Popkultur
Interview: Das Corona-Gedicht von Kitty O’Meara ging um die Welt
- Text: Vanja Kadic
- Bilder: Goldblatt Verlag, ZVG
Mit ihrem Pandemie-Gedicht machte die Amerikanerin Kitty O’Meara im März Millionen von Menschen Mut. Mit annabelle sprach die pensionierte Lehrerin über ihren Überraschungserfolg.
Die Amerikanerin Kitty O’Meara schrieb zu Beginn der Corona-Pandemie ein Gedicht, das um die Welt ging: Die pensionierte Lehrerin und Seelsorgerin veröffentlichte ihr Werk «And the people stayed home» (dt. «Und die Menschen blieben zu Hause») im März 2020 auf ihrer Facebook-Seite und ihrem Blog. In kürzester Zeit ging das Gedicht viral und wurde tausendfach in Songs oder anderen Kunstwerken adaptiert. Auch bei Stars fand es Anklang: Oprah Winfreys Magazin ernannte O’Meara zur «Poesie-Preisträgerin der Pandemie». Das Gedicht erscheint nun als illustriertes Bilderbuch und ist O’Mearas erstes gedrucktes Buch. Das Audiobuch wird von Oscar-Preisträgerin Kate Winslet gelesen. Mit annabelle sprach die US-Autorin über ihren Überraschungserfolg.
annabelle: Mit Ihrem Gedicht «Und die Menschen blieben zu Hause» erreichten Sie Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Geschrieben haben Sie das Stück über die Pandemie angeblich in nur zwanzig Minuten, stimmt das?
Kitty O’Meara: Ja. Ich hab keinen Timer gestellt, aber ich schrieb es nicht als Gedicht, das ich veröffentlichen wollte. Dafür war es nicht gedacht. Es war nur ein kleiner Impuls von Ideen, die ich mit meinen Freunden teilen wollte. Ich hatte ja keine Ahnung! Es war mir egal, wie es ankommen würde. Ich dachte nicht: Werden sie das lieben? Ich habe das Gedicht einfach vor der Quarantäne geteilt – im Sinne von: Hier ist eine kleine Geschichte davon, wie es laufen könnte. Ich schreibe jeden Tag, die ganze Zeit, und teile es oft. Normalerweise erhalte ich dafür ein paar Likes.
Für das Gedicht erhielten Sie deutlich mehr als nur ein paar Likes: Innert kürzester Zeit verbreitete sich das Stück wie ein Lauffeuer im Netz. Warum kam das Gedicht so gut an?
Wenn ich das wüsste! Jetzt, nachdem ich ein paar Monate lang reflektieren konnte, glaube ich, dass vieles aus meinem Unterbewusstsein kam – Ideen, die schon seit längerem herumwirbelten. Das Gedicht entstand aus etwas sehr Ursprünglichem, ich habe es nicht überarbeitet oder damit gespielt. Aber ich spreche tief aus der Seele.
Was meinen Sie?
Ich glaube, als ehemalige Lehrerin und Seelsorgerin sprach ich im Gedicht Arten an, wie wir jetz lernen können, wie wir erschaffen können und wie wir heilen können, wenn wir diese Zeit nutzen. Als passionierte Gärtnerin ist mir das Wohl der Erde und der Natur sehr wichtig. Ich glaube also, dass vor allem der Teil von mir zur Sprache kam, der mit dem Kollektiv verbunden ist. Wir alle teilen diese Sorgen und Ängste.
Zum Beispiel?
Die meisten Menschen sind sich des Klimawandels sehr bewusst und wollen, dass man darüber spricht. In der Politik wird dies aber oft nicht thematisiert. Das Gedicht behandelte auch diese Themen und sprach deshalb viele Menschen auf der Erde an. Was können wir jetzt richtig machen? Wie können wir unsere Fähigkeiten nutzen und verbessern und anders mit unserer Energie und unsere Zeit umgehen? Vielleicht können wir uns jetzt ändern. Ich glaube, viele Menschen konnten sich mit diesen Gedanken identifizieren.
Welche Reaktionen haben Sie auf Ihr Gedicht erhalten?
Nachdem ich es postete, ging das Gedicht in wenigen Tagen viral. Meine Freunde und mein Ehemann legten mir nahe, wieder auf meinem Blog zu schreiben. Ich dachte, diese Aufregung würde sich schnell legen, und es würden nur ich, mein Blog und mein Umfeld bleiben. Aber als ich das Gedicht postete… Oh, es gab hunderte von Antworten darauf. Es gab zwei Kategorien von Rückmeldungen, die mich besonders beeinflusst haben: Zum einen von Menschen aus der ganzen Welt, die sagten, das Gedicht habe sie berührt und ihnen Trost gespendet. Sie erzählten mir oft Geschichten über ihr Leben und ihre Familien. In Europa war das Virus schon sehr aggressiv, während hier in den USA erst alles anfing. So teilten etwa Leute aus Italien oder Spanien sehr berührende Geschichten. Das war schön – und eine sehr demütige Erfahrung. Ich verstand, dass es nicht nur um meine Worte ging, sondern um etwas viel Grösseres.
Und was ist die zweite Kategorie von Rückmeldungen, die Sie bekamen?
Viele Künstler und Künstlerinnen kontaktierten mich und fragten, ob sie das Gedicht in ihrem Song, ihrem Video, ihrem Tanz, ihrem Gemälde, verwenden dürfen. Andere fragten, ob ich mit ihnen zusammen arbeiten möchte, was sehr aufregend war. Die Rückmeldungen, die ich erhielt, waren überwältigend und berührend.
Wie hat dieses Gedicht Ihr Leben verändert?
Wir sind immer noch hier zuhause, gehen mit den Hunden spazieren und leeren Katzenklos (lacht). Ich habe keinen Agenten, viel hat sich nicht verändert. Ich habe nur wenig Geld damit verdient – darum ging es auch nicht. Aber ich fühle mich in meinem eigenen Schaffen selbstbewusster. Im Sinne von, dass ich einfach mache und hoffentlich mein Schaffen mit anderen Menschen teilen kann. Ich arbeite aus Freude, weil ich kann – und weil ich am Leben bin. Ich glaube, die Welt braucht im Moment besonders viel Freude und Licht.
«Und die Menschen blieben zu Hause» erscheint nun als illustriertes Buch für Kinder und Erwachsene. Welche Botschaft wollen Sie damit vermitteln?
Ich glaube, die Leute werden ihre eigenen Botschaften aus dem Buch ziehen. Aber eine Message ist sicher, dass man die eigenen Talente und Fähigkeiten erforschen und Freude verspüren soll. Ein grosser Teil unserer Heilung ist es, zuzuhören. So können wir lernen, anders zu denken und in der Welt besser miteinander umgehen.
Haben Sie etwas von der Pandemie gelernt?
Mein Ehemann unterrichtete Naturtwissenschaften und ich arbeitete früher in Spitälern, wo wir bereits vor 15 Jahren auf Pandemien vorbereitet wurden. Wir wussten also beide, dass mit diesem Virus nicht zu spassen ist, deshalb sind wir seit Februar zu Hause. Mein Ehemann geht ab und zu einkaufen, aber sonst verlassen wir das Haus nicht. Nichts hat sich verändert, seit ich das Gedicht geschrieben habe. Gewisse Dinge, die ich gelernt habe, machten mich traurig. Etwa, wie gross der Anteil von Menschen auf der Welt ist, die noch immer nicht zuhören und die sich nicht mit ihren Ängsten auseinandersetzen. Und wieviele Leute Chaos und Verwüstung anrichten in einer Zeit, in der wir eigentlich weniger davon brauchen. Das war enttäuschend. Deshalb ist es wichtig, dass wir Leute weiter einladen, zuzuhören, zu lernen – und zu heilen.
Erhältlich ab 10. Dezember: Kitty O’Meara: Und die Menschen blieben zu Hause, Goldblatt Verlag, 32 Seiten, ca. 30 Fr.
Kitty O’Meara lebt mit ihrem Ehemann im amerikanischen Wisconsin. Im Laufe ihres Lebens war sie Lehrerin, Seelsorgerin und spirituelle Begleiterin. Sie schreibt seit ihrer Kindheit und veröffentlicht mit «Und die Menschen blieben zu Hause» ihr erstes gedrucktes Buch.