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Eine Begegnung mit Filmstar Isabelle Huppert: «Eine Rolle ist nie schwierig für mich»

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Eine Begegnung mit Filmstar Isabelle Huppert: «Eine Rolle ist nie schwierig für mich»

  • Text: Vanja Kadic
  • Bild: Kristin Callahan/Shutterstock/Dukas

Diese Frau kennt keine Angst – zumindest nicht, was ihren Beruf angeht: Ein Gespräch mit Schauspielerin Isabelle Huppert.

Sie gehört zu den grössten Schauspielerinnen Europas: Isabelle Huppert spielte in ihrer Karriere in über 150 Filmen mit und ist auf internationalen Theaterbühnen zu sehen. Zu den berühmtesten Rollen der 71-jährigen Pariserin, die bereits mit 14 Schauspielunterricht nahm und 1971 ihr filmisches Debüt feierte, zählen etwa «Die Klavierspielerin», «Die Spitzenklöpplerin» oder «Acht Frauen». Für den Thriller «Elle» wurde sie 2017 mit einem Golden Globe ausgezeichnet und für einen Oscar nominiert.

Wir treffen Isabelle Huppert in einem Hotel in Genf, um über ihren neuesten Film zu sprechen. In «Madame Sidonie in Japan» verkörpert sie die Autorin Sidonie Perceval, die für eine Neuauflage ihres Buchs nach Japan reist. Als sie verschiedene Orte des Landes besucht, begegnet sie nicht nur den figurativen Geistern ihrer Vergangenheit, sondern auch dem wahrhaftigen Geist ihres verstorbenen Mannes Antoine.

Eine einnehmende Präsenz

In Isabelle Hupperts Hotelsuite riecht es nach Chanel No5. Neben dem Sofa liegen gut eingelaufene Balenciaga-Sneakers – Huppert ist Testimonial des Brands –, in der Ecke steht ein nicht abgeräumter Frühstückswagen. Irgendwo aus der Suite ertönt ein Föhn. Und dann huscht Isabelle Huppert aus dem Badezimmer, sie trägt wenig Make-up, schwere Silberohrringe und ein weites, helles Hemd.

Eine zierliche Frau mit einnehmender, vielleicht sogar etwas einschüchternder Präsenz. Ihr Ausdruck wirkt im ersten Moment ernst, unnahbar. Und wird dann weicher: «J’arrive tout de suite», sagt sie freundlich und reicht die Hand zur Begrüssung.

Bei Interviews mit Stars ihrer Grössenordnung sitzen für gewöhnlich Mitglieder des Teams oder PR-Verantwortliche mit dabei, um möglichst jedes Wort zu kontrollieren. Huppert aber wünscht, mit der Journalistin allein zu sein. Sie schliesst die Zimmertür hinter ihren Teammitgliedern und nimmt am Tisch Platz.

annabelle: Isabelle Huppert, Sie sind dafür bekannt, vielschichtige Frauen zu spielen. Was hat Sie an der Rolle der Sidonie Perceval gereizt?
Isabelle Huppert: Mir gefiel das Drehbuch von «Madame Sidonie in Japan». Und der Gedanke daran, den Film in Japan zu drehen. Ich war sehr angezogen von der Geschichte dieser Frau, die den Geist ihres verstorbenen Mannes trifft – und von der Perspektive, für den Film weit zu reisen. Das ist eine ganz andere Erfahrung, als in Frankreich zu drehen. Ich habe mich ausserdem gefreut, einen Film mit Regisseurin Élise Girard zu machen, nachdem ich ihre letzten beiden Filme «Belleville-Tokyo» und «Schräge Vögel» gesehen habe. In Letzterem spielte meine Tochter Lolita mit (Lolita Chammah, Schauspielerin und eines von drei Kindern, die Huppert mit Ehemann und Produzent Ronald Chammah hat, Anm. d. Red.). Sie war wundervoll in dem Film.

Was war die Herausforderung daran, Sidonie zu spielen?
Keine. (lacht) Eine Rolle ist nie schwierig für mich.

Wirklich, gar nie? Warum?
Es ist immer einfach für mich. Die einzige Herausforderung bestünde darin, wenn der oder die Regisseurin kein Talent hätte oder das Drehbuch, die Dialoge schlecht wären. Dialoge lassen sich aber immer umformulieren, so, wie man sich wirklich ausdrücken möchte. Das passiert mir oft bei Filmen. Aber nein, es ist nie schwierig für mich. Tut mir leid.

Leidtun muss Ihnen das nicht. Aber es ist interessant, weil Sie ausschliesslich komplex geschriebene, existenzielle Rollen spielen, die nicht unbedingt simpel wirken.
Es ist vielleicht nicht einfach, ihnen zuzuschauen, aber es ist einfach, sie zu spielen. Je mehr Nuancen eine Figur hat und je komplexer und mehrdeutiger sie ist, desto einfacher ist es für mich, weil ich mich nicht für eine Option entscheiden muss. Das Kino ist das perfekte Medium, um diese Vielschichtigkeit zu vermitteln.

Was gefiel Ihnen an Sidonie?
Es gibt einen Zusammenhang zwischen ihrer emotionalen Reise und der Art, wie sie Japan entdeckt. Es besteht eine Verbindung zwischen ihrer geistigen und der physischen Reise – und nach und nach kommt die Liebe wieder zu Sidonie. Ich war schon oft in Japan, aber ich erlebte während des Drehs, genau wie sie, neue Orte, neue Landschaften und Städte. Die Arbeit war also sehr verbunden mit meinem eigenen inneren Prozess.

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Sidonie macht im Film eine grosse Wandlung durch – dabei will sie zunächst gar nicht nach Japan reisen, weil sie Angst vor dem Unbekannten hat. Können Sie ihr nachfühlen?
Nun, ich bin kein gutes Beispiel dafür, weil Filme zu drehen nie etwas Neues für mich ist, ich bin den Prozess gewohnt. Ich bin selten in einer Situation, in der ich etwas wirklich Neues oder gar Beunruhigendes erlebe.

Können Sie sich denn an das letzte Mal erinnern, als Sie so eine Erfahrung hatten? Wann haben Sie sich zuletzt überwinden müssen?
Ich bringe mich selbst nicht oft in solche Situationen.

Warum nicht?
Ich bin nicht abenteuerlustig genug. (überlegt) Letztes Jahr war ich in den Bergen, für ein Festival … (Hupperts Smartphone klingelt) Nur eine Sekunde.

Huppert entschuldigt sich am Telefon, sie habe komplett vergessen, dass sie ein Interview habe. Sie bespricht einen Termin für den Folgetag, den sie unmöglich wahrnehmen könne – ihr Terminkalender sei «plein comme un oeuf», voll wie ein Ei. Sie legt auf, hat den Faden verloren.

Sie wollten von Ihrer Erfahrung in den Bergen erzählen.
Ah, ja. Kennen Sie Tyroliennes, diese Seilrutschen?

Das haben Sie gemacht?
Das habe ich gemacht! (grinst) Mein Herz klopfte vorher wie verrückt, aber es war eine tolle Fahrt, eine schöne Erfahrung. Das war eine Sache, die ich nicht jeden Tag mache. Aber ich wollte meine Angst überwinden.

Es ist gut, ab und an die eigene Angst zu überwinden, oder?
Ja. Mal gelingt es besser, mal weniger gut. Dieses Mal hatte ich grosse Lust, weil ich andere Leute sah, die sich vor mir auf die Seilrutsche wagten.

Sidonie verlässt Japan als veränderte Frau. Welcher Wandel, den Sie kürzlich gewagt haben, hat Ihr Leben positiv verändert?
Ich könnte Ihnen jetzt sagen, dass ich mehr Sport mache – aber ich mache nie Sport. Ich bin eigentlich sehr faul. Es ist wirklich wahr. Deshalb mache ich Filme! Da ist alles aufgegleist.

Wie suchen Sie Ihre Rollen aus und was muss ein Filmprojekt mitbringen, damit Sie interessiert sind?
Meistens sage ich wegen der Regisseurin oder des Regisseurs zu. Die Regie ist das Kernstück des Ensembles. Für mich hat das eine grössere Gewichtung als die Frage nach der Rolle oder dem Dialog. Mir geht es bei einem Filmprojekt viel mehr darum, wie man etwas sagt, als darum, was man sagt. Die Regie bestimmt die Art und Weise, wie man filmt, wie man den Dialog rüberbringt, welche ästhetischen Entscheidungen getroffen werden. Mir ist es wichtig, dass ich Vertrauen in den oder die Regisseur:in habe. Wenn ich mich für einen Film entscheide, heisst das, dass ich hundert Prozent sicher bin.

Das ist ein ziemlich grosses Risiko, das Sie da jeweils eingehen – einen Film von einer Person abhängig zu machen.
Das ist so. Aber wer sollte es sonst sein? Das ist die Person, die die Richtung vorgibt und Entscheidungen trifft. So habe ich genug Freiheit, um meinen eigenen Raum zu schaffen. Ich habe Glück: Bei den meisten Projekten, in denen ich mitwirke, habe ich die Möglichkeit, den Film zu meinem eigenen zu machen. Das ist natürlich einfacher, wenn man die Hauptrolle spielt als in einer Nebenrolle. Wenn man das Zentrum des Films ist, ist es nicht so schwer, die Leute glauben zu lassen, die Story des Films sei die Story deiner Figur. Was auch bei «Madame Sidonie in Japan» der Fall ist.

Sidonie kann nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr schreiben. Kennen Sie als Künstlerin dieses Gefühl der kreativen Blockade?
Glücklicherweise nicht. Ich wachte nicht eines Tages auf und dachte, «oh mein Gott, ich will nicht mehr spielen». Vielleicht passiert das eher, wenn man Theater spielt, das fordert noch mehr Verbindlichkeit, was Körperlichkeit, Emotionen und Angst angeht. Es ist angsteinflössender, als im Film zu arbeiten. Für mich selbst ist das nicht der Fall, aber ich kann verstehen, wenn man davon eines Tages genug hat. Filme drehen hingegen? Easy.

Sie gehören zu den Ikonen des französischen Kinos – und doch überrascht es irgendwie, dass Sie betonen, wie einfach es für Sie ist, Filme zu drehen. War das für Sie schon immer so?
Ich kann es nicht ändern! Ich weiss, es gibt Schauspieler:innen, die erzählen, dass sie Angst vor einer bestimmten Rolle oder einer Szene hatten. Aber ich hatte nie Angst. Diese Arbeit verlangt einem viel körperliche Energie ab, man muss morgens früh aufstehen – wer lange schlafen möchte, sollte besser keine Filme drehen. (lacht) Am Set ist es entweder sehr kalt oder sehr heiss, man nimmt beim Dreh Unbequemlichkeit in Kauf. Doch nur weil die Arbeit körperlich anspruchsvoll ist, heisst es nicht, dass sie einem Angst machen muss.

Welchen Karrieretipp gaben Sie Ihrer Tochter Lolita auf den Weg?
Ich musste ihr nicht wirklich Ratschläge geben. Es gibt andere Wege, den eigenen Kindern Dinge zu vermitteln: Ich hatte immer viel Energie, um Dinge zu unternehmen und weit zu reisen, um mit neuen Menschen zu drehen. Das habe ich ihr stets vorgelebt. (Es klopft an der Tür.)

Gibt es etwas, das Sie in Ihrer Karriere gern anders gemacht hätten?
Nein. Ich war immer neugierig – nicht, dass das alleine reichen würde. Ich weiss nicht alles über alles, aber ich hatte zum Beispiel schon immer eine grosse Neugier für ausländische Kinematografie. Ich drehte mit Leuten wie Hong Sang-soo (Regisseur, Anm. d. Red.) in Korea und hatte nie Angst davor, weit weg von zu Hause zu sein. Nicht alle sind so, manche Menschen fürchten sich davor und bleiben gerne in ihrer eigenen Komfortzone, was verständlich ist. Für mich war es immer angenehm, diese zu verlassen, auch wenn man allein ist.

Es klopft wieder an der Tür, Huppert steht auf, um sie zu öffnen. Sie spricht in bestimmtem Ton einige Sätze, schliesst die Tür, verdreht die Augen und setzt sich wieder.

Und was bedeutet Ihnen Erfolg?
Es ist ein Luxus. Und ein immenses Privileg, das ich jeden Tag meines Lebens geniesse. Erfolg bedeutet die Möglichkeit, Dinge so zu tun, wie man selbst sie machen will.

Ab 30. Mai im Kino: «Madame Sidonie in Japan» von Élise Girard

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alter ego

wenn man richtig liegt, fühlt es sich leicht an! hat mir mal ein meister gesagt. wir sind mit einem seltsamen glaubenssatz in deutschland groß geworden.hier muss man alles mit blut schweiss und tränen erarbeiten, dass es respekt findet und anerkennung. auch erzählen sich die menschen gerne solche geschichten, sie wollen keinesfalls das jmd meint das wäre alles billiger zu haben um ihre gagen und entbehrungen irgendwie zu rechtfertigen. wenn also jmd sagt, es geht ihm ode rihr leicht von der hand, dann ist sie vollends mit sich und der welt im einklang und diese betrachtungsweise existiert im westen kaum..wenn hier jemand bei der arbeit lacht, wollen ihm zwei kündigen und drei mehr arbeit aufbrummen, weil man meint er wäre nicht ausgelastet. daher haben wir soviele simmulanten im job, die unentwegt geschäftig tun, viel stöhnen, so das keiner auf die idee kommt, ihnen mehr arbeit oder weniger geld zu geben! isabel huppert ist mein idol, unfassbare schauspielerin mit einer messerschneidenden tiefe. wenn man filme mit ihr ansieht muss man manchmal an sich selbst heruntersehen, ob die wunde die sie gerade manifestiert nicht am eigenen körper klafft..wer hier unberührt raus geht, lebt nicht, oder nicht mehr..