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Kate Winslet, wie ist es, Sex mit einer Frau zu simulieren?
- Text: Roberta Cohen; Bild: See-Saw Films
Kate Winslet über lesbischen Sex vor der Kamera, LGBTQ-Menschen in Hollywood, gendergerechte Erziehung und ihren neuen Film «Ammonite».
Sie ist die vielleicht authentischste Frau in Hollywoods A-Liga. Und zudem gnadenlos ehrlich. Kate Winslet verglich ihren Allerwertesten schon mit einem Blumenkohl, verbot das exzessive Retuschieren ihrer Fotos («Ich habe mich selbst nicht mehr erkannt») und zeigt bei Interviews schon mal Handyfotos ihrer Liebsten. Auch privat sprengt Winslet einige Konventionen. Sie ist mit ihren 45 Jahren zum dritten Mal verheiratet und hat drei Kinder von drei verschiedenen Männern. Wegen Corona treffen wir uns via Videocall – trotzdem ist das Gespräch mit ihr erfrischend und lebendig. In ihrem neusten Film «Ammonite», in dem «Kate the Great» an der Seite von Saoirse Ronan spielt, geht es um eine erstaunlich freizügige und freigeistige Lovestory zweier Frauen im 19. Jahrhundert, die auf der wahren Lebensgeschichte der britischen Paläontologin Mary Anning beruht.
annabelle: Kate Winslet, wie fühlt es sich an, vor der Kamera Sex mit einer Frau zu simulieren? Anders als mit einem Mann?
Kate Winslet: Ich habe ja schon früher LGBTQ-Figuren gespielt, aber die Intimszenen waren niemals so explizit wie in dieser Liebesgeschichte. Was anders war: Ich spürte eine wunderbare Gleichheit zwischen den beiden Figuren, das hat mir Sicherheit und Selbstbewusstsein vermittelt. Bei heterosexuellen Liebesszenen bedient man hingegen oft Stereotype. Früher habe ich das viel zu wenig hinterfragt. Seit dem Sex in «Ammonite» denke ich ganz anders über meine bisherigen Bettszenen nach.
Warum? Was hat sich für Sie konkret verändert?
Ich bin penibler, was die Authentizität angeht, und vermeide Stereotype. Dass die Frau gern flirtet zum Beispiel, und der Mann daraufhin die Initiative zum Sex ergreift. Bei einer Serie, die ich gerade für HBO gedreht habe, gab es in der ersten Episode eine heterosexuelle Liebesszene. Die haben wir auf meine Bitte hin ganz neu gedreht, weil ich sie – nach der «Ammonite»-Erfahrung – gar nicht mehr stimmig fand. Erst waren alle am Set genervt. Aber dann fanden sie unisono, dass die Szene wirklich deutlich besser geworden war.
Was war denn nachher anders?
In der ersten Fassung landeten meine Figur und der Mann, mit dem sie ein Date hatte, ziemlich schnell im Bett, weil beide betrunken waren. Und zwar bei ihm, in seinem Schlafzimmer. Als ich darüber nachdachte, merkte ich, wie falsch das war. Meine Figur ist eine erwachsene Frau mittleren Alters, die länger keine Affäre hatte. Da geht man nicht gleich ins Schlafzimmer eines Fremden! Also verlegten wir das Ganze auf die Couch, meine Figur ist jetzt deutlich involvierter ins Geschehen, die zwei entscheiden gleichberechtigt, was passiert. Dazu gehört es eben auch, nicht im Schlafzimmer zu landen, sondern in einem neutraleren Raum. Das fühlt sich völlig anders an.
Findet man solche Ansprüche am Set nicht bisweilen schwierig, starallürenbehaftet, divenhaft?
Ach, es wird doch gerade vielen klar, dass Frauen unbequeme Meinungen haben dürfen. Irgendwann verändern diese steten Tropfen die Gesellschaft. Wir sind mittendrin in diesem Prozess, und ich betrachte es als Privileg, mich dafür einzusetzen. Wir wollen offener werden, niemanden ausgrenzen – und das geht nur in einer Gesellschaft, in der sich alle wohlfühlen.
Haben auch Sie und Ihr Mann Ned Smith LGBTQ-Freunde?
Ja, da ist zum Beispiel Bex Taylor-Klaus, ein nonbinärer transgender Schauspieler, der in der Serie «The Killing » zu sehen war. Mein sechsjähriger Sohn Bear hat in seinem Zimmer ein Foto von sich mit Bex. Bear dachte, dass Bex ein Mann ist. Also habe ich ihm erklärt, dass Bex sich nicht einem Geschlecht zugehörig fühlt, und mein Sohn fand das «total cool».
Versteht man so etwas mit sechs?
Absolut! Neulich kam er ganz von allein darauf, dass seine Schule nicht gendergerecht ist. Er war ganz aufgeregt, als er mir das erzählte. «Mom, die haben einen Raum vergessen! Wo sollen denn jene sich umziehen, die noch nicht wissen, ob sie ein Junge oder ein Mädchen sind?»
Wie reagierte seine Mom?
Ich war total stolz auf sein Unrechtsempfinden. Wir schrieben dann zusammen einen Brief, um nachzufragen, warum es keinen dritten Umkleideraum gibt. Es ist so wichtig, dass wir mit unseren Kindern darüber sprechen, in welcher Welt wir leben wollen.
Ihre zwanzigjährige Tochter Mia Threapleton ist nun auch Schauspielerin geworden. Hat ihre Berufswahl Sie begeistert oder eher entgeistert?
Ich habe das schon kommen sehen, seit sie fünf Jahre alt war! (lacht) Mia hat inzwischen sogar einen kleinen Film drehen können, und erst vor ein paar Tagen hat sie eine Rolle in einer Fernsehserie bekommen.
Erinnert sie Sie an Sie selbst als Zwanzigjährige?
Nicht unbedingt. Sie hat dieses ganz besondere Selbstbewusstsein ihrer Generation: Sie weiss genau, was sie möchte, und traut sich, alles zu sagen. Sogar in Momenten, in denen sie sich zu jung und unerfahren fühlt, sagt sie, was sie denkt. Sich diesen Raum der Freiheit zu nehmen ist toll.
Das verdankt sie auch Ihrer Hollywood-Generation: Sie hat sich gegen den Pay Gap gewehrt, mit #MeToo den Missbrauch am Set aufgedeckt und den Einfluss von Frauen gepusht.
Ja, wir haben eine Menge Mist aus dem Weg geräumt. Die Arbeit der jungen Schauspielerinnen wird dadurch hoffentlich sicherer. Männer sind heute aber auch viel stärker daran interessiert, die weibliche Perspektive zu hören. Jetzt werden wir gebührend wahrgenommen.
Ihre Kollegen Colin Firth und Stanley Tucci spielten im Film «Supernova» ein schwules Paar. Nun wird darüber debattiert, ob heterosexuelle Schauspieler homosexuelle Rollen spielen sollten oder nicht. Was meinen Sie?
In meinem ersten Film, «Heavenly Creatures» von Peter Jackson, habe ich eine lesbische Frau gespielt. Der Film hat meine Karriere bestimmt. Als ich dafür gecastet wurde, war ich erst sechzehn. Wenn mich damals ein Casting-Agent gefragt hätte, ob ich lesbisch sei, weil man mir sonst die Rolle nicht geben könnte … Das hätte mich verstört. Ich hatte damals schon verschiedene intime Erfahrungen gemacht. Aber ich war sicher nicht bereit, mit fremden Menschen darüber zu sprechen!
Sind wir heute toleranter als vor dreissig Jahren, als Ihre Karriere begann?
Ich hoffe es. Ich wünsche mir auch, dass wir mit «Ammonite» einen Beitrag dazu leisten können, dass LGBTQ-Menschen in der Öffentlichkeit anders wahrgenommen werden. Das ist natürlich ein langer Prozess, wir sollten diesen Weg ohne Angst, Zögern oder Geheimniskrämerei gehen.
«Ammonite» spielt im 19. Jahrhundert, einer Zeit, in der es Frauen abgesprochen wurde, sexuelle Lust empfinden zu können.
Frauen sollten damals hauptsächlich Ehefrauen sein. Mary Anning, meine Figur, war da ganz anders: Sie war nie verheiratet, stammte aus der Arbeiterklasse, bildete sich autodidaktisch weiter und wurde zu einer brillanten Wissenschafterin. Ihre erstaunlichen geologischen Entdeckungen wurden dann von reichen, mächtigen Männern für sich beansprucht.
Passiert es Frauen in Hollywood auch heute noch, dass Männer ihre Lorbeeren kassieren?
Auch da tut sich gerade ganz viel. Am Set sind die Aufgaben inzwischen gleichberechtigt verteilt. Man spürt die neue Richtung, die die Branche einschlägt. Das gibt mir Hoffnung.
«Ammonite» von Francis Lee ist im Kino zu sehen.