Kürzlich stand ich in der Ramschecke unseres Quartier-Brockis vor einem Kassettenrekorder von 1984. Er lag da wie ein vergessenes Stück der gestrigen Welt. Ein schönes Gerät aus schwarzem Plastik und matt silbernem Blech. Hob man es zur Nase, roch man die Elektronik im Innern des Gehäuses und den klebrigen Staub der Zeit. Nun bin ich kein Mann von gestern. Ich weiss, dass es keine mechanischen Abspielgeräte mehr braucht, um Musik zu hören. Doch Nostalgie ist ein süsses Gift. So kam es, dass ich mich durch eine Schachtel Kassetten wühlte, die es für einen Franken pro Stück zu kaufen gab. Ich fand eine Best-of-Bill-Withers-MC und schob sie verstohlen ins Kassettengerät.
Bill Withers hatte der Welt 1972 «Ain’t No Sunshine» geschenkt. Der Song ist nur zwei Minuten lang und gehört zu den traurigsten, die je geschrieben wurden. Faszinierend ist, dass die Musik überhaupt nicht traurig klingt. Es gibt ein Video, das ich mir alle paar Monate ansehe. Withers ist über die Gitarre gebeugt und öffnet während des ganzen Songs kein Auge. Seine Band musiziert so konzentriert und um jeden Ton bedacht, als spielte sie in der Kirche. Nur der Schlagzeuger fletscht hinter seiner Sonnenbrille die Zähne – wobei man nicht weiss, ob es der Kraftakt der Zurückhaltung oder die schiere Freude am sparsamen Beat ist, welche seine Mundwinkel zu einem Grinsen verzieht.
Und während «Ain’t No Sunshine» wie lauwarme Milch aus dem kleinen Speaker des Kassettenrekorders schwappte, sah ich nach draussen in das Grau eines Nachmittags im Februar. Menschen unter Kapuzen und Schirmen eilten vorbei. Autos hielten an und fuhren weiter. Und es war, als nähme die Zeit vor dem Fenster den gewohnten Lauf, während sie drinnen, für die Spielzeit von zwei Minuten, stehen blieb. Nicht 1972, nicht 1984, sondern jetzt und hier. Ich kaufte die Kassette (ohne den Rekorder) und stellte sie zu Hause auf meinen Schreibtisch. Zur Erinnerung daran, was gute Musik immer kann: die Zeit anhalten.