«Mein Leben fühlt sich oft an, als wäre ich nicht ansatzweise erwachsen»
- Interview: Vanessa Sadecky; Foto: Getty Images
Kathrin Wessling (34) schreibt frisch und ungefiltert über das Leben mit all seinen ekligen Gefühlen und Verwirrungen. Depression, Angststörungen und die Hassliebe zu Social Media sind keine Tabus für die Autorin, sondern Stoffe, die ihre Texte inspirieren. «Nix passiert» ist nach «Super, und dir?» ihr zweiter Roman.
annabelle: Kathrin Wessling, was denken Sie, wenn Sie hören, Sie seien die Stimme Ihrer Generation?
Kathrin Wessling: Ich frag mich dann, was soll das für eine Generation sein? Mir sagen 25- und 45-Jährige, dass ich ihre Sicht aus der Welt beschreibe. Ich glaube schon, dass meine Bücher ein gutes Zeitgeist-Dokument sind, eins von vielen. Es ist natürlich schön, so was zu hören, weil es auch ein Kompliment ist. Aber ich bin halt auch eine weisse, privilegierte Frau und hoffe auch daher, dass ich nicht allein diese Stimme bin.
In Ihrem neuen Roman «Nix passiert» folgt Ihr Protagonist Alex seine Ex-Freundin auf Instagram mit einem falschen Profil, was seine Depression nur noch verschlimmert. Wie ist Ihr Umgang mit Social Media?
Mein Umgang mit Social Media hat sich in den letzten Wochen krass geändert. Mir war schon vorher teilweise klar, was das dauernde Posten für schlechte Auswirkungen auf mich hat. Ich habe das ganz besonders auf Twitter gemerkt. Ich twittere jetzt nur noch beruflich und merke, wie viel besser es mir geht.
Was war der Auslöser für diese Entscheidung?
Ich habe gemerkt, dass die Leute Sachen von mir erwarten, die ich nicht bereit bin, zu erfüllen. Ich bin keine 24/7-Standleitung für Probleme. Die reden auch teilweise mit mir, als wäre ich ihre Freundin: Jemand hat mich eben gefragt, ob meine Lesung in Hamburg später anfangen könne. Ich meine das meinen Fans gegenüber nicht böse, weil ich das auch verstehen kann, das geht mir mit Leuten bei Instagram oft auch so, aber so was wie Tickets weiterzuverkaufen ist nicht meine Aufgabe.
Sie teilen Ihre politische Meinung auch auf Social Media. Sie sagen Ihren Fans beispielsweise, dass sie Ihre Bücher nicht auf Amazon kaufen sollen, oder Sie rufen dazu auf, zu einer Antifaschismus-Demo zu gehen.
Ich mache das, um nicht nichts zu sagen. Ich finde es falsch, sich in Zeiten wie diesen nicht zu äussern. Ich war schon als Jugendliche politisch und bin es immer geblieben.
Ihre Bücher werden gern in die Schublade «junge Frauenliteratur» gesteckt. Ist das gerechtfertigt?
Meine Fans sind tatsächlich vor allem Frauen. Männer werden oft erst zu meinen Lesern, wenn sie mit ihrer Freundin zu einer Lesung kommen und dann merken: Die macht ja gar nicht nur so Frauenkram. Wobei ich auch nicht weiss, was Frauenkram bedeuten soll. Von mir aus können auch nur Frauen zu meinen Lesungen kommen. Fände ich super.
Es heisst, die Literaturszene sei ein Altmännerclub. Deckt sich das mit Ihrer Erfahrung?
Es ändert sich was zum Glück. Aber ich finde die Szene immer noch super sexistisch. Ich bin überzeugt davon, dass meine Bücher ganz anders besprochen worden wären, wenn da ein männlicher Autorenname drauf stünde. Ich habe mir bei «Nix passiert» überlegt, ein Pseudonym zu benutzen, weil mir klar war, dass es ein Thema sein wird, dass der Protagonist ein Mann ist. Dass es jetzt aber in Interviews so ein Riesenthema ist, hat mich dann doch erstaunt. Stell dir vor, über was für coole Dinge ich in Interviews sprechen könnte, wenn der männliche Protagonist nicht immer das Hauptthema wäre. Wie viele krasse Dinge passieren im Buch, die viel wichtiger sind?
Was ist wichtiger?
Alex’ psychische Erkrankung und das Landleben. Und toxische Männlichkeit. Ich finde es nicht wichtig, dass aus der Perspektive eines Mannes erzählt wird, sondern, dass dieser Mann in seinem Umfeld mit vielen Dingen zu kämpfen hat. Mit diesen krassen Männertypen: seinem Vater, seinem Bruder, die sich beide auch als ganz anders herausstellen. Das war einer der Hauptgründe für mich, dass Alex so ist, wie er ist. Ich wollte einfach nicht so einen Macho oder Chauvi. Alex hat so viele Probleme in dem Buch, weil alle um ihn herum erwarten, dass er ein Klischee-Mann sein soll. Und wie lustig ist es bitte, dass jetzt in der Rezension des Buches gesagt wird, der Typ ist nicht männlich genug? What the fuck, Alter?
Sie haben für dieses Buch aus der männlichen Perspektive geschrieben.
Mhm.
Warum?
Ich hatte Bock drauf. Für mich hat es, ehrlich gesagt, nicht so einen Unterschied gemacht. Ich habe manchmal meine männlichen Freunde gefragt, ob das ein Mann so machen würde, wenn ich nicht ganz sicher war. Wenn es ums Onanieren ging oder darum, was einer an seiner Ex-Freundin genau vermisst. Ansonsten heulen die auch und gehen zum Yoga.
Sie sprechen in Ihrem Buch oft von «ekligen Gefühlen». Was meinen Sie damit?
Neid, Eifersucht, Scham, Ohnmacht und Verlassenwerden. In mir lösen solche Gefühle oft Ekel aus. Ekel vor den Gefühlen und manchmal vor mir selber. Wenn du verlassen wurdest und dich selber so richtig geil bemitleiden kannst, ist das gut auszuhalten. Aber wenn du was gemacht hast, was richtig Kacke ist und wofür du Scham fühlst, und du dann dafür geradestehen musst, ist das sehr unangenehm. Das meine ich mit ekligen Gefühlen.
Wachstumsschmerz beim Erwachsenwerden ist eines der grossen Themen in Ihrem Buch. Was macht einen Menschen zum Erwachsenen?
Ich habe klassische Klischeevorstellungen vom Erwachsenwerden. Für mich bedeutet es, Dinge mit einer Art Zuverlässigkeit geregelt zu bekommen. Dass man eine Grundordnung hält und Rechnungen nicht erst bezahlt, wenn ein Inkassounternehmen vor der Tür steht. Alles Sachen, die mir sehr schwerfallen. Einerseits durch mein ADHS, andererseits durch meine Persönlichkeitsstruktur.
Wie haben Sie gemerkt, dass es Zeit ist, erwachsen zu werden?
Ab dreissig wurde das Thema für mich richtig schlimm. Weil ich einfach ständig erlebe, wie überrascht die Leute sind, wenn sie merken, wie alt ich bin. Die denken, ich bin höchstens 29. Ich ziehe mich auch nicht so an, wie die sich das so vorstellen. Ich finde die klassische Vorstellung von jemandem, der Mitte dreissigist, so krass. Aber das ändert sich total.
Inwiefern?
Meine Freunde sind teilweise Mitte oder Ende vierzig und die sind wie ich. Das hat auch viel mit Berlin zu tun. Du kannst in Berlin sehr viel besser, sehr viel leichter jung bleiben. Das Erwachsenwerden wäre natürlich einfacher, wenn ich in einer Beziehung wäre und mit meinem Freund zusammenwohnen würde und am Wochenende Ausflüge machen würde. Und halt nicht wie ich jetzt am Mittwochnacht in einen Technoclub gehen. Mein Leben fühlt sich oft so an, als wäre ich nicht ansatzweise erwachsen.
Ist das was Negatives?
Nicht zwingend, aber trotzdem muss man sich damit auseinandersetzen. Vor allem als Frau Mitte dreissig, nicht zwangsläufig, aber ich habe mich auch mit dem Kinderthema auseinandergesetzt. Und das sind schon so Themen, die in das Erwachsenending mit reinspielen. Ich dachte, mit Mitte dreissig wäre ich ganz anders. Dass ich Kinder hätte und mit meinem Freund oder Mann in einer Altbauwohnung leben würde mit einer Festanstellung in einer Redaktion. Spiessig eigentlich. Oder nicht spiessig, aber geregelt.
Sie beschreiben in «Nix passiert» die Denkweise so, dass man sich so was wie einen neuen Job oder ein neues Kleidungsstück überstreifen kann und dann endlich zu der Person wird, die man schon immer sein wollte. Glauben Sie, dass man diese trügerische Hoffnung jemals ablegen kann?
Nein, ich habe das auch immer noch. Aber ich merke, dass es mir mit den Jahren leichter fällt, mich nicht mehr über einen solchen Bullshit wie ein neues Kleid zu definieren. Ich habe mir zum Beispiel zum allerersten Mal bei meiner Release-Lesung kein neues Kleid gekauft. Und ich habe gemerkt, dass es absolut in Ordnung ist, das nicht zu tun. Ich habe 2019 auch die ersten sechs Monate gar keine neue Kleidung gekauft. Das macht schon was mit einem. Es war nicht schwer, aber ich habe gemerkt, dass ich oft das Gefühl hatte, dass ich jetzt nicht so cool bin wie die anderen oder so. Oder alle tragen jetzt einen bestimmten Style und ich gehöre da nicht dazu. Man kann diese Denkweise aber nur durch kapitalistische Verweigerung ablegen. Und eben das geht halt nur bis zu einer bestimmten Grenze.
Auf der ersten Seite Ihres Buches steht die Widmung: «Für mich». Was war der Gedanke dahinter?
Ich wollte das schon immer mal machen. Aber es hat erst jetzt gepasst. Es war so anstrengend und so krass, dieses Buch fertig zu schreiben. Ich bin mir selber sehr dankbar dafür, dass ich es geschafft habe.
Wieso ist es Ihnen so schwergefallen, das Buch fertig zu schreiben?
Die Leute stellen sich das Bücherschreiben immer so nice vor, weil man nicht zur Arbeit muss. Aber genau das ist der Knackpunkt: Du trägst für alles die Verantwortung. Wenn das Buch scheisse wird, kannst du nicht sagen, das waren halt die Umstände. Das warst du. Das ist ein ganz anderer Druck.
Was hat dieser Druck mit Ihnen gemacht?
Ich habe das Buch innerhalb von zwei Monaten neu geschrieben. Nach der Abgabe dachte ich dann, okay, wenn ich das kann, dann kann ich ja noch viel mehr Bücher in kurzer Zeit schreiben. Was das dann aber kräftemässig für Auswirkungen hatte, habe ich in den Monaten danach gemerkt. Ich bin psychisch immer noch nicht wieder heil von der Zeit. Ich habe immer noch Panikattacken und bin nicht belastbar, weil die Zeit der totale Irrsinn war.
Wie hat sich die zweite Version von der ersten unterschieden?
Liebeskummer kam in der zweiten Buchversion in die Geschichte, weil ich selber Liebeskummer hatte. Es wäre für mich in der Zeit nicht machbar gewesen, einen Protagonisten zu beschreiben, dem es egal ist, dass er verlassen wurde. Dann wäre der einfach so wie mein Ex-Freund geworden, das wollte ich nicht.
Hat Ihnen das Schreiben bei der Verarbeitung geholfen?
Ausnahmsweise ja. Das Schreiben hat mir dieses Mal in den Momenten geholfen, in denen der Liebeskummer ganz schlimm war. Es half mir, dass ich wusste, zur Not kann ich mich hinsetzen und die Gefühle aufschreiben und fürs Buch benutzen. Man muss damit aber auch aufpassen. Ich habe dadurch auch viel weggedrängt. Manchmal ist es besser, Gefühle auszuhalten und sie nicht sofort zu nehmen und in was Produktives zu verwandeln.
Haben Sie schon ein neues Buchprojekt geplant?
Ich schreibe schon am nächsten Buch. Aus der Katzenperspektive anstatt der Männerperspektive. Kleiner Scherz.
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Die Stimme einer Generation? «Ich weiss nicht. Mir sagen sowohl 25- wie 45-Jährige, dass ich ihre Sicht der Welt beschreibe»