Literatur & Musik
Diese Bücher müssen Sie im Oktober lesen
- Text: Miriam Suter; Redaktion: Verena Lugert; Foto: Unsplash / Aga Putra
Jeden Monat stellt die annabelle-Kulturredaktion die besten Bücher und Bildbände für Sie zusammen. Lassen Sie sich inspirieren!
Im Oktober verkriechen wir uns gerne mit einer Tasse Tee aufs Sofa und versinken den ganzen Abend in unserem neuen Lieblingsbuch. Diesen Monat emfpehlen wir Ihnen die atemberaubende Biografie der ältesten noch praktizierenden Kosmetikerin der Welt, einen opulenten Bildband des berühmten Transgenderpaars Eva und Adele, einen fintenreichen Roman über das einfache Leben und eine Fortsetzung eines Weltbestsellers.
Wir wünschen Ihnen viele erholsame Stunden und viel Freude beim Lesen!
1.
Gerta Stern ist 101 Jahre alt. Sie ist die älteste noch praktizierende Kosmetikerin der Welt, eine gepflegte panamaische Grande Dame, ein Wiener Mädel, das wunderschön Franz Léhars «Dein ist mein ganzes Herz» singen kann, ein Wiener It-Girl der Dreissigerjahre, eine Schauspielerin und eine Spielerfrau, denn sie war mit Profifussballer Moses Stern verheiratet. Señora Gerta ist eine Jüdin aus dem Wiener Grossbürgertum. Ende der Dreissigerjahre floh sie mit ihrem Mann ausgerechnet nach Deutschland, denn vom Hamburger Hafen aus gingen die Schiffe nach Südafrika, wohin sich das Paar retten wollte. Doch Moses wurde verhaftet und ins KZ verschleppt. Und Gerta befreite ihn mit einer List. Die Journalistin und Filmemacherin Anne Siegel hat das Jahrhundertleben aufgezeichnet – und Gerta ein Geschenk gemacht: Sie spürte den anonymen Helfer aus Hamburg auf, der dem jungen Paar damals dabei half, eine Schiffspassage nach Panama zu organisieren. Eine atemberaubende Biografie!
– Anne Siegel: Señora Gerta. Wie eine Wiener Jüdin auf der Flucht nach Panama die Nazis austrickste. Europa-Verlag, München 2016, 224 Seiten, ca. 28 Franken
2.
Seit mehr als 25 Jahren schlendern Eva & Adele im rosa Zwillingslook durch den Kunstbetrieb, posieren für Smartphones, geben Autogramme, erzählen, sie kämen aus einer hermaphroditischen Zukunft – und das Publikum feiert die immer gleiche Performance begeistert wie am ersten Tag. Wie kann das sein? Pünktlich zur Pariser Retrospektive des berühmten Transgenderpaars widmet sich jetzt ein opulenter Bildband dem Phänomen ihres Erfolgs. Ein überraschend vielschichtiges Porträt über zwei, die seit je auf den Voyeurismus der Menschen und die virale Kraft der Bilder setzen, um ihre Utopie eines Lebens abseits von Identitätszwängen und Geschlechtergrenzen in die Welt zu tragen. Cool.
– Eva & Adele: You Are My Biggest Inspiration. Hirmer-Verlag, München 2016, 168 Seiten, ca. 52 Franken; Ausstellung: Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, 30. 9. bis 26. 2. 17, mam.paris.fr
3.
Es ist der Traum vom einfachen Leben, der den Ich-Erzähler in ein altes Haus am Waldrand treibt. Allein will er leben, von selbst gezogenem Gemüse, er sucht Sinn und Ruhe und Frieden. Stattdessen beissen ihn erst die Wasserratten im See, dann bringt ihn seine Pollenallergie um den Verstand. Und schliesslich wird er von den «rechten Idioten» des Dorfs verprügelt. Zuflucht findet er bei den Mitgliedern eines anthroposophischen Selbstversorgerkollektivs. Der Konflikt mit dem Dorf scheint vorgezeichnet zu sein. Fintenreicher Roman zum Rechtsruck.
– Bastian Asdonk: Mitten im Land. Verlag Kein & Aber, Zürich 2016, 224 Seiten, ca. 24 Franken
4.
Der Favorit von annabelle-Kulturredaktorin Claudia Senn
Gregory David Roberts, der Schöpfer des Weltbestsellers «Shantaram», war Bankräuber, Söldner und Slumdoktor – und ist mit Sicherheit eine der schillerndsten Figuren der Literaturszene. Unvergesslich ist mir das Interview, das ich 2010 mit ihm führte. Der narbenübersäte Ex-Kriminelle empfing mich mit vollendeter Höflichkeit in einer Sofalandschaft in Eierschalenfarbe, kaute Astronautennahrung und hielt Brandreden gegen den Kapitalismus. Gleich nach dem Gespräch zog er sich in den australischen Busch zurück, um an der Fortsetzung seines Indien-Epos zu schreiben – die nun, sechs Jahre später, endlich erscheint. Inzwischen ist Roberts völlig abgetaucht. Er gibt keine Interviews mehr, tritt nirgendwo öffentlich auf, hat weder E-Mail-Adresse noch Telefonnummer noch eine Social-Media-Präsenz und fordert seine Fans auf, das Internet von den Spuren seiner Existenz zu säubern. Seinen Mythos wird dies nur noch mehr befeuern.
– Gregory David Roberts: Im Schatten des Berges. Goldmann-Verlag, München 2016, 992 Seiten, ca. 39 Franken, ab 17. Oktober im Handel
5.
Die Zürcher Autorin und Journalistin Yvonne Eisenring tauschte für ihr Projekt «Ein Jahr für die Liebe» Sicherheit gegen Freiheit: Sie kündigte ihren Job und machte sich auf die Suche nach der Liebe, rund um die Welt, 50 Dates, 12 Länder, ein Jahr lang. Ihre Erfahrungen hat sie in ihrem ersten Buch niedergeschrieben – und schaffte es damit auf die Schweizer Bestsellerliste. annabelle-Autor Sven Broder hat die 29-Jährige zum Interview getroffen.
– Yvonne Eisenring: Ein Jahr für die Liebe, Orell Füssli Verlag, 224 Seiten, ca. 20 Franken
6.
«Das Nest» nennen die vier Plumb-Kinder den 2-Millionen-Fonds, der von ihrem Vater für sie angelegt worden ist und gemäss Vermächtnis endlich bereit zur Ernte ist. Melody (40) wäre die hohen Kreditzahlungen für ihr Haus los. Jack (44) hat heimlich eine Hypothek auf das Sommerhaus seines Ehemanns aufgenommen und wartet händeringend aufs Nest, sonst sind Ehe und Haus futsch. Bea (43) hat einen irrwitzigen Vorschuss auf ihren ersten Roman bekommen – allerdings vor zehn Jahren, und der Verlag will einen Teil zurück. Bloss Leo (46) scheint das Nest nicht nötig zu haben, er hat mit dem Internet sein Vermögen gemacht. Und bringt dann doch mit der Hilfe der Mutter die zwei Millionen des Fonds durch – und die Geschwister um ihr Geld. Ein wunderbarer Familienroman, tragisch, komisch und herrlich menschlich.
– Cynthia d’Aprix Sweeney: Das Nest. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2016, 418 Seiten, ca. 27 Franken
7.
Francis Plug, Autor, Gärtner, Kauz, plant ein Handbuch für kommende Schriftsteller. Es soll Hilfestellung bieten beim Meistern öffentlicher Auftritte. Plug taucht dafür an jeder Autorenlesung auf – von Hilary Mantel bis Salman Rushdie –, um die Schriftsteller zu hören und mit Fragen zu nerven. Eigentlich eine prima Idee – stünde sich Plug nicht selbst immer so grandios im Weg. Brillante Satire auf den gravitätischen Literaturbetrieb.
– Paul Ewen: Francis Plugs Handbuch für Autoren. Manhattan-Verlag, München 2016, 352 S., ca. 28 Fr.
8.
Olaf Breuning hat schon viel ausprobiert: absurde Horror-Trash-Szenarien für das Kunstkino, Kaktus-Skulpturen aus handgedrehten Kerzen, alltagspsychologische Bilderwitze oder dilettantische Malerei auf dem Körper guter Freunde. Klar kann man bei derart ungebremster Kreativität den Überblick verlieren – gäbe es The Best of Breuning jetzt nicht im Überblick. Der Bildband versammelt die wichtigsten und lustigsten Arbeiten des in New York lebenden Schweizers.
– Alain Bieber (Hrsg.): Olaf Breuning. Gestalten-Verlag, Berlin 2016, 224 S., ca. 50 Fr.