Popkultur
Meinung: Darf man um Prominente trauern?
- Text: Torsten Gross
- Bild: Michael Melia/Alamy Stock Photo
Kindisch, übertrieben oder total legitim? Wenn Celebrities aus dem Leben scheiden, scheiden sich auch die Geister um die angemessene Trauer.
Als der Musiker David Bowie 2016 verstarb, erfüllte mich eine tiefe Traurigkeit und Leere. Ich weinte. Ich änderte Profil- und Hintergrundbild in meinen Social-Media-Profilen. Ich postete unablässig Bowie-Videos, konnte mich kaum auf die Arbeit konzentrieren, hörte tagelang seine Musik und fand Trost in Gesprächen mit anderen Bowie-Fans. Kurzum: Ich trauerte. Ich hatte diesen Mann nie persönlich getroffen, aber dennoch fühlte sich sein Tod für mich an, als sei ein naher Verwandter oder Freund gestorben. Weshalb ich auch erbost reagierte, als einer meiner Facebook-Freunde Folgendes schrieb: «Jetzt ist es aber auch mal gut mit der Trauer um Bowie. Der Mann war 69 Jahre alt und hatte ein gutes Leben.»
Das ist nun vier Jahre her, aber ich weiss immer noch genau, was mich damals so aufgeregt hat: Hier wollte mir jemand vorschreiben, wie ich um wen zu trauern habe. Wäre es tatsächlich um einen nahen Freund oder Verwandten gegangen, hätte kein halbwegs anständiger Mensch auch nur über einen solchen Kommentar nachgedacht. Wir werden zu Pietät erzogen. Andere in ihrer Trauer zu kritisieren, gilt zu Recht als schäbig und unhöflich.
Alles nur Heuchelei?
Bei der Trauer um Prominente gilt diese Regel offenbar nicht. Wir haben es vielmehr mit einem inzwischen sattsam bekannten (vor allem, aber nicht nur) Social-Media-Phänomen zu tun, das zuletzt anlässlich des Todes von Charlie Watts zu beobachten war: Der Schlagzeuger der Rolling Stones verstarb – für viele überraschend – nur wenige Wochen nach einer nicht näher beschriebenen Operation. Danach trauerten weltweit Abertausende Fans mit rührenden Posts und Texten voller Anteilnahme.
Trotzdem fanden sich unter den meisten Trauerbekundungen zuverlässig auch Kommentare wie der eingangs beschriebene. Kommentare, aus denen völliges Unverständnis sprach, die der Trauergemeinde Heuchelei und Theatralik vorwarfen oder sie schlicht als kindisch abtaten.
Die neue Religion
Die stille Frage hinter diesen Kommentaren ist auf den ersten Blick berechtigt: Darf man um Prominente genauso oder ähnlich trauern wie um Freunde oder Verwandte? Ikonen wie Jean-Paul Belmondo, Diego Maradona, Karl Lagerfeld, Doris Day, Aretha Franklin oder Prinz Philip dürften die meisten von uns nicht persönlich gekannt haben. Ähnlich wie Charlie Watts, der achtzig Jahre alt geworden ist, sind sie in den vergangenen zwei Jahren überwiegend in gesegnetem Alter und nach einem erfüllten, reichen Leben gestorben. Dennoch war ihr Tod tagelang beherrschendes Thema auf Social Media und in privaten Gesprächen. Woher also kommt der Impuls, um wildfremde Menschen zu trauern?
Eine naheliegende Erklärung wäre, dass in unseren weitgehend säkularisierten Gesellschaften kulturelle Phänomene für viele die Funktion der Religion übernommen haben. Sie haben einen gewissen Reiz: Insbesondere in Kindheit und Adoleszenz empfinden wir Filme, Musik, Bücher, Kunst, Mode und damit auch die dahinterstehenden Persönlichkeiten als derart sinnstiftend und konstituierend bei der Bildung unserer Persönlichkeit, dass wir auf einer spirituellen Ebene ein Leben lang mit ihnen verbunden bleiben. Den ersten Kuss, die ersten Ferien ohne Eltern, die erste Party verbinden wir auf alle Ewigkeit auch mit der Musik oder den Filmen, die bei diesen Gelegenheiten liefen.
Tod der eigenen Jugend
Fest steht, dass die Popkultur für viele von uns in den prägendsten Phasen unseres Lebens einen entscheidenden Teil der Erziehung übernommen hat. Indem Filme, Songs und Bücher uns Welten eröffnet haben, die den eigenen Eltern verschlossen blieben, haben diese Werke uns letztlich auch zu denen gemacht, die wir heute sind. Und weil das so ist, sind unsere kulturellen Held:innen auf ewig unser Band zu diesen Erlebnissen und zu den Menschen, die wir mit ihnen verbinden.
Doch das ist nur der nostalgische Teil der Erklärung. Bei vielen von uns hält diese Bindung ewig an. Die Musik, die wir hören, bleibt der Soundtrack für die verschiedenen Abschnitte unseres Lebens. Gemeinsam mit unseren Held:innen werden wir älter. Bücher und Filme liefern die Bilder und Gedanken dazu, und in der Kleidung, für die wir uns entscheiden, demonstrieren wir diese Verbundenheit. Wenn also unsere Held:innen sterben, stirbt immer auch ein Teil von uns selbst – und sei es der sorgsam konservierte letzte Rest der eigenen Jugend. Unsere Welt wird kleiner und ärmer.
Lebensbegleitung
Wenn du es übertrieben findest, bedenke, dass Künstler wie David Bowie oder Prince Menschen ermutigt haben, Geschlechterrollen anders zu denken, ihrerseits Musik zu machen oder wenigstens ihr schnödes Heimatkaff zu verlassen und ihren Träumen zu folgen. Die Rolling Stones etwa haben mich mein gesamtes Leben begleitet. Sie waren immer da, und jedes ihrer Konzerte war wie ein kleiner Sieg über den Tod.
Wer das nicht nachempfinden kann, hat entweder kein Herz – oder nie eine Jugend gehabt.
Dieser Text stammt aus der aktuellen annabelle-Sonderausgabe zum Thema Tod. Das Spezialheft ist am Kiosk erhältlich.
Ohne Herz und Jugend ist ein bisschen übertrieben oder? Erlich gesagt verstehe ich diese Art Trauer nicht, war froh diesen Artikel zu finden und am Ende fühle mich doch beleidigt und will diese Leute gar nicht mehr verstehen…