Kultur
Frauen in der Kunst: «Die Kunstwelt ist extrem sexistisch»
- Text: Barbara Loop, Dietrich Roeschmann
- Bild: Eva Baales
Nur rund ein Viertel aller Ausstellungen in den Schweizer Museen widmet sich der Kunst von Frauen, auch in den Sammlungen sind sie untervertreten. Wie können wir das ändern? 4 Künstlerinnen im Gespräch.
Zilla Leutenegger (53)
Braucht es eine Frauenquote in der Kunst?
Ich glaube nicht, dass eine Frauenquote im Museum das richtige Mittel ist, denn eine solche technische Regulierung hat immer einen faden Beigeschmack. Aber ja: Man muss mehr Kunst von Frauen in Museen zeigen. Es müssen mehr Frauen in den Sammlungen vertreten sein. Doch erkenne ich diesbezüglich Tendenzen, die mich optimistisch stimmen. Hoffen wir, dass diese Verantwortung auch im Kunsthaus Zürich übernommen wird.
Als Kulisse für das Shooting wählten Sie die Treppe, warum?
Die Treppe ist in meinen Arbeiten wichtig. Ich zeichne viele Treppen, wohne in meinen Zeichnungen gern auf oder unter Treppen. Wenn ich auf einer Treppe sitze, sehe ich die verschiedenen Knicke, die der menschliche Körper machen kann. Das gefällt mir. Zugleich ist die Treppe ein schönes Bild für die Erschliessung mentaler Räume.
Was trägt Ihre Kunst zu den Orten bei, an denen sie zu sehen ist?
Mit unterschiedlichen Medien – Zeichnung, Videozeichnung, Licht, Installation – entwerfe ich neue Räume, in denen oft eine einzelne Person oder auch nur eine Erinnerung anwesend ist. Projektionen kleiner Bewegungen – das Tropfen eines Wasserhahns, eine flackernde Kerze – machen das Verstreichen der Zeit bewusst und weiten den Raum ins Mentale. Ich mag es, wenn es mir in meinen Arbeiten gelingt, diesen Schwebezustand zwischen Leichtigkeit und Nachdenklichkeit herzustellen.
Was kann Mode, was Kunst nicht kann?
Das Privileg der Mode und zugleich ihr Nachteil ist ihre Schnelllebigkeit. Auch die Kunst reagiert auf die Gegenwart, aber sie hat einen längeren Atem. Und vor allem hat sie eine individuelle Perspektive. In der Mode gibt es immer jemanden, der sagt, wo es langgeht. In der Kunst gibt es kein Richtig und kein Falsch – das finde ich enorm wichtig und das nehme ich sehr ernst.
Pascale Birchler (39)
Woran arbeiten Sie derzeit?
An meiner Ausstellung «Der Rest ist Schweigen», der letzte Satz, den Hamlet vor seinem Tod spricht. In der Ausstellung geht es um die Stille, die Einkehr, die es für die Selbsterkenntnis braucht. Und um die unüberbrückbare Lücke zwischen dem sichtbaren Ich und dem eigentlichen Ich.
Wann haben Sie sich das erste Mal bewusst für die Kunst entschieden?
Mit 17 mietete ich mit meiner Schwester ein Atelier. Ich arbeitete im Service, um mir das leisten zu können. Das war eine erste Entscheidung für die Kunst. Auch wenn ich selbst wusste, dass ich eine Künstlerin bin, hätte ich mich nie als solche bezeichnet. Jahre später hat eine Angestellte in der Notfallaufnahme des Spitals mein Anmeldeformular zurückgewiesen, mit der Begründung, Künstlerin sei kein Beruf. Von da an nannte ich mich Künstlerin.
Steckt in jedem Menschen ein:e Künstler:in?
Kunst zu machen ist eine Entscheidung, zu der sich nicht alle durchringen können. Kunst ist kein Hobby. Denn der Zweifel ist gross. Es braucht viel Kraft, ihn immer wieder zu überwinden.
Hat Kunst einen Ort?
Die Geschichten meiner Vergangenheit formen meine geistige Landschaft. Wir alle haben so eine Landschaft. Darin bewege ich mich, wenn ich Kunst mache.
Braucht es eine Frauenquote?
Bis es keine Schlagzeile mehr Wert ist, dass Frauen in Museen vertreten sind, so lang braucht es eine Quote. Wir Frauen brauchen weibliche Vorbilder, auch um unsere Rollen als Künstlerinnen zu definieren.
Jasmine Gregory (34)
Wie würden Sie Ihre künstlerische Arbeit in wenigen Sätzen beschreiben?
Ich arbeite satirisch mit absurden Vorstellungen von Identität, Subjektivität und Konsum durch Abstraktion und Figuration. Ich interessiere mich für Kompositionen, die nicht Teil der westlichen Kunsttradition sind und kombiniere sie mit recht akademischen Formen. Und ich arbeite gern mit Gemälden und Skulpturen, um Trends des Kunstmarktes zu kritisieren.
Wie sind Sie zur Kunst gekommen?
Kunst ist etwas, von dem ich immer wusste, dass ich es tun muss. Es dauert nur seine Zeit, um dorthin zu gelangen. Niemand entscheidet sich dafür, Künstler:in zu sein, das wäre masochistisch. Ist man es dann erst, ist man einfach nur glücklich oder verflucht – je nachdem, wie man es sieht. Ich bin glücklich, weil ich mir nie vorstellen konnte, etwas anderes zu tun.
Gibt es einen idealen Ort, den Sie sich für Ihre Kunst vorstellen?
Die Sammlungen von Dolly Parton und Patti LaBelle – falls die beiden denn überhaupt Kunstsammlungen haben sollten.
Was beschäftigt Sie aktuell?
Ich arbeite an Cowboyhüten, die ursprünglich in einigen meiner Gemälde auftauchten. Ausserdem bereite ich eine Gruppenschau bei Cordova in Barcelona vor, wo ich mit James Bantone und Sitara Abuzar Ghaznawi ausstelle.
Gibt es ein Geschlechterproblem im Kunstbetrieb?
Der Kunstbetrieb hat grundsätzlich ein Problem mit Repräsentation. Sowohl der Geschlechter als auch der Hautfarben.
Brauchen wir eine Frauenquote für Museen?
Ja – und eine für People of Color, für queere Positionen und für Menschen, die nicht aus privilegierten Verhältnissen stammen. Jedes Lebewesen auf dieser Erde navigiert aufgrund seiner individuellen Erfahrungen anders durchs Leben. Jede Erfahrung ist gültig und wesentlich. Ich denke, dass sich Museen und Institutionen strukturell ändern müssen, um diese Vielzahl von Ideen und Denkweisen miteinzubeziehen.
Was stört Sie am Kunstbetrieb?
Alles. Die Kunstwelt trägt oft sehr moralische Positionen zur Schau, um sich selbst zu vermarkten, obwohl sie extrem toxisch, sexistisch, rassistisch, behindertenfeindlich und klassistisch ist und ihr jegliche Moral fehlt. Das zeigt sich am Kunstmarkt ebenso wie an der Finanzierung und Struktur der Institutionen. Der Stellenwert, den Kunst heute in der kapitalistischen Gesellschaft hat, steht ihrer nachhaltigen Veränderung entgegen. Ich hoffe, dass Kunst wieder zu etwas wird, das alle Interessierten ohne Ausgrenzung erleben können. Ich bin Amerikanerin. Im Gegensatz zur Schweiz gibt es in den USA sehr wenig Geld für Kunstschaffende. Wenn du eine Kunstschule besuchst, hast du nach dem Abschluss eine Viertelmillion Dollar Schulden. Um es wirklich zu schaffen, brauchst du viel Glück oder du bist sehr reich. Ich wünsche mir weniger Toxizität, mehr Inklusion, Freiheit zum Scheitern, Ehrlichkeit und Transparenz.
Wie stellen Sie sich das Museum der Zukunft vor?
Als Zirkus.
Rebekka Steiger (28)
Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Kunst?
Ich erkunde in meinen Bildern die Malerei in all ihren Facetten. Ich mische Techniken, Träger- und Farbmaterialien, lasse sie gegenseitig reagieren. Zentral ist für mich dabei immer auch die Auseinandersetzung mit bestimmten Motiven, ihrer Abstraktion und Komposition.
Wann haben Sie Feuer gefangen für die Kunst?
Schon als Kind. Ich habe immer gemalt. Die Entscheidung, die Kunsthochschule zu besuchen, war dann aber spontan, nachdem andere Pläne nicht aufgingen. Ich dachte zuerst: Malen werde ich ohnehin, dazu brauche ich nicht unbedingt eine Schule. Ich wollte einfach frei sein, das zu tun, was ich wollte.
Hat der Kunstbetrieb ein Genderproblem?
Das hat er sicher immer noch, aber ich nehme auch wahr, dass sich viel verändert – zumindest hier in der Schweiz. Ich selbst kann über keine Benachteiligung klagen. Und in meiner Galerie und den Museen, in denen ich bisher ausstellen durfte, nehmen Frauen Leitungspositionen ein: Karin Seiz bei der Galerie Urs Meile, Fanni Fetzer im Kunstmuseum Luzern, Claudine Metzger im Kunsthaus Grenchen.