Diese Bücher sollten Sie im Juni lesen
- Redaktion: Frank Heer, Claudia Senn; Text: Verena Lugert (Buch), Dietrich Roeschmann (Bildband); Leandra Nef (Sachbuch); Foto: Angello Lopez (1)
Jeden Monat stellt die annabelle-Kulturredaktion die besten Bücher und Bildbände für Sie zusammen.
Auch im Juni präsentieren Ihnen unsere Kolleginnen und Kollegen aus dem Ressort Kultur die besten Neuerscheinungen. Dieses Mal mit dabei: Ein Bildband, der auch Good News zurückblickt, eine sprachmächtige Road-Novel und eine grandiose Abhandlung darüber, was der Instagram-Kosmos mit jungen Frauen anstellen kann.
1.
Terroristische Anschläge, Kriege, Präsidentschaftswahlen mit verhängnisvollem Ausgang – in letzter Zeit sind viele schlimme Dinge passiert. Aber wussten Sie, dass der Panda von der Liste der bedrohten Tierarten gestrichen werden konnte? Und dass seit Jahren die Kindersterblichkeit sinkt? Die extreme Armut nimmt immer weiter ab, und der IQ der Menschen steigt. Früher war eben doch nicht alles besser. Was der Schweizer «Spiegel»-Journalist Guido Mingels in seiner wöchentlichen Kolumne predigt, erscheint jetzt als Buch: 128 Seiten unverhoffte Good News als Gegenstimme zu einem nicht enden wollenden Kanon aus Schreckensmeldungen.
– Guido Mingels: Früher war alles schlechter. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2017, 128 Seiten, ca. 23 Franken
2.
Jonas erbt von seinem Opa Geld – und einen Auftrag: Er soll einen Mann, Valerij Butzukin, finden. Die Suchmaschine gibt nichts her, existiert er überhaupt? Jonas ist bald auf einer Odyssee nach Moskau, gerät in ein Labyrinth aus Spuren, in dem sich Fäden aus dem Leben des Grossvaters, des Enkels und des Unbekannten kreuzen. Kaufmann verwebt Realitäten, Nihilismus und Stringtheorie zu einer sprachmächtigen Roadnovel.
– Kat Kaufmann: Die Nacht ist laut, der Tag ist finster. Tempo im Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2017, 240 Seiten, ca. 29 Franken
3.
Bei dreien ist einer zu viel. In diesem Fall ist es nicht einer, sondern eine, die zu viel ist, und zwar Ester, die sich in Olof verliebt hat, der aber mit Ebba verheiratet ist und das auch bleiben will – aber berauscht ist vom Gefühl des doppelten Begehrtwerdens, des herrlichen Überflusses und der köstlichen Freiheit, sich nicht festlegen zu müssen. Ester, die Intellektuelle, hungert nach den Brosamen seiner Zuneigung, macht den Schauspieler Olof zum Mittelpunkt ihres Daseins, kennt keine Selbstachtung mehr, denn sie spürt und weiss und wünscht, dass sich Olof irgendwann zu ihr bekennt … Es ist die uralte Geschichte vom Nicht- Geliebtwerden, die die grosse schwedische Autorin Lena Andersson hier erzählt, schon zum zweiten Mal. Auch in ihrem vorigen Roman «Widerrechtliche Inbesitznahme» (2015) hat sie ihre Protagonistin Ester durch das Seeleninferno einer zu spärlich erwiderten Liebe geschickt. Und wieder erzählt Andersson so brutal, scharfsinnig und wuchtig von den Wunden, die die Liebe schlägt.
– Lena Andersson: Unvollkommene Verbindlichkeiten. Luchterhand- Verlag, München 2017, 383 Seiten, ca. 27 Franken
4.
«Da ich stundenlang, tagein, tagaus durch ihre Bilder geglitten war, war sie für mich immer eher flüssig oder gasförmig gewesen, aber in Wirklichkeit war sie fest. Es war seltsam, ihr so nahe zu sein.» Alice Hare, englisch für Hase, ein orientierungsloses Adoptivkind, 23 Jahre alt, ist in den Instagram-Kosmos hineingefallen. Ist von England nach New York gezogen – und hat sich dort, vereinsamt und verängstigt, in der digitalen Welt verloren. Sie folgt der bezaubernden pfirsichhäutigen Mizuko – einer Instagram-Berühmtheit, Schriftstellerin, Spross einer schwerreichen japanischen Bankiersfamilie, New Yorker It-Girl, Follower-Magnet. Jede will so sein wie sie – doch Alice will noch mehr: Sie will Mizuko haben. Sie stellt ihr nach, schafft es, sich mit ihr zu befreunden, und ein beunruhigendes Spiel mit Identitäten – den digitalen und auch den realen – beginnt. «Alice im Wunderland» für die Instagram-Generation. Grandios!
– Olivia Sudjic: Sympathie. Verlag Kein & Aber, Zürich 2017, 494 Seiten, ca. 30 Franken
5.
Revolution, Che Guevara und die Castro-Brüder: Rachel Kushner erzählt aus der Sicht zweier amerikanischer Teenager, die in der US-Exklave Oriente auf Kuba leben, als das Land noch ein kolonial geführter Vorposten der USA war und nicht kommunistisches Feindesland. Ein Roman so dicht, schillernd, üppig und dampfend wie die feuchten Tropen, in denen er spielt.
– Rachel Kushner: Telex aus Kuba. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017, 462 Seiten, ca. 29 Franken
6.
Vor einem Jahr starteten Molly Soda und Arvida Byström eine Instagram-Kampagne: Sie baten Frauen, ihnen Bilder zu schicken, die der Social-Media-Riese gelöscht hatte, da sie die Community Guidelines verletzten (annabelle.ch berichtete). Jetzt hat das Künstlerinnenduo gut 250 der eingesandten Motive zu einem Lookbook zusammengestellt. Der Grundton der Aufnahmen ist rosa, die Botschaft politisch: Wer entscheidet, wann ein Bild gefährlich ist? Und wo verläuft die Grenze zwischen dem Schutz individueller Freiheit und Zensur?
– Arvida Byström, Molly Soda: Pics or It Didn’t Happen. Prestel-Verlag, London 2017, 300 Seiten, ca. 30 Franken