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Mannsein will gelernt sein: Ein Gespräch zwischen Vater und Sohn

Literatur & Musik

Mannsein will gelernt sein: Ein Gespräch zwischen Vater und Sohn

Die Autoren Andreas und Benjamin Lebert sind Vater und Sohn. In ihrem neuen Buch «Mit dir: Vater und Sohn auf den Strassen des Lebens» erforschen sie, was das für sie bedeutet. Über den Umgang mit Nähe und Distanz, das Bemühen um Glück, Momente der Angst – und ausgekippte Saftpackungen.

annabelle: Andreas und Benjamin Lebert, wir unterhalten uns heute anlässlich der Veröffentlichung Ihres gemeinsamen Buches «Mit dir: Vater und Sohn auf den Strassen des Lebens» coronakonform per Videokonferenz. Daher vorab die Frage: Wie kommen Sie beide bislang durch die Pandemie? Insbesondere für Sie, Benjamin Lebert, stelle ich mir das als Vater von einem kleinen Jungen sehr schwierig vor.
Benjamin Lebert: Ja, das ist es auch. Ich möchte meinem Sohn die Welt nahebringen. Das ist das Wichtigste für mich: All die Farben, all die Klänge, all die Menschen wahrzunehmen. Die Welt ist aber hinter eine merkwürdige Glasscheibe gerückt. Hinter eine Maske. Die Mimik verschwindet. Ich habe jetzt angefangen, für ihn zu zwinkern, wenn wir unterwegs sind. Das mag er Gott sei Dank. Ich hoffe, dass das auch das Zwinkern der Welt für ihn sein wird, wenn er sie dann irgendwann wieder vollständig wahrnimmt.
Andreas Lebert: Ich habe, glaube ich, eine Erfahrung gemacht, wie sie viele gemacht haben: Ganz am Anfang der Pandemie konnte man diesem erzwungenen Innehalten durchaus etwas abgewinnen, wenn man selbst von der Krankheit nicht betroffen war. Dann wurde es mit der Zeit immer schwieriger und man merkt einfach, wie sehr man auf direkten Kontakt angewiesen ist – sowohl beruflich als auch privat. Wenn eine Vertrauensbasis da ist, geht es eine Weile auch indirekt. Wenn diese Vertrauensbasis aber nicht da ist, weil es sich um einen fremden Menschen handelt, ist es kompliziert. Und da, wo sie vorhanden ist, muss sie regelmässig durch Begegnungen erneuert werden.

Von wem ging der Impuls zum Schreiben dieses Buches aus? Wer hat das Wort des Anstosses gegeben?
Andreas Lebert: Kann ich gar nicht so genau sagen. Wir sassen zusammen, wie wir es häufiger tun, und haben ein paar Gedankenspiele entwickelt. Daraus ergab sich irgendwann die Frage: Wenn wir ein Buch über unser Leben schreiben würden, wären das zwei verschiedene Versionen? Und wenn ja, worin würden sie sich unterscheiden? Darüber sind wir miteinander ins Gespräch gekommen, weil wir es spannend fanden, darüber zu reden. Zunächst für uns. Und da wir beide schreiben, war es von dort nicht mehr weit, ein Buch zu machen.
Benjamin Lebert: Wir beide spielen regelmässig gewisse Dinge durch. Wir sprechen über unsere Geschichte und entwickeln Ideen. Oft in Form von Spässen. Es gibt zum Beispiel die Idee der sogenannten «Heat Talks», bei dem berühmte Leute in der Sauna sitzen und miteinander reden. Wir haben uns vorgestellt, wie lustig es wohl wäre, wenn ein Gesprächsduell oder dergleichen in einer Sauna stattfinden würde. Aus solchen Treffen hat sich irgendwann die Idee zu diesem Buch entwickelt.

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«Väter und Söhne arbeiten sich aneinander ab. An ihrem Mannsein»

Benjamin Lebert

Sie haben beschlossen, wie Sie schreiben, «die grossen Vater-Sohn-Themen miteinander auszufechten, für deren Bearbeitung alle Lebensjahre niemals ausreichen». Welche Themen sind das?
Andreas Lebert: Es fängt damit an: Wer bist du und wer bin ich? Das verwischt ja, wenn man gemeinsam miteinander aufwächst, und wird in der Pubertät auch nicht hundertprozentig geklärt. Wo hörst du auf, wo höre ich auf? In welche Bereiche des anderen dürfen wir rein und in welche nicht? Das ist das Areal für diese Themen.
Benjamin Lebert: Themen wie die Frage, was Schwäche und was Stärke ist. Wann können wir schwach sein, wann müssen wir stark sein? Es gibt diese etwas abgedroschene Metapher vom kleinen Fuss des Sohnes im grossen Fuss des Vaters als Spuren im Sand. Aber es ist tatsächlich so. Die beiden gehen zusammen und irgendwann verändert sich das. Der kleine Fuss wird grösser und bestimmt immer mehr den Weg durch dieses Wattenmeer des Lebens.

Sie beschreiben Ihre Beziehung in diesem Buch an vielen Stellen mit grosser Zärtlichkeit und Nähe. Dann wiederum heisst es dort auch, dass das Vermissen der entscheidende Faktor in der Beziehung zwischen Vater und Sohn ist. Dass «die immerwährende Angst, zu enttäuschen» das Band zwischen Vater und Sohn bildet und «das Glück ihrer Beziehung ein Leben lang gefährdet ist». Was genau gefährdet die Vater- Sohn-Beziehung? Welche Kräfte zerren an ihr?
Andreas Lebert: Freundschaften oder Liebesbeziehungen beginnen immer aus der Distanz und die Leute kommen sich langsam näher. In der Familie ist es genau umgekehrt. Vater-Sohn-Beziehungen beginnen in der absoluten Nähe. Ihre nicht einfache Aufgabe ist es, im Laufe des Lebens in die Distanz zu gehen und beim anderen Eigenständigkeit und Entwicklung zuzulassen. Selbst wenn die Kindheit des Sohnes für beide eine Phase des relativen Glücks war, kann man nicht davon ausgehen, dass das einfach anhält. Um Glück muss man sich immer bemühen. Man muss Wege finden, sich gemeinsam zu erzählen und gemeinsam etwas zu erleben.
Benjamin Lebert: Die Vergangenheit ist eben nicht «das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann», wie es heisst. Die Vergangenheit ist gefährdet durch Vergessen. Sie wird fortgezogen, durch die unterschiedlichen Wege, die Vater und Sohn gehen. Sie müssen einander loslassen. Beide sind davon verwundet. Der Vater ist verwundet, weil er nicht mehr der Starke ist. Der Sohn ist verwundet, weil sich das Starke auflöst und er nun selber stark sein muss. Väter und Söhne arbeiten sich aneinander ab. An ihrem Mannsein. Und am Ende gefährdet der Tod diese Beziehung.

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Benjamin Lebert, Sie sind in diesem Buch mit sich selbst sehr schonungslos und offen. Sie schildern Gewalterfahrungen durch ihre Mitschüler. Sie beschreiben die Scham über einen sexuellen Missbrauch, der Ihnen angetan wurde. Sie sprechen von Ihrem Scheitern am Literaturbetrieb und Ihrer Angst, kein guter Vater zu sein. Beruht diese Art der Reflexion auf dem Bedürfnis, sich anderen zu zeigen, oder nutzen Sie diese Technik, um an Ihnen selbst etwas zu veranschaulichen, was andere sonst nicht verstehen würden?
Benjamin Lebert: Es macht gerade für ein solches Buch keinen Sinn, Dinge auszusparen. Wenn man ein ehrliches Buch schreiben will, muss man auch in seine geheimen Winkel vordringen und sie blosslegen, bis es wehtut. Nur dann hat es einen Wert.

Der Vater in mir schreckt beim Lesen dieser schonungslosen Offenheit ein bisschen zurück. Nicht etwa aus Fremdscham, sondern aus einem Schutzimpuls heraus. Andreas Lebert, wollen Sie Ihren Sohn vor dieser Blosslegung schützen, oder ist das einfach etwas, was den erwachsenen Autor Benjamin Lebert charakterisiert?
Andreas Lebert: Ich bin natürlich ganz gut trainiert. Benjamin hat früh angefangen zu schreiben. Er hat eine eigene Stimme. Er formuliert seine Gedanken und Gefühle, so wie er es für richtig hält, und beeinflusst damit auch den Blick auf die Menschen um ihn herum. Ich bin einer davon. Damit muss ich leben und ich lebe damit gut. Seine Begabung für die Offenheit in der Beschreibung seiner seelischen Verfassung hat mich bei diesem Buch angesteckt, zumindest den Versuch zu wagen, ähnlich offen zu sein. Ich habe beim Arbeiten mit ihm viel gelernt.

Ich bin bei der Lektüre über das Wort «feige» gestolpert. Einmal beschreibt sich der Sohn so, als er sich gegen einen gewalttätigen Übergriff nicht wehrt. Ein anderes Mal fällt der Begriff, wenn es darum geht, nicht Nein sagen zu können. Ich persönlich finde eher die Gewalttäter feige und kann mir durchaus andere Gründe ausser Feigheit vorstellen, warum man nicht Nein sagen kann. Warum gehen Sie beide so hart mit sich ins Gericht und nicht mit den anderen?
Benjamin Lebert: So ein Übergriff geht oft damit einher, dass man sich selber angreift. Als Kind ist das besonders so. Ich hab mir immer gewünscht, mich wehren zu können, aber es ging nicht. Es prägt sich tief ein, dass man sich schämt, weil man so ist, wie man ist und sich nicht wehren kann. Das ist ein grosses Thema für mich, aber nicht nur in meinem Leben. Die Frage danach, wann wir uns etwas trauen müssten. Wann haben wir Angst? Ich nehme mich eher als ängstlich wahr.
Andreas Lebert: Beim Schreiben dieses Buches waren nicht die Szenen am interessantesten, wo man selbst gut wegkommt, sondern die, wo man nicht so war, wie man es sich gewünscht hätte. Feige ist ein alter Begriff, aber er beschreibt gut das Gefühl, dass man sich nicht getraut hat, Widerstand zu leisten. Das kennt jeder Mensch. Etwas oder jemandem zu widerstehen ist immer mit dem Risiko behaftet, seelisch oder körperlich verletzt zu werden. Es ist für alle hilfreich, in die Momente reinzugehen, in denen er oder sie etwas nicht gewagt hat und sich dort genau anzuschauen.

«Wenn wir Kinder so annehmen, wie sie in der Gegenwart sind, können wir gute Väter und Mütter sein»

Andreas Lebert

Ein anderes Wort wiederum glänzt durch Abwesenheit: Liebe. Obwohl Vater und Sohn sich in diesem Buch klar lieben, bleibt dieses Wort zwischen den beiden unausgesprochen. Warum?
Andreas Lebert: Vielleicht haben wir aus stilistischen Gründen einen Bogen um dieses sehr strapazierte Wort gemacht. Grosse Worte wie Liebe werden unglaublich inflationär gebraucht. Jede Mail endet mit «Ich freue mich …», obwohl man sich nicht kennt und alles andere als freut. In diesem Buch wollten wir erzählen, wie es zwischen uns ist, und es den Leuten überlassen, ihre eigenen Gefühle dazu zu entwickeln. Wenn sie das Gefühl haben, dass wir uns lieben, dann haben sie recht.
Benjamin Lebert: Ich glaube, dass wesentliche Dinge im Leben ohne Worte stattfinden. Das, was nicht gesagt wird, ist oft viel kraftvoller. Vielleicht ist es bei Liebe manchmal besser, es nicht zu sagen, dafür aber zu spüren.

Benjamin Lebert, Sie sind Vater eines Zweijährigen. Hat das Ihr Verhältnis zu Ihrem eigenen Vater verändert?
Benjamin Lebert: Vor allem in seinen Sorgen um mich verstehe ich ihn jetzt besser. Ich mache mir Sorgen um meinen Sohn, aber ich sorge mich auch darum, was ich ihm für ein Vater bin. Selbst in ganz alltäglichen Sachen habe ich jetzt mehr Verständnis für ihn. Mein Vater hat immer ein bisschen darüber geklagt, dass alles verklebt ist in unserer Wohnung oder dass man mit uns nicht essen gehen kann. Und jetzt finden sich in meiner Wohnung eine halb ausgekippte Saftpackung und ein geköpftes, mit Honig beschmiertes Schleichtier. Ich verstehe ihn also.

Und hat sich die Beziehung zu Ihrem Sohn verändert, seitdem Sie Grossvater geworden sind, Andreas Lebert?
Andreas Lebert: Der Blick auf meinen Sohn verändert sich. Man merkt, dass man eine neue Rolle einnimmt, eine andere Zuständigkeit hat. Man erinnert sich, wie sehr man als Vater in diese Situation geworfen worden ist und mit ihr zurechtkommen musste. Da ist es wirklich unnötig, dass jeder seinen Senf dazu gibt. Helfen ist wichtig, aber Debatten darüber, was nun richtig ist und was nicht, braucht es sicher nicht. Ich empfinde auch so etwas wie Erleichterung und Freiheit. Als Benjamin noch kein Vater war, fühlte ich mich noch mehr für ihn zuständig als heute.

Was wird es in Zukunft bedeuten, ein guter Vater zu sein?
Andreas Lebert: Das ist eine grosse Frage. Ich bin überzeugt, dass sich diese zwei Strassen von Vater und Mutter immer mehr annähern und zu einer Strasse werden. Das heisst nicht, dass Männer und Frauen dasselbe sind, aber dass es darauf ankommen wird, was wir für Menschen sein werden, die Kinder erziehen. Wenn wir Kinder so annehmen, wie sie in der Gegenwart sind, können wir gute Väter und Mütter sein. Wenn wir immer unsere Erwartungen auf sie projizieren, wie sie später zu sein haben, dann sind wir es nicht.
Benjamin Lebert: Ich kann diese Frage nur mit einem Wunsch beantworten: Ich würde mir wünschen, dass Väter mehr dazu kommen, auf die eigene Stimme zu hören. Es wird so viel an einen herangetragen, wie man zu sein hat, was das Kind zu essen braucht, wie zärtlich oder wenig zärtlich man sein soll. Ich wünsche mir, dass es mehr um eine Begegnung zwischen Vater und Kind selbst geht, die nicht von anderen vorgegeben wird.

«Mit dir: Vater und Sohn auf den Strassen des Lebens» von Andreas und Benjamin Lebert ist hier erhältlich.

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