Seit gestern ist bekannt: Die zukünftige Direktorin des Kunsthauses Zürich heisst Ann Demeester. Im Interview mit annabelle erklärt Nina Zimmer, Direktorin des Kunstmuseums Bern und des Zentrums Paul Klee, wie wichtig es ist, dass nicht mehr nur Nischenmuseen von Frauen geführt werden.
annabelle: Soeben wurde Ann Demeester zur zukünftigen Direktorin des Kunsthauses Zürich ernannt. Zuvor wurde im Mai die Französin Laurence des Cars zur Direktorin des Louvre. Was bedeutet das für die Kunstwelt?
Nina Zimmer: Ich habe mich sehr gefreut über diese Ernennungen. Beide Kolleginnen haben in den Häusern, die sie bislang leiteten für Aufbruch gesorgt und sehr erfolgreich eine Neuausrichtung der Häuser gesorgt. Was mich besonders freut, ist nicht nur, dass geschätzte Kolleginnen jetzt neue Aufgaben bekommen, sondern dass es jetzt zunehmend auch die bedeutenden, führenden Häuser sind, die Frauen anvertraut werden.
Macht es überhaupt einen Unterschied, ob Museen von Frauen geführt werden? Was ändert sich für Künstlerinnen?
Ob Frauen auch mehr Frauen ausstellen, müsste man statistisch untersuchen. Mich freut, dass es nicht nur die kleinen Nischenmuseen sind, die jetzt von Frauen geführt werden. Es ist die Tate Modern in London und es ist der Louvre. Damit ändert sich etwas im Klima und auch im internationalen Dialog in der Branche. Mir ist aber wichtig, dass man Diversität weiterdenkt. Wie sieht es im Rest des Museumsteams aus? Wie in den Vorständen der Museen? Wie sind Stiftungsräte zusammengesetzt? Denn in diesen wichtigen Gremien wird der Frauenanteil schon wieder deutlich kleiner. Ausserdem endet Diversität nicht bei der Geschlechterfrage.
Können Sie das ausführen?
In einer Weiterbildung für Frauen in Führungspositionen, an der ich vor Jahren teilgenommen habe, fiel ein Satz, den ich nicht mehr vergesse: «Women are the low hanging fruits». Die Diversität der Geschlechter sei am einfachsten herzustellen, weil qualifizierte Frauen überall schon greifbar sind wie tiefhängende Früchte. Sie sind Abteilungsleiterinnen und Vizedirektorinnen, man muss sie nur noch eine Stufe weiter befördern. Und selbst das passiert immer noch zu selten. In anderen Bereichen scheint es noch schwieriger, Diversität zu realisieren. Menschen mit Migrationshintergrund etwa fehlen oft schon in den unteren Kaderstufen. Wir dürfen beim Frauenthema nicht stoppen, obwohl es eines der dringendsten gesellschaftlichen Anliegen war in jüngerer Zeit.
Nina Zimmer«Noch vor fünf Jahren hat man mir Gruppenausstellungen vorgeschlagen, bei denen keine Frau vertreten war»
Gemäss einer Studie der Uni Basel zeigt gerade mal ein Viertel aller Einzelausstellungen in Schweizer Museen die Arbeit von Künstlerinnen. Hat die Kunst ein Genderproblem?
Die Repräsentation von Frauen in den Ausstellungsprogrammen bleibt nach wie vor ein wichtiges Thema. Einiges hat sich schon getan: Noch vor fünf Jahren hat man mir Gruppenausstellungen vorgeschlagen, bei denen keine Frau vertreten war. Dafür hat man sich keine Sekunde geschämt. Heute muss man das schon gut erklären können.
Wie kann man das erklären?
Es gibt nach wie vor Bereiche, in denen die Männer übervertreten sind. Zwar gibt es auch in der Vergangenheit immer noch mehr Frauen zu entdecken, als man glaubt. Aber man wird nie unfassbar viele Künstlerinnen der Renaissance ausfindig machen, allein schon, weil es damals für Frauen keinen Zugang zu Kunstausbildungen gab. Es gibt aber überhaupt keinen Grund dafür, eine thematische Ausstellung des 20. Jahrhunderts nur mit Männern zu bestücken.
Die Museumssammlung wird immer wieder als Grund angeführt, warum der Frauenanteil in den Ausstellungen nach wie vor klein ist. Wie gross ist das Potenzial, auch in Sammlungen weibliche Positionen zu entdecken?
In den Schweizer Sammlungen gibt es erstaunlich viele Künstlerinnen, insbesondere aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Im Kunstmuseum Bern haben wir etwa Martha Stettler eine Einzelausstellung gewidmet. Sie war eine bedeutende Künstlerin, hat mit ihrer Lebenspartnerin, der deutsch-baltischen Malerin Alice Dannenberg, in Paris die Académie de la Grande Chaumière gegründet, die etwa für Alberto Giacometti und Meret Oppenheim eine erste Anlaufstelle in Paris war.
Nina Zimmer«Ich bin nicht prinzipiell gegen eine Quote, finde aber, sie müsste breiter gefasst sein»
Die Politik diskutiert, ob Subventionen und Förderungen an eine Quote geknüpft werden sollen. Wie sinnvoll ist eine Frauenquote in den Schweizer Museen?
Ich bin nicht prinzipiell dagegen, finde aber, eine Quote müsste breiter gefasst sein. Wir wissen heute, wie schwierig es ist, Frausein überhaupt zu definieren. Wir müssen aktuelle Lebensrealitäten berücksichtigen, und diese sind nicht immer binär. Auch hier müssen wir Diversität weiterdenken.
Berühmte Künstler wie Pablo Picasso oder Gerhard Richter sind Publikumsmagnete, sichere Werte für jedes Museum. Auf wie viel Interesse stossen Ausstellungen wie die zu Lee Krasner im Zentrum Paul Klee oder Miriam Cahn im Kunstmuseum Bern?
Die Ausstellung zu Miriam Cahn hatte ein riesiges Medienecho. Bei Lee Krasner waren wir sehr glücklich mit den Besucherzahlen. Es war lang das Problem von Lee Krasner, dass sie immer nur als Frau von Jackson Pollock wahrgenommen wurde. Es hat mich sehr gefreut und in meinem Glauben an die Kunst bestätigt, dass viele Menschen diese Ausstellung besucht und sich für ihre Kunst begeistert haben, ohne zu wissen, wer Lee Krasner eigentlich war.
Trotzdem war Jackson Pollock Thema in der Ausstellung.
Lee Krasner pflegte mit ihrem Mann einen künstlerischen Austausch, den wir thematisiert haben. Als Dialog, denn nach wie vor wird bei einem Künstlerpaar der Einfluss immer in Richtung Frau gelesen, nie in Richtung Mann. Ich merke auch, dass das Publikum bereit dafür ist. Wir haben die gleichen Motive der Moderne immer und immer wieder gefüttert bekommen. Für viele ist es eine Befreiung, wenn wir diese Geschichten mal anders erzählen können. Und auch Sponsoren schätzen neue Perspektiven und progressive Ausstellungen.
Zeigt die Kunst der Frauen! Diese Forderung verbinden wir mit unsere aktuellen Ausgabe – mit einem 29 Seiten starken Special und drei Titelbildern. Neuste Zahlen der Universität Basel zeigen: Gleichstellung ist in den Schweizer Kulturbetrieben noch lange nicht erreicht. Wir haben neun Künstlerinnen da fotografiert und interviewt, wo ihre Werke noch immer viel zu selten zu sehen sind: im Museum. Genauer – und stellvertretend für alle Kunstmuseen des Landes – im neuen Erweiterungsbau des Kunsthaus Zürich, das zukünftig von Ann Demeester geleitet wird.
Es geht Ihnen also nicht nur um die Repräsentation der Frauen in der Kunst, sondern um ihre richtige Repräsentation?
Genau. Im Herbst stellen wir im Berner Kunstmuseum Meret Oppenheim aus. Es gibt ein Foto von Man Ray, das die Künstlerin nackt zeigt. In der Vergangenheit gab es fast keine Ausstellung von Meret Oppenheim, die nicht mit diesem Nacktbild beworben wurde – dem Werk eines anderen Künstlers. Und das mitunter gegen ihren ausdrücklichen Willen. Wir haben einen Brief gefunden, in dem Oppenheim den Kurator ihrer ersten Retrospektive in Stockholm bittet, anstatt der Fotografie von Man Ray ihr Selbstporträt – ein Röntgenbild – zu zeigen. Natürlich kam der Kurator ihrer Bitte nicht nach. Es ist an der Zeit, zuzuhören und auf diese Bilder zu verzichten.
Sie sind in Deutschland geboren, haben in Korea gearbeitet, in den USA studiert. Nach Jahren in der Schweiz, erst in Basel, jetzt in Bern, sind Sie Schweizerin geworden. Wie nehmen Sie die Chancengleichheit hier im internationalen Vergleich wahr?
Als ich in die Schweiz kam, hat mich überrascht, wie schwierig es hier ist, Arbeit und Kinderbetreuung zu organisieren. Ich habe mit vielen Kolleginnen und Mitarbeiterinnen gesprochen, wenn die Familiengründung anstand. Die Kinderbetreuung fällt häufig vorwiegend auf die Frauen zurück, die Kitas sind teuer, so dass sich die Arbeit oft nicht lohnt. Es scheint mir hier schwieriger, sich für eine berufliche Karriere zu entscheiden, wenn man Familie hat, als in anderen Ländern.
Und in der Frage der Repräsentation von Künstlerinnen?
Die Diskussion kam vielleicht ein bisschen später in die Schweiz, aber sie wird genau an dem Punkt geführt, wo sie international im Moment auch steht. Südkorea etwa ist die Schweiz weit voraus. Das Land hat sich in so kurzer Zeit entwickelt, da stehen die Frauen noch vor ganz anderen Herausforderungen. Es gibt fantastische koreanische Künstlerinnen, Haegue Yang ist eine von ihnen, die auch international bekannt ist. Sie hat aber letztlich in Europa Karriere gemacht, nicht aus Korea heraus.
Wie wichtig ist das Museum für den Erfolg von Künstler:innen überhaupt?
Erfolg in der Kunst wird mit verschiedenen Währungen gemessen: Der Marktwert ist zentral, wie oft ein Werk besprochen oder ausgestellt wird, wie oft eine Person zur Diskussion steht, wie viele junge Künstler:innen sich auf eine Position beziehen. Der Kanon wird erweitert, verändert sich. In Museen finden diese Auseinandersetzungen statt, hier passiert Geschichtsschreibung, mischt sich Öffentlichkeitswirksamkeit mit dem Fachdiskurs. Durch diese Reibung werden Wert und Bedeutung erzeugt. Wir brauchen Räume, die der Öffentlichkeit verpflichtet sind, um eine möglichst grosse Freiheit des Diskurses zu ermöglichen.