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Doku «The Scent of Fear»: Wieso wir für Angst dankbar sein sollten
- Text: Vanja Kadic
- Bild: ican films gmbh
In ihrem neuen Dokumentarfilm «The Scent of Fear» thematisiert Mirjam von Arx Angst. Im Gespräch erklärt die Schweizer Regisseurin, warum die Emotion ein Glücksfall ist.
Warum haben wir eigentlich Angst vor der Angst? Im Dokumentarfilm «The Scent of Fear» porträtiert die Schweizer Regisseurin Mirjam von Arx Menschen rund um den Globus und ihre Beziehung zu Angst. So begleitet der Film etwa Extrem-Bergsteigerin Evelyne Binsack, die sich allein in die Arktis aufmacht, eine Gruppe Phobiker, die sich ihrer Angst vor Spinnen stellt, oder einen jungen Koreaner, der in einem Seminar lernt, wie man glücklich stirbt. Experten und Expertinnen erklären im Film, wie Angst funktioniert – und welchen Effekt sie auf uns hat.
annabelle: Angst ist ein unangenehmes Thema, das man eigentlich lieber meidet. Warum haben Sie ausgerechnet darüber einen Film gedreht?
Mirjam von Arx: Gerade weil man sich dem Thema auf den ersten Blick verschliesst und das Gefühl hat, es sei etwas Negatives, finde ich es spannend. Was mich fasziniert hat, ist die Angst vor der Angst. Das war auch der Auslöser: Als ich anfing, mich mit dem Thema zu beschäftigen, sprachen alle über Terror-Attacken. Diese waren plötzlich sehr nah, in Paris, Brüssel, Nizza oder London. Ich bin damals gerade zum zweiten Mal Mutter geworden und merkte, dass ich ein gesteigertes Bedürfnis nach Sicherheit entwickelte. Gleichzeitig bekam ich von aussen das Gefühl, dass alles ins Wanken kommt und wir plötzlich in extrem gefährlichen Zeiten leben. Ich merkte, dass mich dieses Unbehagen stresst und wollte verstehen, wie Angst überhaupt funktioniert.
Die Geburt Ihres Kindes war bei Ihrer Auseinandersetzung mit der Angst also ein Schlüsselmoment?
Ja. Ich glaube es geht vielen Eltern so, dass man mit einem Kind ein grosses Sicherheitsbedürfnis hat. Man fragt sich, in was für eine Welt die eigenen Kinder geboren werden, wie sie sicher aufwachsen können und wie man sie beschützen kann. Diese Fragen stellt man sich viel häufiger, wenn man plötzlich für eine andere Person verantwortlich ist, die total von einem abhängig ist.
«The Scent of Fear» beginnt mit dem Zitat der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood: «Fear has a smell, as love does». Warum dieses Zitat?
Ich wollte dem Zuschauer mit dem Film auf keinen Fall noch mehr Angst machen. Im Gegenteil. Ich wollte die Angst als etwas Feinstoffliches begreifen, als Teil von uns. Ich wollte einen sinnlichen, emotionalen Zugang finden, der es einem erlaubt, anders an das Thema heranzugehen. Das Quote von Margaret Atwood fand ich deshalb extrem schön, denn darum geht es doch: Angst ist etwas Individuelles, und sie verändert sich auch, manchmal riecht sie gut, manchmal stinkt sie. Ich fand es eine schöne Metapher für Angst und wollte in der Tonalität diese Sinnlichkeit aufnehmen.
Die Corona-Krise hat sich auf das Angstempfinden vieler Menschen ausgewirkt. Inwiefern hat die Pandemie den Film beeinflusst?
Es ist ironisch: Am Anfang des Films standen die Terroranschläge, kurz vor Schluss kam die Pandemie. Für mich war klar, dass sie im Film stattfinden muss, doch ich wollte ihn auch nicht stark umstrukturieren oder mich darauf fokussieren. Ich habe den Film etwas angepasst, um der neuen Stimmung gerecht zu werden. Die Aussagen der Expertinnen und Experten im Film beziehen sich auf verschiedene Ängste – man kann sie aber auch auf Covid beziehen.
Zum Beispiel?
Peter Schneider (Anm. d. Red.: Psychoanalytiker) sagt zum Beispiel, dass «Angstmacherei» immer eine Frage der eigenen Position ist. Sowohl bei uns als auch in anderen Ländern wird diskutiert, ob wir überreagieren oder ob die Corona-Massnahmen sinnvoll sind. Laut Peter Schneider kommt es immer darauf an, welche Position man einnimmt: Wenn man findet, dass es Sinn macht, eine Maske anzuziehen, empfindet man das nicht als Angstmacherei, sondern als gesunden Menschenverstand. Wir lassen uns gern in dem bestätigen, was wir ohnehin schon denken, und hören gern die Meinungen, die sich eh schon mit unseren eigenen decken.
Hat der Film Ihre Beziehung zu Angst verändert?
Ich bin gelassener geworden. Mir hat es sehr geholfen, zu verstehen, was überhaupt im Kopf passiert. Warum wir in gewissen Situationen instinktiv reagieren. Und es hilft, nur schon zu versuchen, aktiv das Gute festzuhalten. Egal ob ich den Briefkasten leere, Radio höre oder den TV anschalte: Wir werden nonstop mit schlechten News oder Aufrufen zur Vorsicht bombardiert. Sogar wenn ich ein Konsumentenmagazin lese, bekomme ich das Gefühl, ich werde überall nur verarscht, weil es zum Beispiel zu wenig Zahnpasta in der Tube hat. Ich glaube, in diesem Klima ist es wichtig, dass man sehr bewusst immer wieder auch die schönen Momente wahrnehmen und setzen lassen sollte – damit auch die sich einprägen können.
Sie sagen: «The Scent of Fear» ist ein Plädoyer für die Angst. Warum?
Mir war das nie so bewusst, aber die Angst ist mein Lebensretter. Hätte ich keine Angst, wäre ich schon längst tot. Es geht darum, der Angst ein Kränzchen zu winden – als eine der Emotionen, die uns das Überleben ermöglicht. Schlimm wird es dann, wenn die Angst krankhaft wird, oder man das Gefühl hat, sie übermannt einen. Das hat mich immer fasziniert. Das zeigte sich etwa bei meinem Projekt über Base-Jumping (Anm. d. Red.: Film «Freifall»).
Inwiefern?
Extrem-Sportler sind nicht angstfrei. Sie sagten mir alle: Wenn ich an der Kante stehe und keine Angst habe, dann nehme ich meinen Schirm und gehe zu Fuss runter – weil ich dann nicht in der richtigen Verfassung zum Springen bin. Es braucht einen gesunden Respekt, damit man eine Situation richtig einschätzen kann. Wenn man anfängt, die Angst von dieser Seite zu betrachten, spürt man auch die Dankbarkeit, dass man die Emotion hat, die uns ja im richtigen Moment immer wieder auch warnt. Im Alltag gibt es viele Momente, die wir nicht bewusst wahrnehmen und in denen der Körper einfach reagiert. Es ist ein unglaublicher Glücksfall, dass wir so eine Emotion haben.
Im Film heisst es: «Vielleicht ist es an der Zeit, Angst nicht mehr als äusseren Feind zu betrachten, den es zu besiegen gilt, sondern sie anzunehmen.» Das ist gar nicht so einfach.
Es kommt drauf an. Ich bewundere Evelyne Binsack genauso wie die Phobiker, die im Seminar mehr über Spinnen lernten, damit sie anders mit ihrer Angst umgehen können. Jeder Einzelne von den Seminarteilnehmern liess am Schluss eine Vogelspinne über die Hand laufen – und die meisten fanden es sogar cool. Wenn man versucht, mehr über das zu erfahren, was einem Angst macht, dann ist man schon mal auf einem guten Weg.
«The Scent of Fear» ist ab dem 20. Mai im Kino zu sehen
Mirjam von Arx studierte Journalismus und schrieb während fast zweier Jahrzehnte für verschiedene Magazine. 1991 zog sie nach New York und drehte ihre ersten Filme als Regisseurin. 2002 gründete sie ihre eigenen Produktionsfirma Ican Films, für die sie mehrere preisgekrönte Kinodokumentarfilme produzierte, unter anderem «Virgin Tales» (2012) oder «Freifall – Eine Liebesgeschichte» (2014).