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Eine Begegnung mit Mando Diao

Kultur

Eine Begegnung mit Mando Diao

  • Text: Kerstin Hasse; Foto: Erik Weiss

Als Teenie hat unsere Autorin Kerstin Hasse ihr Herz an Mando Diao verloren. Mit den Jahren ist die Liebe abgekühlt. Nun hat sie die schwedische Band zum Interview getroffen …

Ich war 15 Jahre alt, als mir mein grosser Bruder ein Album in die Hand drückte, auf dem «Hurricane Bar» stand. Es leuchtete orange und war an den Ecken abgewetzt. Vier Jungs schauten mich vom Cover herab an. Ein wenig gelangweilt sassen sie da, die langen Haare seitlich gescheitelt, dazu diese spitzbübische Gelassenheit, die sich in ihren leicht verwegenen Gesichtern spiegelte. Kurz: Sie waren rein optisch der Inbegriff jedes Indierocker-Mädchentraums. «Musst du dir anhören», sagte mein Bruder. Und natürlich hatte er recht.

Ich liebte Mando Diao, und ich liebte «Hurricane Bar». Die rauchigen Stimmen von diesem schönen Björn und dem schlaksigen Gustaf, die harten Gitarrenklänge, dieser europäische Indierock, der so schroff und dennoch ein wenig verträumt klang. Ich drehte die Musikanlage auf und tanzte im Pyjama durch mein Teenagerzimmer, das ich mir im Keller meines Elternhauses hatte einrichten dürfen. «Honey I love you, like the summer falls, and the winter crawls, you’re above and beyond me», schrie ich mit. Nur die dicken Steinwände müssen verhindert haben, dass sich jemand in der Nachbarschaft beschwerte.

Zwölf Jahre später sitze ich Björn Dixgård, Carl-Johan Fogelklou und Jens Siverstedt, mittlerweile alle Mitte dreissig, in Zürich gegenüber. Zusammen mit Daniel Haglund und Patrik Heikinpieti bilden sie die Mando-Diao-Formation 2017. Mitte Mai haben sie ihr achtes Album «Good Times» veröffentlicht, das erste, das ohne den zweiten Frontman der Band, Gustaf Norén, entstand. Ja, viel ist passiert in den zwölf Jahren. Während Mando Diao fast im Zweijahrestakt ein neues Album veröffentlichten und spätestens mit der Platte «Give Me Fire!» die grossen Hallen füllten, wurde ich älter. Ich zog aus meinem Teeniezimmer aus und tanzte fortan durch meine eigene, nicht ganz so schalldichte Mietwohnung. Ich bin erwachsen geworden – was sich unter anderem darin zeigt, dass ich heute entspannt dem schönen Björn gegenübersitzen kann, ohne verlegen zu kichern.

«Wisst ihr eigentlich, dass ich mit euch aufgewachsen bin?», frage ich. «Euer Song ‹Ochrasy› hat mir über meinen ersten heftigen Herzschmerz hinweggeholfen.» «Wow, das ist schön zu hören», sagt Fogelklou. «Ich habe ganz ehrlich noch nie darüber nachgedacht, dass wir Leute dabei begleitet haben, erwachsen zu werden. Danke, dass du uns ausgewählt hast.» Dixgård lächelt und bedankt sich ebenfalls. Genau deshalb würden sie Musik machen. «Man darf über solche Dinge aber nicht weiter nachdenken, sonst wird man ganz verrückt. Wir sehen uns selbst nicht in einer Heldenrolle.»

Damals aber waren die Jungs meine Helden. Umso irritierter war ich deshalb, als ich mit 19 Jahren an einem Mando-Diao-Konzert in Zürich von einem Publikum umringt war, das sich nicht mit meinen Erwartungen deckte. Neben mir standen Teenager – in erster Linie Frauen –, die vielleicht drei oder vier Jahre jünger waren als ich, denen ich mich aber um Jahre überlegen fühlte. «Die kennen die Band doch gar nicht», schnödete ich, und meine Freundin nickte eifrig. Wir nippten zickig an unserem Bier und lästerten, wenn die «Teenies» um uns herum kreischten, weil Mando Diao zu ihrem Hit «Gloria» ansetzten. Natürlich fand ich den Song auch toll, aber das gab ich nicht zu. «Gloria» war mehr Pop und weniger Rock, ausserdem lief das Lied ununterbrochen im Radio, genauso wie der zweite Hit «Dance with Somebody», von dem eine Schulkollegin nach ihren Ibiza-Ferien dauernd schwärmte. Sie war ganz begeistert, ich völlig verwirrt: Ibiza, Teenies, Radiopop – waren das noch meine Mando Diao?

«Ich habe nie verstanden, warum Leute Bands nicht mehr mögen, sobald sie erfolgreich sind, das macht für mich keinen Sinn», erwidert Fogelklou. «Das ist doch traurig. Es ist nicht unsere Schuld, wenn die Leute uns mögen.» Heute gebe ich ihm recht – aber damals verstand ich nicht, wie aus meiner geliebten Indierockband plötzlich Hitparadenmaterial werden konnte. Dazu kam, dass mich der Sound nicht mehr gleich berührte wie mit 15 Jahren. Genau so wie ich langsam den schwarzen Eyeliner auf meinen unteren Augenlidern reduzierte, drosselte ich auch meine Zuneigung zu Mando Diao. Ich liess los.

Als die Band mit «Aelita» ihr siebtes Album veröffentlichte, war ich 24 Jahre alt. Ich hatte schon im Vorfeld gehört, dass die Platte musikalisch in eine ganz andere Richtung geht. «Aelita», so hiess nicht nur das Album, sondern auch der russische Vintage-Synthesizer, den die Jungs zum sechsten Bandmitglied machten. Ich sah eine Onlinesession aus Berlin, in der die Band in einem weissen, futuristisch anmutenden Raum in engen Shirts und unter bunten Discolichtern seltsam herumtänzelte. Head-Mics, Glitzerarmbänder, weisse Trainerhosen, nie schienen die seligen Zeiten von verwegenen Lederjacken, Rock-am-Ring-Bühnen und vor Leidenschaft verschwitzten T-Shirts weiter entfernt. Ich weigerte mich, das Album zu kaufen, und zog mich trotzig zurück. «Wahrscheinlich bin ich zu alt für diesen Sound», sagte ich mir und sah mich bestätigt in meiner Theorie, dass der Hitparadenerfolg irgendwann den Rock’n’Roll einer jeden Band zerstört.

«Wie dir erging es vielen», sagt Dixgård. Es habe zwar auch Fans gegeben, die «Aelita» liebten, aber eben auch einige, die die Platte nicht verstanden. Aber so sei das nun mal, wenn man ein Risiko eingehe. Ein wenig theatralisch fügt er an: «Lieber würde ich sterben, als nicht mehr neue Sachen auszuprobieren. Und – auch auf die Gefahr hin, wieder Leute zu erschrecken – der alte ‹Aelita›-Synthesizer kommt auch auf unserem neuen Album zum Einsatz.» Vor dem Interview mit der Band hörte ich mir «Aelita» noch einmal an. Und auch wenn ich noch immer kein Fan dieser Synthesizerwolke bin, muss ich heute zugeben, dass der Sound eigentlich gar nicht so schlecht ist. Er ist einfach anders. Und für anders hatte ich damals mit meiner arroganten Mittzwanziger-Attitüde keine Geduld. Nicht mal mehr die alten Platten hörte ich mir an. Als mir bei meinem letzten Umzug das orange Cover von «Hurricane Bar» in die Hände fiel, steckte ich es schnell weg. Ich war noch nicht bereit.

Als mein annabelle-Kollege mich fragte, ob ich Mando Diao interviewen möchte, guckte ich ihn deshalb erst einmal erschrocken an. Ich plapperte wirr über verliebte Teeniezeiten, weisse Trainingsanzüge und verlorene Rockerseelen. So richtig zugeben wollte ich nicht, dass mein Herz – noch immer – für die Band schlägt. Insgeheim. «Ich kann das schon machen», sagte ich und versuchte cool zu wirken. Auf dem Nachhauseweg stöpselte ich mir dann gespannt die Kopfhörer in die Ohren und hörte mir «Good Times» an. «All the wars we fought, all the love we lost, it won’t break us», singt Dixgård als Auftakt der Platte. Da sind nur seine Stimme und ein paar Pianoklänge, bevor die Gitarren wuchtig dazustossen. Ich war gerührt.

«Good Times» ist nicht der Versuch von Mando Diao, die alten Zeiten wieder aufzuwärmen. Die Platte ist eine Mischung aus all dem, was die Band musikalisch auf ihrem Weg durchlebt hat. Nein, sie klingen nicht wie die Band von damals. Das liegt auch daran, dass Gustaf Norén die Band 2015 verliess, um sich eigenen Projekten zu widmen. «Wie es scheint, war er der Teenager, der die Familie verlassen musste», fasst Fogelklou zusammen. Es sei eine harte Trennung gewesen, sagt Dixgard. Aber wenn jemand gehen möchte, dann halte man ihn nicht auf. «Das hat auch etwas mit Würde zu tun, denke ich», ergänzt Siverstedt, der als Ersatz für Norén zur Band stiess.

Norén ging und mit ihm die weissen Jogginganzüge und die wirren Inszenierungen der Band. Ich aber kehrte zu Mando Diao zurück – und das auch dank «Good Times». Es sei das ehrlichste Album, das sie je aufgenommen hätten, sagt Fogelklou. Jede verdammte Note komme von Herzen.

Das ist natürlich Pathos. Und wenn ich ehrlich bin, hat dieses Pathos heute nicht mehr die gleiche Wirkung auf mich wie vor zwölf Jahren. Aber ich mag «Good Times», es ist ein schönes Album, es ist wieder mehr Rock und Funk und weniger Disco – und man kann dazu richtig gut im Pyjama übers Bett hüpfen. Klar, an «Hurricane Bar» kommt es nicht heran. Aber das ist okay. Es ist anders. Ich bin anders. Und das ist gut so. 

Gewinnen Sie!

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