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Kritik zur Serie «Helden am Herd»: Scheitern für Fortgeschrittene
- Text: Claudia Senn
- Bild: Arte France, DR Sales
Tragikomisch wie das Leben und schwarz wie ein Sargnagel – die Serie «Helden am Herd» zeigt uns mal wieder, wer das beste Fernsehen macht: die Dänen.
In letzter Zeit bemerke ich an mir eine Art Netflix-Überdruss. All die Narcos, psychopathischen Serienkiller und glamourösen Kunstfiguren verschmelzen in meinem Kopf zu einem Brei, der mich zunehmend kalt lässt. Seit «Unorthodox» hat es nichts mehr gegeben, das mich richtig umgehauen hat. Alles zu platt, zu glatt, zu seicht, zu oberflächlich, zu zynisch – Massenkonfektion eben. Kann sein, dass ich mir während des Lockdown eine Überdosis eingefangen habe und meine Synapsen nun abgestumpft sind wie die eines Junkies, der immer stärkeren Stoff braucht. Bloss heisst stärker bei mir: lebensechter, emotionaler, feiner und mit mehr Grautönen gezeichnet. Auch wenn Glotzen eine niedere Tätigkeit ist, möchte ich dabei doch gern berührt werden.
Depressiver Sommelier trifft auf begnadeten Koch mit Kokainproblem
Deshalb tummle ich mich zur Zeit in einem anderen Revier, das noch dazu gratis ist: in der Arte-Mediathek. Hier wimmelt es nur so von originellen Kleinoden wie der dänischen Serie «Helden am Herd», ein Achtteiler, so tragikomisch wie das Leben und so schwarz wie ein Sargnagel, mit anderen Worten: genau nach meinem Geschmack. Die beiden «Helden» aus dem etwas unglücklich gewählten deutschen Titel sind bestenfalls Antihelden. Da ist einerseits Thomas, ein depressiver Sommelier, der seit dem Unfalltod seiner Frau in einer verkommenen Messie-Bude haust, alte Kühlschränke verhökert, zu viel säuft und beinah das Sorgerecht für seinen Sohn Niklas verliert.
Andererseits ist da sein Freund Dion, ein begnadeter Koch und Frauenflachleger, der ein Kokainproblem hat und eben erst aus dem Knast entlassen worden ist. Des Weiteren treten auf: Ein dicker Gangster mit dem Künstlernamen «Zahnfee», der seinen Opfern mit einem Brecheisen das Gebiss zertrümmert («Lächeln! Du musst lächeln, dann fällt es leichter»). Ein traumatisierter Afghanistan-Veteran und eine Möchtegern-Witwe, die Thomas in seiner Trauergruppe aufgabelt, sowie diverse Mitglieder aus den dysfunktionalen Sippen der beiden Helden.
Scheitern, erneut versuchen, wieder scheitern, besser scheitern
Normalerweise schaffen es nur die Coen Brothers, ein derart skurriles Personal zusammenzustellen. Aus purer Verzweiflung beschliessen Thomas und Dion, in der Messie-Ruine von Thomas ein Gourmetrestaurant zu eröffnen, und fortan schauen wir Zuschauer ihnen beim Scheitern zu. Scheitern, erneut versuchen, wieder scheitern, besser scheitern. Immer gnadenloser werden die grossen Pläne von der Abrissbirne des Lebens zermalmt. Das alles ist hinreissend lakonisch inszeniert und in vergilbt wirkenden Farben gefilmt, vor denen die liebenswürdig exaltierten Figuren zu Hochform auflaufen. Schwer zu sagen, in welche Schublade man «Helden am Herd» stecken soll. Komödie? Ja. Aber die Serie ist auch ein Krimi. Und eine Beziehungsdramödie voller Empathie. Und eine Kochshow, bei der einem regelmässig das Wasser im Mund zusammenläuft.
Nur eins ärgert mich: Warum bekommen wir nie so etwas hin? Warum hat Dänemark, ein Land mit gerade mal 5.8 Millionen Einwohnern, eine ungefähr 7000 Prozent bessere Filmszene als die Schweiz? Weshalb müssen wir uns mit dem «Bestatter» zufriedengeben? Und wieso dürfen Figuren in Schweizer Serien niemals schlimme Wörter sagen und politisch unkorrekte Dinge tun wie die «Helden am Herd»? Unser Serien-Exportschlager heisst «Pingu». Das sagt ja wohl alles.
«Helden am Herd» wurde bereits 2017 auf Arte ausgestrahlt. Die erste Staffel ist nun erfreulicherweise bis zum 30. 11. wieder in der Arte-Mediathek verfügbar. Einen Trailer gibt es hier