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Netflix-Doku: Warum ich auch mit 32 noch ein Taylor-Swift-Fan bin

Netflix-Doku: Warum ich auch mit 32 noch ein Taylor-Swift-Fan bin

  • Text: Charlotte Theile; Foto: Sundance Institute

Unsere Autorin ist Taylor-Swift-Fan. Das ist nicht immer einfach – aber vielleicht gehört das zum Fan-Sein ja dazu. All die Fussballfans lieben ihren Club ja auch nicht immer. 

Geht das eigentlich? Kann man jemand toll finden, der so absolut erfolgreich ist? Jemand, der mit Mitte zwanzig schon alles gewonnen hat, was man gewinnen kann, mit jedem Lied, jedem Album ganz oben in den Charts einsteigt, mit jedem zweiten Tweet Sondersendungen auslöst? Taylor-Swift-Fan zu sein, das war vor einigen Jahren noch lustig, Girlpower-Pop, guilty pleasure, diese eine wahnsinnig uncoole, grossartige Shower-Playlist. Dann war es so, dass diese Playlist eigentlich immer lief – und ich stundenlang auf Youtube herumhing, um herauszufinden, wie es eigentlich 2008 mit Taylor und Joe Jonas auseinandergegangen ist. Spätestens als mir mein damaliger Freund ein Gemälde schenkte, auf dem Taytay (so nannte ich sie inzwischen) abgebildet war, und ich dieses billige und als Witz gedachte Geschenk vom Weihnachtsmarkt kreischend in die Arme schloss, war mir klar: Es gibt einen Namen für das, was ich habe. SWIFTIE.

Das ist jetzt einige Jahre her, mein Interesse an Taylor ist nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Ich habe ein halbes Dutzend Mal «Blank Space» in Karaoke-Bars gesungen, mich mit Freunden gestritten, die behauptet haben, ein solcher Megastar könne seine Texte unmöglich selbst schreiben, bin wach geblieben, wenn ein neuer Song veröffentlicht wurde, und zu spät gekommen, weil ich unbedingt dabei sein musste, als Taylor in «The Ellen Show» von ihren Katzen berichtete. Warum ich das tue?

Ich glaube, ich bin einfach beeindruckt. Taylor Swift ist eigentlich kein Superstar, kein musikalisches Genie. Sie kann nicht besser singen als diejenigen, die bei Castingshows in die letzte Runde kommen, sie sieht nicht besser aus als ein Model aus dem Otto-Katalog. Auch sonst ist an ihr vieles erschreckend normal: Sie hat einen kleinen Bruder, ihr Vater arbeitet im Finanzsektor, ihre Mutter ist gleichzeitig ihre beste Freundin. Taylor ist bekannt für ihre Dating-Geschichten, dafür, dass sie sich in den letzten zehn Jahren immer mal wieder verliebt und getrennt hat. Natürlich wurde darüber geschrieben, eine Industrie lebt von diesen Klatschgeschichten, aber was man da erfuhr, ist so normal, dass es schon fast peinlich ist, das aufzuschreiben: Es sei halt nie wirklich Liebe gewesen, irgendwann ging man auseinander, hin und wieder folgten einige beleidigte Nachrichten auf Social Media.

Aus diesem Leben Musik zu machen ist eine unglaubliche Leistung. Taylor schrieb ein halbes Dutzend Break-up-Songs, manchmal wusste man danach, mit wem sie never-ever-ever wieder zusammen kommen würde (Jake Gyllenhall), manchmal wünschte man sich eine «reunion» (Taylor Lautner), manchmal hatte man das Gefühl, Taylor habe gerade eine ganze Generation von Frauen ziemlich erfolgreich vor einem Mann gewarnt (John Mayer). Manche fanden das indiskret. Ich dagegen habe Taylor immer verteidigt: Dass männlichen Sängern vorgeworfen wird, ihr Privatleben zu exponieren, kommt schliesslich so gut wie nie vor.

Und doch ist bei Taylors Texten etwas anders. Man fühlt sich beim Hören immer mal wieder, als würde man gerade mit einer Freundin sprechen oder ein altes Tagebuch durchblättern. Ich weiss zum Beispiel nicht, ob es für einen Song über Liebeskummer, an dem man auch noch selber schuld ist, einen besseren Einstieg gibt als «Once upon a time, a few mistakes ago». Es gab Zeiten, da hätte ich mir diese Zeile am liebsten als Tattoo stechen lassen – wenn ich nicht, genau wie Taylor, viel zu vorsichtig für so etwas wäre. An einer anderen Stelle heisst es: «My mother accused me of losing my mind, But I swore I was fine.» Auch da ging es mir zu der Zeit ähnlich. Und ich weiss noch genau, wie oft ich mich auf Studentenparties «happy, free, confused and lonely at the same time» gefühlt habe und laut mitgesungen habe, was mit Anfang zwanzig einfach immer stimmt: «It’s miserable and magical oh yeah».

In den letzten Jahren allerdings ist das «Swiftie Life» wie ich – und ein paar verhaltensauffällige 13-Jährige – es nennen, nicht leichter geworden. Taylor, die so sorgfältig an ihrem Image als nahbare beste Freundin gearbeitet hatte, fetzte sich auf Instagram, Twitter und Tumblr mit Katy Perry, Kanye West, Calvin Harris, Justin Bieber. Und auch wenn ich eigentlich zu ihr halten wollte, ging sie mir auf die Nerven.

Jetzt könnte man natürlich darüber nachdenken, warum erfolgreiche Frauen unbedingt bescheiden und harmoniebewusst sein müssen und ob Taylor Swift, indem sie sich öffentlich wehrt, wenn jemand schlecht mit ihr umgeht, nicht einfach das Naheliegende tut. Dass sie sich ihrer Macht bedient, kann man einer Frau kaum noch vorwerfen. Doch auch die Lieder, die diese Internet-Streitigkeiten begleitet haben, waren anders. Sie hiessen «Bad Blood» und «Look What You Made Me Do» und hatten wenig mit der smarten, gut gelaunten Musik zu tun, die einst meine Shower-Playlist gekapert hatte. Stattdessen: peinliche Wortspiele, krasse Verzerr-Effekte, teure Videos.

Andererseits wurde aus einer jungen Frau, die ihr Geld mit Country-Musik machte und darauf achtete, dass keiner einen Grund hatte, sauer zu sein, ein erwachsener, unabhängiger Mensch. Heute ist Taylor Swift eine der Frauen, die vom «Times-Magazin» zu den wichtigsten Fürsprecherinnen in Sachen #MeToo gewählt wurde, sie setzt sich für die LGBTQ-Community ein – und bezeichnet die lustigen Dating-Stories, mit denen sie einst bekannt wurde, als gigantisches «slutshaming». Dass es noch vor drei Jahren während Donald Trumps erster Kampagne Vermutungen gab, Taylor Swift könnte zu seinen Unterstützerinnen gehören, ist kaum mehr vorstellbar.

Dann kam der Frühling 2019. Auf Taylors Instagram-Profil wurde es bunt. Fluffige Pastellfarben kündeten vom Beginn einer neuen Ära. Ich freute mich, hörte das Album einige Male – und musste dann einsehen: irgendwas ist anders. «Lover» ist ein gutes Album, die Nähe von früher allerdings ist weg. Kein Song tönt mehr nach Tagebuch oder schnell aufgeschriebenem Break-up-Hit. Schliesslich gab ich auf.

Ich musste eine neue, bessere Haltung finden. Taylor Swift, dieser schwerreiche Superpopstar, hängt schliesslich in meinem Bad – und wer sich einmal im Freundeskreis als Swiftie geoutet hat, kommt da eh nicht mehr raus. Ich beschloss also, ein richtiger Fan zu werden. Also ungefähr so, wie ich mir Fussballfans vorstelle. Die schimpfen ja auch über den Trainer, die Mannschaft, die ganze Saison. An der Liebe ändert das nichts, im Gegenteil.

Seit einigen Tagen schlägt mein Swiftie-Herz wieder besonders stark. Morgen, am 31. Januar, wird auf Netflix die Doku «Miss Americana» veröffentlicht, für die Taylor mehrere Jahre mit der Kamera begleitet wurde. 85 Minuten Backstage-Krisen, Zusammenbrüche, Euphorie – und die Geschichte einer jungen Frau, die sich nie für Politik interessiert hat, aber irgendwann feststellt: «Ich muss auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.» Ein bisschen viel Drama? Mag sein. Ich bin trotzdem sicher: In ein paar Tagen werde ich nicht mehr der einzige Swiftie in meinem Freundeskreis sein.

Dieser Text wurde in leicht veränderter Form im Buch «These Girls – Ein Streifzug durch die feministische Musikgeschichte» und auf Jetzt.de veröffentlicht. Das Buch behandelt weibliche Vorbilder von den 1950ern bis heute und ist im Ventil-Verlag erschienen.