Serien & Filme
Margaret Qualley über den Dreh von «Kinds of Kindness»: «Ich fühlte mich verletzlich und ausgeliefert»
- Text: Mariam Schaghaghi
- Bild: Dukas
Margaret Qualley ist in Yorgos Lanthimos' neuem Film «Kinds of Kindness» zu sehen. Wir trafen sie in Cannes zum Interview und sprachen mit ihr über ihren Weg zur Schauspielerei, Nacktszenen und die Zusammenarbeit mit ihrer Mutter Andie MacDowell.
Eine Dachterrasse hoch über Cannes. Der Blick über die Bucht ist spektakulär. Der Pool glitzert, die gedeckten Tische warten auf die Lunchgäste. Im Schatten einer Cabana sitzt eine junge, sehr schlanke Frau mit einem Schneewittchengesicht – blasse Haut, rote Lippen, die Augen ausdrucksvoll strahlend.
Margaret Qualley trägt ein cooles-T-Shirt, Jeans und dazu Chanel-Ballerinas, die sie aber abgestreift hat, um sich den Fuss unter den Po zu klemmen. Hinter ihr sitzt: Papi. Ein sportlicher Typ mittleren Alters in Shorts, T-Shirt, Crocs (argh!) und Baseball-Cap, als sei er einer der Touris von der Croisette. Die Beine hat er auf den Couchtisch ausgestreckt, als spiele er in einem Film einen Klischee-Ami.
Ein Raketenstart in Hollywood
Margaret sitzt mit dem Rücken zu ihm, aber dreht sich ein-, zweimal im Gespräch zu ihm um. Die 29-Jährige ist eine der grössten Kino-Sensationen der letzten Jahre. Die jüngste Tochter von Oscar-Gewinnerin Andie MacDowell legte in Hollywood einen Raketenstart hin. Talent – das bezeugen ihre Auftritte in Filmen von Quentin Tarantino, Claire Denis und jetzt gleich zwei von Yorgos Lanthimos – das hat sie. Und dazu noch ein freches, eindringliches, lautes Lachen.
annabelle: Margaret Qualley, Sie gehören mit Emma Stone und Willem Dafoe zum festen Ensemble von Regisseur Yorgos Lanthimos. «Poor Things» gewann im März erst vier Oscars. Jetzt startet sein nächster, «Kinds of Kindness». Sind Sie vier schon wie eine Familie?
Margaret Qualley: Wenn das eine Familie ist, bin ich das Baby. Und Neuzugänge sind immer willkommen! Aber Familien sind ja auch immer ziemlich fucked up. (lacht) Nein: Mit Yorgos zu arbeiten, ist schon eine coole Sache. Ein Segen sind definitiv die Leute, die er zusammenbringt. Ich bewundere Emma, Willem und auch Jesse Plemons sehr. Ich beobachte sie am Set ganz genau, wie sie ihre Figuren herummanövrieren und sich Mühe geben, ihr Bestes zu geben. Ich bin so happy, bei diesen Filmen dabei gewesen zu sein.
Was hielten Sie von diesen ungewöhnlichen drei Geschichten in einem Film? Sie spielen auch drei ganz unterschiedliche Parts.
Erst beim zweiten Anschauen, also bei der Premiere, bekam ich ein genaueres Gefühl für den Film. Der Dreh fühlte sich an wie ein freier Fall: Man lässt sich auf etwas ein und vertraut darauf, dass es irgendwie gut geht. Ich fühlte mich ziemlich verletzlich und ausgeliefert. Im Film geht es um Kontrolle – und genau das fordert ja auch die Schauspielerei: loszulassen, Kontrolle abzugeben und sich in die Welt des Regisseurs einzufügen.
Sie glänzten in Cannes auch in einem zweiten Film, dem Body-Horror-Film «The Substance», wo Sie Demi Moores jüngeres Ich spielen. Suchen Sie bewusst nach provokativen Rollen und Grenzgängen?
Gar nicht. Ich würde am liebsten etwas Leichtes, zu Herzen Gehendes machen. Bei «Titanic» wäre ich sofort an Bord oder bei einer romantischen Komödie. Nein, ich bin nicht aktiv auf der Suche nach ausgefallenen Filmen. Aber ich suche nach ungewöhnlichen Leuten, die eine eigene Meinung haben und die einen besonderen Film realisieren wollen, nicht einfach eine Aneinanderreihung von Totalen und Nahaufnahmen.
Sie arbeiten heute mit Meister:innen wie Ethan Coen, Claire Denis oder Lanthimos zusammen. Wie kamen Sie so schnell dahin? Half es, dass Ihre Mutter weltbekannt ist?
Quentin Tarantino hat mir den grössten Dienst erwiesen, als er mich für «Once Upon a Time… in Hollywood» gecastet hat …
… wo Sie als Anhalterin an der Ampel Brad Pitt den Kopf verdrehen.
Quentin war für mich der Türöffner. Seitdem stand mir alles offen – so kam Claire Denis auch auf mich. Tarantinos Hilfe würde ich jederzeit wieder in Anspruch nehmen!
War Ihnen damals bewusst, wie sehr Sie das Publikum mit der Szene in den Bann schlagen würden?
Nein! Ich hatte ja die meiste Zeit befürchtet, dass ich rausgeschnitten werde und dass meine Szenen überhaupt nicht verwendet werden würden. Das ursprüngliche Drehbuch von «Once Upon a Time… in Hollywood» war nämlich sehr, sehr lang, und allen Beteiligten war klar, dass unmöglich alle Szenen im Skript auch im fertigen Film landen konnten. Meine grosse Hoffnung war also überhaupt kurz aufzutauchen.
Waren Sie von den überschwänglichen Reaktionen auf Ihre Rolle überrascht?
Klar! Das war nicht nur eine schöne Überraschung, sondern eine wirklich lebensverändernde Erfahrung. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Erst war das alles einfach surreal, aber jetzt geniesse ich dieses fantastische Gefühl.
Wann wollten Sie zum ersten Mal Schauspielerin werden?
Als Kind habe ich sehr viel getanzt. Die Schauspielerei ist für mich erst als Option aufgetaucht, als mein damaliger Freund an der High School mich mit 16 zu einer Impro-Theatergruppe mitnahm. Ich weiss noch heute, was für eine intensive Erfahrung das war: Ich habe gelacht, geweint und bin fast hysterisch geworden, weil ich so viele Gefühle zugelassen habe. Ich habe es geliebt, war fasziniert von der Macht der Gefühle, die man auslösen kann. An dem Tag habe ich mich in die Schauspielerei verliebt und verstanden, warum der Beruf so wundervoll ist. Alles war anders nach diesem Tag. Seitdem gehe ich diesen Weg und versuche immer weiterzukommen.
Wie haben Ihre Eltern darauf reagiert? Ihre Schwester Rainey ist auch Künstlerin, sie spielt und macht als Rainsford Musik.
Ich glaube, sie waren fast erleichtert. Beide wussten, dass ich es mit der Schauspielerei vermutlich leichter haben werde. Sie haben mir später gestanden, dass sie sich davor grosse Sorgen gemacht haben, dass ich beim Ballett meinem Körper zu viel abverlange. Sie befürchteten, dass ich in eine Magersucht rutschen könnte. Also waren sie begeistert, als ich den Traum begraben habe, um Schauspielerin zu werden.
Nun ist Ihre Mutter kein unbeschriebenes Blatt, sondern: Andie MacDowell, die auch nach 30 Jahren als Schauspielerin immer wieder erstaunt. Wie hat sie reagiert?
Mom war angenehm überrascht. Und hat mich ab dem ersten Tag voll unterstützt.
In der Serie «Maid» standen sie beide sogar zusammen vor der Kamera. Gefällt Ihnen Ihre Mutter als Kollegin?
Das war so grossartig! Für mich war es ein Geschenk, am Set meine eigene Mutter zu sehen, die auch noch die Mutter meiner Figur spielt. Der Umgang mit ihr ist nun mal sehr vertraut und intim, man spricht anders miteinander, berührt sich anders, reagiert anders … (lacht)
Wer hat dabei wem die Rolle verschafft?
Als ich für die Hauptrolle feststand, wurde jemand für die Rolle der bipolaren Mutter gesucht. Ich schlug Mom vor – ganz selbstsüchtig! Denn ich wollte, dass sie mir in Kanada bei dem Dreh der Serie Gesellschaft leistet. Das war das Coolste überhaupt.
Arbeitet man sofort auf Augenhöhe, wenn das Gegenüber 40 Jahre mehr Erfahrung hat und dazu noch die eigene Mutter ist?
Es hat schon Vorteile, muss ich sagen, wenn die Mutter eine fantastische, extrem begabte Schauspielerin ist. Sie hatte immer viele gute Tipps, grosse und kleine, die sich als pures Gold entpuppten. Das Wichtigste war aber, dass ich genau spürte, dass meine Eltern hinter mir stehen und an mich glauben. Bis heute gibt mir das viel Kraft.
Kommt Ihr Vater Paul Qualley auch aus der Branche?
Mein Vater hat Häuser gebaut und ist Künstler. Er liebt es, Dinge so zu machen, wie er sie machen will: stark, voller Schönheit, von Herzen. Das Gleiche gilt für meine Mutter, sie steckt viel Leidenschaft in die Schauspielerei. Ich hatte das grosse Privileg, Eltern zu haben, die grössten Spass an ihrer Arbeit hatten und mich motivierten, so lange zu suchen, bis ich etwas finde, das mich ausfüllt und begeistert. Es ist ein riesiges Privileg, etwas zu tun, was man liebt, und damit auch noch Geld zu verdienen.
«Ich habe versucht herauszufinden, wer ich bin und was ich vom Leben will. Es war schrecklich anstrengend, aber ich würde nichts ändern»
Sogar Chanel hat Sie schon unter seine Fittiche genommen und Sie von Kopf bis Fuss für Cannes ausgestattet.
Ja, ich habe eine wunderbare Beziehung zu den Leuten von Chanel. Sie sind entzückend und allesamt coole und extrem kreative Leute. Für mich sind die einfach top.
Dabei sind Sie doch ganz bodenständig aufgewachsen. Wie hat man sich Ihre Kindheit in Montana und Asheville in North Carolina vorzustellen?
Als ich vier war, zogen wir von Montana nach North Carolina. Bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr ging ich dort zur Schule, dann wechselte ich auf eine Ballettschule. Mein Vater hat in der Nähe gelebt und mir immer mein Mittagessen vorbeigebracht. Ich hatte eine wirklich schöne Kindheit in diesem unscheinbaren, fast biederen Vorort. Aber es ist auch herrlich, jetzt in New York zu leben. In Brooklyn, um genau zu sein. Ich bin ja mit 16 alleine nach New York gezogen.
Wie war diese Erfahrung für ein behütetes Südstaaten-Landei aus North Carolina?
New York war danach eine tolle und gleichzeitig schrecklich harte Erfahrung. Ich habe mich verliebt … übrigens auch in die Stadt. Und in die Schauspielerei. Gleichzeitig habe ich mich wahnsinnig einsam und unwohl gefühlt. Ich habe versucht herauszufinden, wer ich bin und was ich vom Leben will. Es war schrecklich anstrengend, aber rückblickend habe ich genau das gebraucht und würde nichts daran ändern.
Gebrochene Herzen gehören sicher der Vergangenheit an. Sie haben 2023 geheiratet.
Ja, stimmt! Ich habe Jack Antonoff geheiratet, er ist Musiker in einer Band und der beste Mensch auf der ganzen Welt.
Ihr Dad ist gerade mal aufgestanden. Das ist ein guter Moment, um nach den delikaten Bettszenen in «Stars at Noon» oder auch «Kinds of Kindness» zu fragen. Wie gut kommen Sie mit Nacktszenen klar?
Bei «Stars at Noon» war mein Vater fast jeden Tag am Set. (lacht) Wir haben uns während der Pandemie nicht sehen können, umso glücklicher war ich dann, dass wir während des Drehs in Panama Zeit miteinander verbringen konnten. Aber an diesen bestimmten Tagen hat er Set-Verbot von mir bekommen. (lacht) Die Szenen selbst waren gar nicht so schwer zu spielen, weil die Regisseurin so einfühlsam war und ich mich mit der kleinen Crew zu jeder Zeit total sicher gefühlt habe. Aber bei «Kinds of Kindness» haben wir dann mit einem Intimacy Coordinator die Szenen vorher besprochen, was das Ganze sehr vereinfachte.
Seit 2019, also seit Tarantino, haben Sie eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht. Was gefällt Ihnen nach fünf Jahren an diesem Beruf besonders – und was nicht?
Am schönsten ist die Herausforderung, denn ich liebe es, mich weiterzuentwickeln. Das kann einem dieser Beruf wirklich bieten. Womit ich nicht so gut klarkomme, sind die weit entfernten Drehorte. Wenn ich meine Liebsten lange Zeit nicht sehen kann, weil ich über Monate in anderen Ländern unterwegs bin, ist das hart. Auch lange Nachtdrehs in der Kälte sind nicht meine grössten Favoriten. (lacht)
Dafür, dass Sie ungern von zu Hause weg sind, drehen Sie ganz schön viel.
Erwischt! (lacht) Aber wenn ich dann zu Hause bin, nach einem anstrengenden Dreh, kann ich mich auch meisterlich gut entspannen und einfach nur abhängen.
«Kinds of Kindness» startet am 4. Juli in den Deutschschweizer Kinos.