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Ernstes Thema, lustiger Film: «Ninjababy»-Regisseurin im Interview
- Text: Miriam Suter
- Bild: Xenix Films/Lars Olav Dybvig
Die norwegische Regisseurin Yngvild Sve Flikke erzählt in «Ninjababy» die Geschichte einer jungen Frau, die ein ungewolltes Baby bekommen muss. Klingt schwerfällig, doch der Film ist überraschend lustig.
Das Filmdrama «Ninjababy» feierte letztes Jahr am Tromsø International Film Festival Premiere: Rakel will ihre Zwanziger geniessen, Party machen, Drogen nehmen und denkt nicht einmal daran, Mutter zu werden. Und dann wird sie schwanger. Wer ist eigentlich der Vater? Ihre Osteraffäre oder doch ihr Aikido-Trainer? Als wäre das nicht genug, taucht in Rakels Alltag plötzlich ein Comicbaby auf und will seine Mutter davon überzeugen, sich ein gemeinsames Leben vorzustellen. Mit ihm im Schlepptau besucht Rakel eine Beratungsstelle für Adoptionen und diskutiert mit ihrer Schwester, die selber keine Kinder bekommen kann. Regisseurin Sve Flikke gelingt mit ihrem Film ein feinfühliger Einblick in die Gefühlswelt einer jungen Frau, die plötzlich ihr ganzes Leben überdenken muss; und sie schafft mühelos den feinen Grad zwischen Politik, Melancholie und Witz. Wir haben Yngvild Sve Flikke und die Hauptdarstellerin Kristine Kujath Thorp zum Zoom-Gespräch getroffen.
annabelle: Yngvild Sve Flikke, Sie haben einen Film gedreht über eine junge Frau, die merkt, dass sie schwanger ist. Als sie abtreiben will, stellt sich heraus: Die Schwangerschaft ist schon viel zu weit fortgeschritten, sie muss das Baby bekommen – obwohl sie überhaupt nicht will. Wie entstand die Idee zur Story?
Yngvild Sve Flikke: Während meinen eigenen beiden Schwangerschaften – die übrigens sehr gewollt waren – hatte ich so viele gemischte Gefühle. Ich dachte immer, wenn die Leute schwanger sind, dann sind sie die ganze Zeit glücklich. Aber in Wirklichkeit begibst du dich auf eine Gefühlsachterbahn! Du hast Angst, als Mutter nicht zu genügen. Dazu kommt dieses seltsame Gefühl, dass etwas in dir heranwächst, das du bist, aber irgendwie eben auch nicht. Und dann all diese Erwartungen der Gesellschaft. Ich konnte diese Gefühle verbal nicht ausdrücken und ich kann es immer noch nicht. Also habe ich überlegt, ob es möglich ist, einen Film darüber zu machen. Ich wollte Fragen stellen zur Elternschaft, für die ich noch immer noch keine Antworten habe.
Welche Fragen?
Yngvild Sve Flikke: Meine Töchter sind jetzt 13 und 15 Jahre alt, die Schwangerschaften sind also schon ein Weilchen her. Aber die Themen Geschlechter und Gleichberechtigung in Bezug auf Schwangerschaft und Elternsein beschäftigen mich immer noch: Wie geht eigentlich Elternsein, was verändert sich, wenn man zusammen ein Kind bekommt? Inwiefern beeinflussen uns die Erwartungen von aussen, aber auch von uns selber? Und wie verändern sie sich, wenn man Eltern wird? Sind Frauen die besseren Eltern als Männer? Ich wollte einen lustigen Film über ein ernstes Thema machen. Ich habe mich immer wieder gefragt: Wie sehr kann ich die Charakter blödeln lassen und trotzdem noch politisch bleiben?
Regisseurin Yngvild Sve Flikke«Das ist natürlich ein Paradox: Wenn wir am fruchtbarsten sind, wollen wir nur Party machen und durchleben erstmal das wundervolle Chaos der Jugend.»
Wie entstand das animierte Ninjababy?
Yngvild Sve Flikke: Eigentlich aufgrund der Graphic Novel «The Art of Falling» von Inga Sætre. In der Geschichte geht es um eine schwangere 16-Jährige, das Ninjababy gibt es dort aber nicht. Inga war die erste Person, die ich für meinen Film kontaktiert habe, und sie war sofort begeistert von der Idee, dass ihre Protagonistin in meinem Film älter ist und das Baby nicht will. Dann haben wir zusammen parallel das Skript und die Animationen entwickelt. Während dieser Zeit habe ich den Drehbuchautor Johan Fasting kennengelernt, dessen Arbeiten ich sehr mag. Mit ihm habe ich gleichzeitig an einer Serie gearbeitet und ich bat ihn, das Skript von Inga und mir anzusehen. Die Idee, dass das Baby ein animiertes Ninjababy sein soll, kam schliesslich von ihm. Es war die perfekte Ergänzung, weil wir nicht wollten, dass der Film das immergleiche Bild der zweifelnden jungen Frau zeigt, es brauchte noch ein lustiges Element aus der Animation: Eben das Ninjababy, das sich unbemerkt in Rakels Leben schleicht und ja eigentlich ihre eigene Stimme im Selbstgespräch darstellt.
Rakel verkörpert im Prinzip das Gegenteil der schwangeren Frauenfiguren, die wir in Filmen oft zu sehen bekommen: Für sie ist klar, dass sie abtreiben will – aber der Eingriff ist nicht mehr möglich. Kristine Kujath Thorp, wie spielt man eine Rolle mit wenig filmischen Vorbildern?
Kristine Kujath Thorp: Ich habe mich in Rakels Gedankenwelt hineinversetzt: Sie wird in die Rolle der Mutter hineingepresst. Eine Rolle, die sie ganz und gar nicht haben will. Und zusätzlich kämpft sie mit den gesellschaftlichen Ansprüchen an Mütter, sie sieht sich aber gar nicht so. Ein Kind zu haben, kam in ihrer Lebensplanung bisher überhaupt nicht vor.
Dafür schämt sie sich aber nicht, sie rechtfertigt sich auch nicht. Ein Frauenbild, das man ebenfalls nicht oft sieht: Frauen müssen immer einen Grund haben, keine Kinder zu wollen.
Yngvild Sve Flikke: Es gibt eine Szene mit Rakel, in der sie zum Ninjababy sagt: Ich kann mich nicht um dich kümmern, ich muss mich zuerst um mich selber kümmern. In Norwegen werden die meisten Leute nicht mit 22 Jahren schwanger. Zehn Jahre später weisst du, dass du das wirklich willst, aber vorher sicher nicht. Das ist natürlich ein Paradox: Wenn wir am fruchtbarsten sind, wollen wir nur Party machen und durchleben erstmal das wundervolle Chaos der Jugend. Rakels Schwangerschaft verkörpert auch ihre Angst davor, plötzlich jemand sein zu müssen, der sie noch gar nicht ist – in dem Alter weiss man ja noch gar nicht, wer man sein möchte. Und wenn man später Kinder will, dann klappt es vielleicht nicht mehr einfach so. Diesen Zwiespalt wollte ich im Film anhand von Rakels Schwester aufzeigen: Sie ist Anfang 40 und versucht, schwanger zu werden, aber es will einfach nicht klappen.
Der Vater von Rakels Kind kommt im Film gar nicht gut weg: Er durchlebt zwar eine charakterliche Entwicklung, bleibt aber immer ein nerviger Egozentriker. Weshalb?
Yngvild Sve Flikke: Wir kennen doch alle diese Männer, die sich nur für sich selbst interessieren, aber dir halt etwas vorspielen. Ich weiss nicht, ob ihr die in der Schweiz auch habt.
Oh doch, die haben wir hier auch.
Yngvild Sve Flikke: Eben, alle kennen diese Männer. Und dann triffst du sie 20 Jahre später wieder und sie sind total anders: Sie haben eine Familie, sind verheiratet. Im Film geben ihm Rakel und ihre Freundin den Übernamen «Pimmeljesus», aber natürlich nur unter sich. Ich mag es, mit Stereotypen zu spielen und ich versuchte, ihn durch die Augen der beiden Freundinnen zu sehen – zumindest in der ersten Hälfte des Films. Vielleicht sehen wir diese Männer so aufgrund dessen, wie wir als Frauen auf diese Art von Männern reagieren, da braucht es ja immer zwei dazu.
Wie meinen Sie das?
Yngvild Sve Flikke: Rakel ist diesbezüglich sehr ehrlich, sie kann ihm einfach nicht widerstehen. Klar, er nervt und interessiert sich nur für sich, aber der Sex ist nun einmal gut und er ist attraktiv. Warum finden so viele Frauen Männer anziehend, die nicht nett sind zu ihnen? Ich weiss es nicht, aber es passiert ständig.
Kristine Kujath Thorp: Ich glaube, sehr viele Frauen können sich mit dieser Situation identifizieren. Ja, wir Frauen sind sehr smart, aber auch wir haben animalische Triebe – wenn jemand gut riecht oder sich auf eine gewisse Art und Weise bewegt … Frauen haben auch eine sehr starke Sexualität und gerade wenn wir jünger sind, siegt die vielleicht noch öfter über unser logisches Denken. Für mich verhält sich Rakel sehr logisch, natürlich will sie mit ihm schlafen, auch wenn er ein Idiot ist; sie wird einfach geil, wenn sie ihn schon nur anschaut! Ich fand es aus diesem Grund sehr befreiend, Rakel zu spielen: Normalerweise sehen wir noch immer vor allem Männer, die ihre Sexualität so frei leben. Aber im echten Leben ist es überhaupt nicht so einseitig.
Es gibt eine Szene im Film, die sehr radikal ist: Rakel ist frustriert, weil sie das Baby bekommen muss und sinniert mit ihrer Freundin darüber, dass man doch am besten alle Jungs mit 12 Jahren sterilisieren liesse. So würde man 100 Prozent der ungewollten Schwangerschaften verhindern.
Yngvild Sve Flikke: Ich wollte eine realistische Freundschaft unter zwei jungen Frauen zeigen und diese Szene ist diesbezüglich eine der wichtigsten. Dieser Space, diese Verbindung, die viele Frauen in diesem Alter miteinander haben, ist wunderschön. Man kann alles sagen, egal wie radikal, deine Freundin hört immer zu und unterstützt dich, wenn du sie brauchst. Rakel würde ihre Gedanken so nie im Alltag äussern, aber wenn sie mit Ingrid auf dem Sofa liegt und Tee trinkt, kann sie das.
Kristine Kujath Thorp: Diese Szene ist radikal, aber der Dreh war sehr lustig – und wir haben einiges darin improvisiert. Alle Szenen zwischen den beiden Freundinnen waren so für mich. In der Szene verhaspelt sich Rakel beim Wort «Patriarchat» und Ingrid lacht und korrigiert sie, das war so nicht geplant. Ich habe mich tatsächlich versprochen. Aber ich glaube, das macht die Szene so gut. Und klar ist Rakels Aussage radikal – aber ganz ehrlich, ich finde sie nicht falsch. In der Szene schlägt Rakel vor, 12-jährige Jungs zu sterilisieren. Natürlich ist diese Aussage radikal und brutal. Aber eigentlich ist der Gedanke nicht weit hergeholt: Mädchen fangen sehr jung an, Hormone zu nehmen. Ich denke, Rakels Aussage wirkt noch radikaler, weil sie sich auf Männer bezieht.
— «Ninjababy» läuft ab sofort im Kino.