Serien & Filme
Kinotipp: Warum «Die Nachbarn von oben» grossartig ist
- Text: Sarah Lau
- Bild: Ascot Elite
Redaktorin Sarah Lau hat sich in den Schweizer Kinofilm «Die Nachbarn von oben» verliebt. Und findet: Diesen Film muss man sehen.
Da haben wir zunächst Anna und Thomas, ein ehemaliges Superpaar um die 50. Sie (durch und durch umwerfend: Ursina Lardi) hat das coole Nachbarspaar von oben zum Apéro einbestellt. Die, die noch Elektro hören und die Nächte lautstark durchvögeln. Die ayurvedisch-aphrodisierendes Selbstgemachtes mitbringen – und nicht, wie Anna, tiefgekühlte Schinkengipfeli in den Ofen schieben.
Anna freut sich auf die neuen Gäste. Hat eigens für den Abend einen neuen Pullover gekauft und einen Teppich, der mit seinem abstrakten Design Beifall heischend auf dem Fischgratparkett liegt. Thomas (Roeland Wiesnekker – ganz gross, ich bin verliebt!) findet das Ganze beschissen. Sowohl den modernen Teppich, von dem er intuitiv spürt, dass er die anderen beeindrucken soll, als auch die Aussicht, den Abend mit den Neuen zu verbringen.
«Sie sind Vollidioten»
«Sie sind nett!», sagt Anna. «Sie sind Vollidioten», findet Thomas. Beiden reicht das nächtliche Gestöhne und morgendlich langgezogene «Hoi zäme» als Grundlage für ihre Beurteilung. Wenn Thomas doziert, dass es «ein signifikanter Unterschied der Tempora» sei, ob die Nachbarn von oben irgendwann einmal oder eben genau zum heutigen Abend zum Apéro eingeladen werden, kann man nicht anders, als wissend zu lachen und ihm gleichzeitig den Hals umdrehen zu wollen. Genau, solche Typen gibts.
Dabei täuscht die ganze passiv-aggressive Klugscheisserei nicht darüber hinweg, dass Thomas heute, nächste Woche und auch in einem Jahr keine Lust haben würde, sich zu öffnen. Und so ätzt er, erpresst und stichelt, während Anna rollenkonform glättet, kittet und beschwichtigt. Die kleinen grossen Wahrheiten, die in diesen Streitereien stecken, kommen unaufgeregt daher und offenbaren die jahrelangen, mehr oder weniger mühsam versteckten Verletzungen auf beiden Seiten.
Bedrohung aller Langzeitpaare
Gerade als Anna vor der Garstigkeit kapituliert und absagen will, klingelt es an der Tür. Und da stehen sie, in ihrer Birkenstock-zu-Champagner-Sexyness: Psychologin Lisa (Sarah Spale) und Feuerwehrhauptmann Salvi (Max Simonischek). Personifizierte Bedrohung aller durchschnittlichen Langzeitpaare, die beim Anblick der beiden vor unterdrückter Lust zu explodieren drohen.
Stattdessen buhlt man zunächst um die Aufnahme ins Coolen-Lager, wie schon zu Teenagerzeiten. Klar könne man in der bislang rauchfreien Wohnung Zigaretten anzünden (sagt Anna, die Thomas bislang immer aufs Dach zum Rauchen schickte). Wohin mit der Asche? Einfach auf den Boden, besser: Teppich. Und egal ob das Boho-Couple von «durchgefickten Matratzen» oder dem grunzenden Büffel beim letzten Gruppensex erzählt, gibt sich das bürgerliche Lager alle Mühe, voll easy rüberzukommen. Das klappt mal mehr, mal weniger überzeugend.
Und wenn Lisa über den Unterschied von Orgien und Gruppensex sinniert und Anna nervös lachend Parallelen zu ihrer Geburtstagsgesellschaft zieht, fühlt man sich an den Wassermelonen-Moment bei «Dirty Dancing» erinnert. Herrlich amüsant, die Freude an der Kontroverse, die Salvi und Lisa mehr neugierig als gehässig ausleben. Zum Totlachen allein die Idee, den «Porno-Feuerwehrkommandanten» Salvi von Thomas konsequent nur als «Schlauch» ansprechen zu lassen. Ohne dass der den leisesten Widerstand leistet. Nachvollziehbar, wie die beiden Gastgeber:innen unter der freimütigen Anmache der Nachbar:innen trotz aller Irritation aufblühen, geradezu erweckt werden.
Paartherapie unter Lisas Anleitung
Berührend wird das Kammerspiel, als wenig später nicht mehr die unterdrückte Wut auf die Superorgasmen dominiert, sondern die verschüttete Liebe von Anna und Thomas zum Gegenstand einer paartherapeutischen Session unter Lisas Anleitung wird. Das liegt zum einen an Schauspieler:innen, die gerade dann, wenn Worte fehlen, bestechen und in ihrer Verletzlichkeit zu Tränen rühren.
Zum anderen am sehr genauen und nie kalten Blick der Schweizer Regisseurin Sabine Boss auf Liebende und ungekünstelte Dialoge, wie sie selten im deutschsprachigen Film zu finden sind. Schwarz-weiss ist hier nichts und wenn Salvi am Ende des Abends auf die Mitnahme seiner neuen Tupperbox pocht, bleibt die Erkenntnis, dass auch Sexgötter Menschen sind und es nicht für immer zu spät ist, den Umkehrschluss zu erproben.
«Die Nachbarn von oben» läuft im Kino.
Fand den Film auch sehr gelungen, obwohl ich den CHer Produktionen eher skeptisch gegenüber war.
Ein Mann und eine Frau sind also “Gastgeber:innen”. Und die Nachbarn (ein Mann und eine Frau) sind nun unbedingt “Nachbar:innen”.
Btw.: Es gibt keine Doppelpunkte innerhalb von Substantiven! Diese vermurkste Gendersprachehysterie passt aber wahrscheinlich auch noch zum Film, was?!
ich fand den Film genial, sehr subtil und doch so direkt! auf jeden Fall empfehlendswert!
“Wir wollten nur ein wenig fun haben”, sagt Salvi. Fun in Form von Partnertausch und Gruppensex mit Tom und Anna, den Nachbarn von unten, denen das Glück im Laufe der Jahre abhanden gekommen ist? – Nein. Eigentlich geht es Lisa, Psychologin, die ihre Nadelstiche ganz sanft platziert, und Salvi, Feuerwehrkommandant, der auch Öl ins Feuer giessen kann, darum, die Beziehung von Tom und Anna zu demontieren. Vor allem bei Tom gelingt es, es kommt zur psychischen und schliesslich auch körperlichen Selbstentblössung.
Dennoch gelingt ein bisschen Gegenwehr: Die betretenen Gesichter von Lisa und Salvi, als Tom zwar fremdküsst, aber nicht Lisa, sondern Salvi, sind ein Highlight des Films. Sexuell offen, klar – aber doch nicht so. Schliesslich gelingt es Tom und Anna, wieder zueinander zu finden: Auf der Dachterrasse betrachten sie in Toms Teleskop Himmelskörper. Lisa und Salvi müssen ihr “fun” anderswo finden.
Langweilig! Rausgeschmissenes Geld zu diesem Thema einen Film zu machen. Die Schweiz hinkt den wirklich spannenden Themen wieder mal hinterher…..fast schon peinlich dieser Film. Dachte zuerst, vielleicht kommt noch was bewegendes, unerwartetes, aber nein, nur normales, was man schon kennt, schade.