
Irischer Pop-Star CMAT: "Ich muss Trost in der Musik suchen"
Mit einer Mischung aus Country-Pop, Alternative Rock und Humor etabliert sich Ciara Mary-Alice Thompson als CMAT derzeit als eine der interessantesten neuen Stimmen im Pop. Im Interview mit annabelle spricht die irische Musikerin über ihr neues Album «Euro-Country», das Aufwachsen in Zeiten der Wirtschaftskrise und die Bedeutung von Instinkten.
- Von: Melanie Biedermann
- Bild: Sarah Doyle
Ciara Mary-Alice Thompson begrüsst uns mit einer Umarmung. Die irische Musikerin erfüllt an diesem heissen Juli-Nachmittag ohnehin keine Popstar-Klischees: Sie erscheint ungeschminkt, spricht viel und in breitem, irischem Akzent, trägt Shorts und ein weites T-Shirt, das mit einem Bild ihres Produzenten Ollie Deacon bedruckt ist – die 29-Jährige lacht, als sie an sich hinunterschaut: «Dieser Typ produzierte ‹Euro-Country›. Aber auch mein erstes Album und die allerersten Songs, die ich aufgenommen habe.»
«Euro-Country», ihr neues Album, ist der Grund, warum wir uns heute in einem Sitzungszimmer ihres Londoner Labels treffen. Bei Awal veröffentlichte sie unter ihrem Akronym CMAT schon ihr Debütalbum: «If My Wife New I Would Be Dead» erreichte 2022 direkt Platz eins der irischen Charts. Für den Nachfolger «Crazymad, For Me» war sie 2024 in Grossbritannien für einen Mercury Prize sowie einen Ivor Novello Award nominiert. Im selben Jahr folgte ein Brit Award als «International Artist of the Year». Ihr Auftritt auf dem roten Teppich – mit einem Hinterndekolleté «so tief wie das durchschnittliche Busendekolleté» – machte damals mindestens so viele Schlagzeilen wie die Nominierung.
Thompsons Erfolg schien damals aus dem Nichts zu kommen. Doch mit humorvollen Seitenhieben auf fragwürdige gesellschaftliche Konventionen gewann die Newcomerin in den letzten Jahren die Gunst eines wachsenden internationalen Publikums. Auch in ihrer Musik findet man immer wieder spitzen Witz; auf «Euro-Country», das in diesen Tagen erscheint, spielt er ebenfalls damit.
Das Album steckt voller grosser Melodien, schwerer Themen, Gesellschaftskritik und mindestens so viel Unterhaltungswert. Kurzum: Diese Musik, die spielerisch zwischen Country, Pop und Alternative Rock pendelt, ist aufregend, wie es der Mainstream lange nicht mehr war.
"Ich erlebte im letzten Jahr ziemlich übles Fatshaming im Internet"
annabelle: Ciara Mary-Alice Thompson, Ihr Erfolg kam in den letzten Jahren scheinbar aus dem Nichts. Können Sie Revue passieren lassen, wie Sie an diesen Punkt gelangt sind? Eine Geschichte wie Ihre hört man heutzutage nicht mehr allzu oft.
Ciara Mary-Alice Thompson: Ja, es war wirklich verrückt. Kurz vor der Pandemie arbeitete ich noch in einer Fabrik, die Kaffeemaschinen reparierte. Danach spielte ich direkt mein allererstes Konzert vor 450 Menschen. Leute in England und Irland wussten plötzlich, wer ich bin. Und das ist bizarr, weil sich dein Leben in kürzester Zeit komplett verändert.
Hat der Ruhm Sie überrumpelt?
Es war immer mein Traum, Musikerin zu werden – und jetzt windet sich die Sache mehr und mehr in etwas komplett anderes, und das ist sehr verwirrend. Aber ich liebs! Ich liebs wirklich! (lacht)
Sie haben weder eine klassische Musikausbildung, noch weiss man von früheren Projekten. Ihre Debütsingle «Another Day (KFC)» erschien im Frühjahr 2020, als die meisten Musiker:innen zwangspausierten. Wie kam das damals alles?
Ich hatte da gerade zum ersten Mal ein paar Songs professionell aufgenommen und ein Musikvideo gedreht. Wir waren kurz davor, die Debütsingle zu veröffentlichen und dann kam Corona. Wir überlegten, abzuwarten, dachten dann aber: Scheiss drauf! Und weil alle zu Hause sassen und nichts zu tun hatten und da plötzlich diese Musikerin war, die ein neues seltsames und irgendwie interessantes Video hatte, wurde ich in Irland über Nacht berühmt.
Sie sagen, Musikerin zu werden, war immer Ihr Traum: Wann haben Sie angefangen, Songs zu schreiben?
Schon als Kind. Ich glaube, das ist für mich eine Art Instinkt oder Impuls – wie auch immer man es nennen will.
Was gab Ihnen den Mut oder Willen, diesen Traum zu verfolgen?
Ich habe es nie hinterfragt, ich habe die Musik einfach immer irgendwie um meine Jobs herum gemacht. Aber es stimmt, ich hab Musik nicht studiert, weder an einer Universität noch an einer Musikschule. Und ich kannte niemanden, der beruflich Musik machte, bevor ich in meinen Zwanzigern war und meinen Vertrag unterschrieb. Niemand sagte mir, dass Musikmachen ein richtiger Job für mich sein könnte.
Wie schlugen Sie sich durch?
Ich erinnere mich noch, als ich 24 war; das war ein Jahr, bevor ich meinen Vertrag mit Awal unterschrieb, davor waren schon etwa drei Musikprojekte gescheitert. Ich lebte damals bei meiner Mum und hatte unzählige Bewerbungsgespräche für verschiedene Jobs, darunter auch eine Stelle bei einem Auktionshaus in Dublin. Ich hätte die Stelle bekommen und hätte den Job wahrscheinlich sehr gemocht – ich liebe Antiquitäten! –, aber irgendetwas hielt mich davon ab. Ich wusste, dass ich stattdessen weiter beschissene Jobs annehmen muss, damit ich weiter Trost in der Musik suchen würde. Das fühlt sich für mich wie die wichtigste Sache in meinem Leben an. Und kurz, nachdem ich diese Entscheidung getroffen hatte, traf ich Barry, meinen heutigen Manager.
Wie lernten Sie sich kennen?
Ich veröffentlichte damals Videos auf YouTube und spielte viele Open Mics und Support-Shows in Dublin. An einem dieser Abende kam er auf mich zu und sagte: «Hey, ich schaue jetzt seit sechs Monaten oder so deine Videos und finde dich grossartig. Ich will dich unter Vertrag nehmen.» Ich sagte: «Nein, danke.» (lacht) Danach ignorierte ich ihn eine Weile, aber er hörte nicht auf, mir Nachrichten zu schicken. Jemand aus meinem Bekanntenkreis kannte ihn als DJ und dann gab er mir Geld, um in seinem Studio in New York ein paar Songs aufzunehmen. Das ist ziemlich schräg, oder?
Ja, aber es klingt eben auch nach einer einmaligen Gelegenheit.
Das ist wahrscheinlich der springende Punkt: Für aufstrebende Musiker:innen ist es so wahnsinnig schwierig, Zugang zu Studios und allem Drumherum zu bekommen. Es ist so verdammt teuer. Ich hatte weder ein Label noch Geld, auch keine reiche Familie. Aber plötzlich hatte ich diesen Typen, der mir Geld geben wollte; einen reichen Gönner.
Auf «Euro-Country» erzählen Sie jetzt ganz konkret vom Aufwachsen in Irland, von Armut, Wirtschaftskrise und Kapitalismus. Warum legen Sie den Fokus genau jetzt auf diese Themen?
Ich denke, als Songwriter:in nutzt man immer seine Vergangenheit, um die Gegenwart besser zu verstehen und für mich war es eine sehr natürliche Entwicklung, auf meinem dritten Album über Irland zu sprechen. Was in Irland passiert, bewegt mich sehr. Der generelle Zustand unserer Welt bewegt mich sehr.
Der Titelsong «Euro-Country» erzählt ganz konkret aus der Sicht Ihres zwölfjährigen Ich. Sie erlebten damals, wie Familien in Irland während der Wirtschaftskrise unter dem finanziellen Druck zerbrachen – «die Dads überall um mich herum begannen, Selbstmord zu begehen», singen Sie im Lied. Das ist ziemlich schwerer Stoff.
Ja, es ist ein sehr persönlicher und emotionaler Song und ich habe mir bei diesem Lied ganz besonders gewünscht, dass die Leute sich damit identifizieren. Die Tatsache, dass es zwei Tage nach Veröffentlichung in Irland in den Top 10 stand, ist ein grossartiges Gefühl.
Sie scheinen Ihrer Heimat noch immer sehr verbunden. Mit welchen Gefühlen blicken Sie heute auf Irland? Sie leben mittlerweile ja in London, vermutlich berufsbedingt.
Ja, es wäre schwierig, meinen Job von woanders aus zu machen. Aber viele der Leute, mit denen ich aufgewachsen bin, leben auch nicht mehr in Irland. Der Grossteil meiner Generation ist ausgewandert. Vielleicht übertreibe ich, aber so fühlt es sich an. Niemand kann es sich leisten, aus dem Elternhaus auszuziehen und eine eigene Wohnung zu haben. Ich hätte das niemals gekonnt, wäre ich nicht nach London gezogen. Und es ist ironisch, weil London unverschämt teuer ist. Und trotzdem scheinen viele Iren unter 35 sich hier besser durchschlagen zu können, als in Dublin.
Das klingt wirklich absurd. Warum ist das so?
Die Immobilienkrise. Ausserdem sind viele der Ansicht, dass man genauso gut an einem Ort wie London sein ganzes Einkommen für die Miete ausgeben kann, wenn man schon muss: Hier gibt es so viele Parks, Gemeindezentren, ÖV, Fahrradwege. In Dublin geht kaum noch jemand aus. Es gibt kaum Grünflächen, im Stadtzentrum gibt es nicht einmal Sitzgelegenheiten. Man kann sich nirgendwo gratis hinsetzen.
Das ist ja, als würde man die Leute geradezu dazu auffordern, zu gehen.
Allerdings! Es sei denn, du hast Geld, das du im Pub ausgeben kannst. Dublin entwickelte sich zu einer Art Los Angeles oder so. Es ist sehr kapitalistisch.
Im Vergleich zu Grossbritannien gehört Irland allerdings nach wie vor zur Europäischen Union. Ist der Albumtitel «Euro-Country» auch ein Bekenntnis zu Europa?
Ich assoziiere mich definitiv mit Europa. Viel mehr als ich mich mit den Britischen Inseln assoziieren würde. Ich danke Gott jeden Tag dafür, dass ich einen irischen Pass habe.
Der Titel bezieht sich auch auf Ihren Musikstil: Was macht Ihre Countrymusik europäisch?
Manche Leute sagen ja, wenn du nicht aus den Südstaaten stammst, kannst du keinen Country machen. Aber daran glaube ich nicht. Ich finde, wenn sich jemand als Countrymusiker:in bezeichnet, sollte man der Person glauben und sich deren Version anhören. Für mich ist das viel interessanter. Dazu hat Europa eine grosse Tradition genreloser Pop- und Musikstars – ich denke da etwa an Mylène Farmer, Serge Gainsbourg, Adriano Celentano oder Raffaella Carrà. Dieser Sinn fürs Grenzenlose liegt mir viel näher.
«Euro-Country» ist auch ein ziemlich politisches Album, oder?
Ja, es geht in vielen Songs um den Kapitalismus und dieses «entweder du hast Geld oder du stirbst». In «Iceberg» geht es konkret um meine beste Freundin, deren Kampf um ihren Job ihr Leben ruinierte. Und «Take A Sexy Picture Of Me» ist definitiv auch sehr politisch – wobei immer wieder Leute das Lied so wahnsinnig falsch verstehen.
Der Song ging auf TikTok viral und wurde zu Ihrem bisher grössten Hit – es ist auch ihr poppigstes Lied. Inwiefern wird es missverstanden?
Leute sagten plötzlich Dinge wie: «Hey, hat sich jemand mal diese Texte angehört? Die ist pädophil!», «Warum ist sie so ein Freak?», «So pervers!» «OMG, sie ist verrückt!» (lacht) Ich dachte, ich hätte klar ausgelegt, worum es geht.
Um weiteren Missverständnissen vorzubeugen: Was war die Intention hinter «Take A Sexy Picture Of Me»?
Ich erlebte im letzten Jahr ziemlich übles Fatshaming im Internet und mit dem Song wollte ich zeigen, wie repressiv es ist, unter den Zwängen kommerzieller Attraktivität zu leben. Es betrifft ja eben nicht nur mich; eine Person, die in der Öffentlichkeit steht, sondern ganz normale Frauen, die einfach ein Bild von sich im Internet haben. Die Leute sagen furchtbare Sachen. Und natürlich ist das Lied ein bisschen sarkastisch. Ich fand es auch einfach witzig, eine so unbequeme Message in einen Popsong zu packen. Aber die Leute sind verwirrt.
Neulich sagten Sie in einem Interview, dass Sie glauben, das ständige Scrollen führt dazu, dass wir unsere Instinkte verlieren. Können wir nicht mehr zwischen Witz, Sarkasmus und Ernst unterscheiden?
Ich glaube wirklich, dass das endlose Scrollen unsere kognitiven Fähigkeiten schwer schädigt. Jedes Mal, wenn ich ein Buch lesen will, dauert es einen Moment, bis ich hineinfinde, weil ich mir die lange Textform nicht mehr gewohnt bin. Und wenn ich mir vorstelle, dass eine ganze Generation mit sechs Stunden Bildschirmzeit täglich aufwächst, hauptsächlich gefüllt mit 15 bis 30 Sekunden langen Videos: Wie sollen die in der Lage sein, je ein längeres Gespräch zu führen? Diese Kompetenz muss man üben, aber ich sehe heute kaum noch Kids, die Gespräche führen. Und warum sollten sie auch: Gespräche sind unangenehm. Wenn du sie nicht haben musst, hast du sie nicht. Du greifst einfach zum Telefon. Weil, Telefon: einfach. Sehr einfach.
Können Sie sich dem Sog des Smartphones gut entziehen?
Ich versuche es. Es hilft, dass ich für viele Aspekte meines Jobs sehr präsent und aktiv sein muss. Es hilft mir auch, Dinge am Computer zu erledigen, statt am Handy. Aber ich habe keine Lösungen für all die Probleme. Als Songwriterin ist es mein Job, auf sie aufmerksam zu machen.
CMAT: Euro-Country (AWAL Recordings)