Kultur
Das Dschungelkind – Im richtigen Film
- Text: Gaby Herzog; Fotos: Universal Pictures/Image.net, UFA Cinema
Sabine Kuegler amüsierte sich prächtig bei den Dreharbeiten zu ihrer Bestseller-Biografie «Dschungelkind» in Malaysias Regenwald und fühlte sich sofort wieder zuhause.
Sabine Kuegler ist im Regenwald aufgewachsen und hat darüber ein Buch geschrieben. Nun wird «Das Dschungelkind» verfilmt. Die Autorin hat die Crew in die Wildnis Malaysias begleitet – und sich gleich wieder wie zuhause gefühlt.
Heute hat sich noch kein Blutegel an Nadja Uhls Füssen festgesaugt, und das soll auch so bleiben. Die Schauspielerin sitzt mit einem Sicherheitsabstand zum Dschungeldickicht, aus dem fremde Laute und lautes Knacken zu hören sind, auf einer Lichtung unter dem blauen Vorzelt. Vor dem Kostümwagen dreht sich der Ventilator, Insektenspray und Cola sind in greifbarer Nähe. Bloss nicht zu viel bewegen, die Hitze ist lähmend.
Ein paar Meter weiter auf dem Stamm eines umgekippten Urwaldriesen sitzt Sabine Kuegler. Sie scheint von den hohen Temperaturen völlig unbeeindruckt – schliesslich war der Regenwald
viele Jahre ihr Zuhause. Im Urwald von Malaysia verfilmt die UFA Cinema ihr Bestsellerbuch «Dschungelkind». Die Autorin begleitet den Dreh als Beraterin, damit ihre Lebensgeschichte, die weltweit über 1.5 Millionen Mal verkauft wurde, im Film so authentisch wie möglich dargestellt wird. Die kleine Sabine wird von Stella Kunkat (10) gespielt, Nadja Uhl (38) ist Mutter Doris, Thomas Kretschmann (48) verkörpert Vater Klaus.
1980, im Alter von sieben Jahren, geht Sabine Kuegler mit ihren Eltern nach West-Papua. Der Vater, ein Missionar und Sprachforscher, soll dort den gerade erst entdeckten Stamm der Fayu erforschen. In den abgelegenen Wäldern ist das Leben noch fast wie vor 10 000 Jahren. In der Welt der Fayu gibt es kein Geld, keine Schrift. Die Krieger jagen mit Pfeil und Bogen, das Essen wird mit allen geteilt. Die einfache Kleidung wird aus Baumrinde und Fellen hergestellt, wichtige Nachrichten von einem Horchposten zum nächsten durch den Wald gerufen und so über viele Kilometer hinweg verbreitet. Ein ursprüngliches Leben.
Erst mit 17 verlässt Sabine Kuegler den Dschungel und kehrt zurück in die westliche Zivilisation. Steinzeit trifft Moderne. In der beschützenden Umgebung eines Schweizer Internats versucht die junge Frau, sich langsam in die neue Welt einzufühlen – ganz ankommen wird sie nie. Später, als eine Art Selbsttherapie, schreibt sie ihre Erinnerungen auf, die jetzt fürs Kino umgesetzt werden.
Bei den Dreharbeiten im Urwald verfällt die heute 37-Jährige in alte Gewohnheiten. Die deutschen TV-Stars und das Filmteam interessieren sie nur am Rande. Viel wichtiger sind die Eindrücke der Natur – die Tiere, die Pflanzen. Sabine hat die Sandalen ausgezogen und die Hosen hinaufgekrempelt, «um die Umgebung besser zu spüren». Im Gebüsch flirrt und zirpt es. «Das sind Grillen, gebraten sehr lecker», erklärt sie und gräbt die nackten Zehen in den Waldboden. Ein Tausendfüssler marschiert eilig über das Laub und versucht, sich in Sicherheit zu bringen. Seine Panik ist unbegründet, Tausendfüssler stehen nicht auf Sabines Speisezettel: «Zu zäh.»
Nicht nur die Nahrungsgewohnheiten seien beim Stamm der Fayu anders, erklärt das Dschungelkind und schaut mit wasserblauen Augen in die Runde. «Wenn man sich mag, nimmt man den Finger des anderen in den Mund und kaut darauf herum, ganz liebevoll.» Nadja Uhl schiebt ihre Hände unauffällig unter die Oberschenkel. Auch die drei kleinen, muskulösen Männer, die im Lendenschurz, mit Federgürtel und Knochenkette geschmückt, neben Sabine hocken, schauen verwundert. Sie gehören zu den 85 Laienschauspielern, die aus Papua eingeflogen wurden und die Ureinwohner verkörpern. Doch sie sind keine echten Dschungelkinder. Die meisten von ihnen leben in Städten, verdienen ihr Geld als Polizisten, Lehrer und Verkäufer. Robin Lavulu (50), der einen alten Krieger spielt, ist Uniprofessor. Für ihn und die anderen sind die alten Riten und Tänze Folklore, sie sprechen – im Gegensatz zu den Fayu – fliessend Englisch.
Dass in Malaysia und nicht im fernen Pazifik gedreht wird, hat nicht nur praktische Gründe. Die politische Situation in West-Papua ist angespannt, das Malaria-Risiko sehr hoch, und ausserdem ist der Dschungel dort viel niedriger und dunkler und deshalb für Dreharbeiten nicht attraktiv. So liess Regisseur Roland Suso Richter stattdessen, vier Autostunden von Kuala Lumpur entfernt, das Dorf der Fayu nachbauen. Auf einer Anhöhe im Nationalpark Taman Negara wurden einfache Pfahlhütten errichtet. Die Böden sind mit Palmmatten ausgelegt, von den Balken hängen Bananenstauden und ein Mobilé aus menschlichen Knochen. Bei den Fayu ist es üblich, die Gebeine der Ahnen im Haus aufzubewahren.
Doch auch wenn die Knochen am Set aus der Requisitenkiste kommen, ist der Light-Dschungel für das Filmteam ein Abenteuer. Morgens, wenn die Sonne noch niedrig steht und der Frühnebel träge aus dem Regenwald steigt, werden die Schauspieler und die Crew mit Langbooten vom Hotel abgeholt und den breiten, braunen Fluss hinauf zum Drehort gefahren. Nadja Uhl und Thomas Kretschmann sitzen noch verschlafen auf den schmalen Holzsitzen und tuckern vorbei am grünen Dickicht des eineinhalb Millionen Jahre alten Walds. Urwaldriesen ragen majestätisch in den Himmel, Nasenaffen schwingen sich durch die Wipfel, zwei Blauscheitelpapageien streiten sich lautstark um ein Weibchen.
Trotz Fahrtwind beginnen die Kleider am Körper zu kleben. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 80 Prozent. «Man darf hier wirklich nicht zimperlich sein», sagt Nadja Uhl und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. «Wir haben alle mehrere Kilo abgenommen. Doch nach einer Weile dominieren ganz andere Eindrücke: die Begegnung mit den Papua, die Ruhe und die gewaltigen Naturschauspiele.» Der Ruf der Wildnis hat nicht nur die Schauspieler erfasst. Filmkakadu Erich büchste schon in der ersten Drehwoche aus, und als vor einigen Tagen ein wilder schwarzer Panther durch den Set streifte, suchten die Wildschweinfrischlinge, die ebenfalls als Statisten eingesetzt werden sollten, das Weite.
Umbaupause. In der nächsten Szene, in der Nadja Uhl als Doris zum Fluss eilt, um Sabine zu suchen, soll ein Lagerfeuer vor der Holzhütte brennen. Die Dekorateure schütten Säcke mit Räucherstäbchen auf einen Haufen, zünden sie an, und schon bald dampft es und riecht im ganzen Wald kitschig süss nach Mottenpulver und Asia-Supermarkt. Sabine Kuegler studiert derweil mit den Papua die alten Kriegstänze der Fayu ein. Sie stampft auf den Boden, wirft die Arme in die Höhe, dreht sich ekstatisch im Kreis.
Zwischendurch trinkt sie lauwarmes Gras-Jelly – ein Getränk mit glibberigen Geleestückchen, das nach Kokosnuss und Erde mit sehr viel Zucker schmeckt. Ein Exportschlager wird das vermutlich nicht. Aber es scheint Energie zu geben.
Sabine Kuegler, die als Einzige am Drehort immer noch nicht schwitzt, eilt weiter zu den Maskenbildnerinnen. Denen erklärt sie, dass der graue Schlamm aus dem Fluss viel besser zur Bemalung tauge als die teure Schminke aus den mitgebrachten Tuben und Tiegelchen. Interessant, aber die Papua schütteln nur die Köpfe. Das Zeug stinkt, erklärt Robin Lavulu. Der Schlamm hält dafür auch die Mücken ab, wirft Sabine ein. Die Schauspieler lächeln höflich, nichts zu machen.
Viele Jahre nachdem sie den Dschungel der Fayu verlassen hat, fühlt sich Sabine Kuegler immer noch oft wie eine Aussenseiterin in der westlichen Welt. Sie lebt mit ihren vier Kindern, einem platonischen Freund und dessen Mutter in der Nähe von Freising (Bayern). Häufig kommen Freunde zu Besuch, die Sabine während ihrer Reisen durch die Welt kennen gelernt hat, erkunden das beschauliche Örtchen und bleiben oft viele Wochen. Die bunte Multikulti-WG ist im Dorftratsch immer ein Topthema.
«Ich musste so vieles lernen», sagt Sabine Kuegler. Als junge Frau hatte sie panische Angst vor Autos, wusste nicht, wie man Zug fährt, und war überfordert vom reichhaltigen Angebot im Supermarkt. Auch Telefonieren war für sie ein Graus – ist es nicht gefährlich, mit jemandem zu sprechen, dem man nicht in die Augen sehen kann? «Obwohl ich mir viel Mühe gebe, so zu sein wie alle anderen, ecke ich dennoch an», sagt sie. «In Deutschland und der Schweiz wird grosser Wert auf Individualität gelegt. Ich dagegen bin eher ein Herdentier. Ich bin es gewohnt, alles zu teilen. Distanz zu Menschen, die ich mag, ist mir fremd.» Früher sei sie ganz selbstverständlich ohne Einladung ins Haus der Nachbarn marschiert und habe es sich dort auf dem Sofa bequem gemacht.
Bis heute ist Sabine Kuegler «das Dschungelkind» geblieben – darauf legt sie Wert, und das soll auch jeder wissen. Als es gegen Mittag zu regnen beginnt und alle anderen sich ins Trockene retten, stellt sie sich demonstrativ mit ausgebreiteten Armen auf die Lichtung. Ein Ritual aus Kindertagen, wenn nach langer Hitze endlich der Regen Abkühlung brachte. «Das ist wunderbar erfrischend», ruft sie. Nadja Uhl verzieht sich unter das Vordach. Da sitzt auch Robin Lavulu, der ein rotes T-Shirt übergezogen hat. Er drückt den Knopf am Ventilator – Maximum Power.
Ab 17. 2.: «Dschungelkind» von Roland Suso Richter. Mit Stella Kunkat, Nadja Uhl und Thomas Kretschmann
1.
Sina Tkotsch spielt die jugendliche Sabine Kuegler, Nadja Uhl ihre Mutter und Sven Gielnik ihren jugendlichen Bruder (v. l.)
2.
Das nachgebaute Fayu-Dorf in Malaysia
3.
Die Schauspieler machen sich mit dem Kanufahren vertraut: Thomas Kretschmann, Nadja Uhl, Milena Tscharntke, Stella Kunkat und Tom Hossbach (v. l.)
4.
Filmstill: Die Missionarsfamilie trifft auf die eingeborenen Fayu
5.
Hochproduktiv: Der deutsche Filmregisseur Roland Suso Richter
6.
Hitze, Blutegel und Mücken plagen die Schauspieler auf dem Set: Thomas Kretschmann und Sina Tkotsch
7.
«Action!» im Urwald: Die Crew am Drehen