen, für dieses Selbstbewusstsein von Frauen. Vierzig war früher eine magische Zahl – die Grenze zur Unsichtbarkeit. Wir sind jetzt auf einem guten Weg. Die Streamingdienste haben da eine Tür geöffnet: Jetzt gibt es vielschichtige Rollen für alle – Michael Douglas, Jane Fonda oder Lily Tomlin, die sind alle jenseits der 75. Es wurde plötzlich möglich, Geschichten von Menschen zu erzählen, die früher nicht zur Zielgruppe gehörten. Früher hiess es immer: ältere Menschen will man nicht sehen. Übrigens mag ich dieses Wort überhaupt nicht: Zielgruppe! Das ist doch zynisch! Wenn man eine gute Geschichte erzählt, die einen emotional mitnimmt, ist es komplett egal, ob du vierzig oder achtzig bist. Aber: Wir Frauen sind noch immer zu wenige. Wir sind auf dem Weg, einzufordern, dass es zur Selbstverständlichkeit wird, uns in jedem Alter zu sehen und Geschichten über uns zu erzählen. Diversität beinhaltet auch das Alter, das wird immer noch vergessen. Und man sollte aufpassen, dass man sich nicht nur durch Influencer:innen diktieren lässt, wie ein Leben auszusehen hat oder was Schönheit bedeutet.
Iris Berben«Wir müssen ab vierzig nicht mehr in Nicht-Farben verschwinden und uns eine praktische Frisur zulegen»
Wie meinen Sie das?
Ich möchte jungen Leuten manchmal zurufen: «Denkt mal über Inhalte nach!» Auch der schönste Mensch wird wie eine Seifenblase zerplatzen, wenn er nichts Interessantes zu erzählen hat. Eine Persönlichkeit wirst du erst, wenn du suchst, wenn du lernst zu fallen, wenn du peinlich bist, wenn du dich vertust und danebenliegst – all diese Dinge, die nichts mit Perfektion zu tun haben. Und wir sehen viel zu wenig davon. Uns wird weisgemacht, dass wir nur etwas wert sind durch das richtige Aussehen, die richtige Handtasche… Wir müssen aufpassen, dass diese Bewegung nicht zu gross wird und nicht das wieder kaputt macht, was wir als Frauen bereits erreicht haben. Denn wir sagen: Da sind wir, schaut uns an! Wir sind vierzig und sechzig und dreissig und achtzig Jahre alt! Und wir müssen uns ab vierzig auch nicht mehr dem Diktat unterordnen, in Nicht-Farben zu verschwinden und uns eine praktische Frisur zuzulegen.
Früher hat man Ihnen immer gern das Image der wilden, rebellischen jungen Frau zugeschrieben. 1978 haben Sie sich für den «Playboy» ausgezogen. War das politisch motiviert?
Nein, das war kein politischer Akt, das war reine Provokation! (lacht) Ich habe da nicht lange drüber nachgedacht. Auch das war ein Teil meiner Entwicklung, die mich zu der Frau gemacht hat, die heute vor Ihnen sitzt.
Iris Berben«Schreibt in euren Nachrufen, was ihr wollt. Ich lese es eh nicht mehr!»
Ihre Figur in «Paradise» macht alles aus der Motivation heraus, ihre Familie zu schützen. Würden Sie für Ihr Kind auch alles tun?
Ich würde alles tun, von dem ich das Gefühl habe, dass es gut und richtig für meinen Sohn ist. Was ich versucht habe, ihm zu vermitteln, ist, dass es zwischen uns keine Tabuthemen gibt, dass es nichts gibt, was er nicht mit mir besprechen könnte. Das ist schon mal sehr viel, was du für dein Kind tun kannst: dass es keine Angst vor deinem Urteil haben muss. Nun ist mein Sohn 52, er lebt sein eigenes Leben mit seinen eigenen Kindern. (lacht)
In hoffentlich ferner Zukunft wird es einmal Nachrufe auf Sie geben. Was sollte da drinstehen?
Es ist mir total egal. Und deswegen würde ich sie gern vorher lesen! (lacht) Aber im Ernst: Ich bin in einem Beruf, in dem ich ständig fremdbeurteilt werde und alles zu einem Statement gemacht wird, insofern blicke ich dem Ganzen mit einer gewissen Lässigkeit entgegen. Also: Schreibt, was ihr wollt. Ich lese es eh nicht mehr!
«Paradise» ist ab 27.7 auf Netflix zu sehen.