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Die Doku «Chaylla» thematisiert häusliche Gewalt – und ist unfassbar gut

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Die Doku «Chaylla» thematisiert häusliche Gewalt – und ist unfassbar gut

Der französische Dokumentarfilm «Chaylla» beleuchtet, wie komplex das Thema häusliche Gewalt ist. Wir haben mit Regisseurin Clara Teper gesprochen.

Inhaltshinweis: Gewalt

 

Das Human Rights Film Festival Zurich hat nach dem Kosmos-Konkurs im Zürcher Kino Riffraff ein neues Zuhause gefunden: Die erste Ausgabe im Riffraff findet am 12. April statt. Gezeigt werden zwei Dokumentarfilme. Einer davon ist «Chaylla» von Clara Teper und Paul Pirritano.

Der Film begleitet eine junge Französin, die versucht, sich aus einer von Gewalt geprägten Beziehung zu kämpfen: Als William seiner Frau Chaylla die Nase bricht, steht ihr kleiner Sohn daneben. Im Spital sagt sie, sie sei von einem Garderobenständer getroffen worden. Chaylla ist zerrissen und versucht, sich zwischen dem Rechtsstreit mit ihrem Partner, der Hoffnung auf ein heiles Familienleben und dem zerbrochenen Glauben an die Liebe endlich aus der Gewaltspirale zu befreien.

Ein starker, einfühlsamer Film

Die Doku zeigt eindrücklich auf, wie komplex das Thema häusliche Gewalt ist – und macht auf sensible Art bewusst, wie schwierig es für Opfer sein kann, sich aus einer missbräuchlichen Beziehung zu lösen. Clara Teper und Paul Pirritano gelang mit «Chaylla» ein starker, einfühlsamer Film über ein wichtiges Thema, der zum Nachdenken anregt – und noch lange nachhallt. Wir haben mit Co-Regisseurin Clara Teper über ihre Doku gesprochen.

annabelle: Wie war die erste Begegnung mit Chaylla?
Clara Teper: Als mein Co-Regisseur Paul Pirritano und ich Chaylla zum ersten Mal trafen, rauchten wir mit einer Gruppe von Frauen aus dem Frauenhaus eine Zigarette und unterhielten uns. Sie kam dazu und machte eine witzige Bemerkung, woraufhin alle einen Lachanfall kriegten. In den darauffolgenden Tagen sahen wir sie wieder – und zwischen uns entstand schnell eine Art Verbindung.

Was hat Sie motiviert, diesen Film zu machen?
Wir wollten ursprünglich einen Film in der Bergbauregion im französischen Nord-Pas-de-Calais drehen, da wir beide von der Rolle der Frauen in diesem Gebiet fasziniert waren und sie kennenlernen wollten. Deshalb setzten wir uns mit dem Zentrum für Unterkunft und soziale Wiedereingliederung «Accueil 9 de Coeur» in Lens in Verbindung und besuchten das Heim über mehrere Monate. Wir tauschten uns mit den Frauen, die dort lebten, aus, die sich alle in schwierigen Situationen befanden – in der Regel wegen häuslicher Gewalt. Wir wollten eigentlich das Leben von drei Frauen während ihrer Zeit im Zentrum zeigen. Doch die Komplexität der Geschichten, die wir hörten, brachte uns dazu, uns auf eine einzelne intimere Geschichte zu fokussieren, – weshalb wir uns auf Chayllas Weg konzentrierten. Diese Entscheidung ist auch das Ergebnis unserer Begegnung mit ihr.

Was hat Sie davon überzeugt, sich nur auf Chayllas Geschichte zu fokussieren?
Wir verliebten uns sofort in ihre jungenhaften Züge und ganz allgemein in ihre Ausstrahlung. Wir waren beeindruckt von ihrem feurigen und zugleich zarten Auftreten und sprachen mit ihr über ihre Teenagerjahre, ihre Pflegefamilien oder die Zeit, als sie William, den Vater ihrer Kinder, kennenlernte. Trotz ihrer schwierigen Geschichte hatte sie eine einzigartige Art, in der Gegenwart zu bleiben und der Welt mit Trotz und einer frechen Art zu begegnen. Sie verkörperte die Kraft des Lebenswillens, wenn man mit der Härte der Realität konfrontiert wird.

Was war die grösste Herausforderung an diesem Projekt?
Wir wollten einen leichten, sonnigen Film machen, der die Geschichte einer Emanzipation erzählt, – aber wir hatten darüber natürlich keine Kontrolle. Wir hofften, dass Chaylla eine Wende gelingen würde und sie aus dieser gewalttätigen Situation herauskommen würde. In erster Linie wollten wir die Geschichte einer Frau erzählen, die versucht, aus einer Rolle auszubrechen, die ihr auferlegt wurde. Und die Geschichte eines Kampfs. Diese Geschichte kam schliesslich durch den juristischen Kampf zustande, den Chaylla mit einer Klage wegen des erlittenen Missbrauchs führte. Ein Kampf, der eng mit ihrer persönlichen Entwicklung verwoben war.

Gab es etwas, das Sie im Prozess überrascht hat?
Zum einen Chayllas Leichtigkeit im Umgang mit der Kamera. Sie hat sich sehr schnell an unsere Anwesenheit gewöhnt, was einer der Gründe dafür ist, dass wir eine so enge Beziehung zu ihr aufbauen konnten. Zum anderen ist das Leben an sich immer wieder überraschend, – vor allem, wenn man vier Jahre lang dreht. Wir waren keine Spezialist:innen für das Thema häusliche Gewalt und entdeckten die damit verbundenen Mechanismen erst im Laufe der Dreharbeiten.

Inwiefern?
Wir haben uns in einem sich ständig weiterentwickelnden Prozess Gedanken darüber gemacht, was der Film aussagen soll. Als wir Chaylla im Frauenhaus trafen, beteuerte sie, dass sie über William hinweg sei und sich ein neues Leben aufbauen wolle. Damals dachten wir, dass wir eine eher lineare Entwicklung hin zu emotionaler Unabhängigkeit und finanzieller Selbstständigkeit zeigen würden. Aber einige Monate später versöhnte sie sich mit ihm und wurde wieder schwanger. Das verlangte von uns, die Erzählung neu zu gestalten und ständig neue Entscheidungen zu treffen.

Als Zuschauerin ertappte ich mich dabei, frustriert und wütend zu sein, wenn Chaylla es zum wiederholten Mal nicht schafft, ihren Mann zu verlassen, obwohl er sie missbraucht. Dabei ist bekannt, dass Frauen im Schnitt sieben Anläufe brauchen, um sich von ihrem gewalttätigen Partner zu trennen. Haben Sie selbst bei sich gemerkt, dass Sie Vorurteile gegenüber der Thematik haben?
Natürlich! Und leider haben wir alle Vorurteile. Während der Dreharbeiten trafen wir zu Beginn vor allem Sozialarbeiter:innen, die diese Situationen kennen und mit möglichst wenig Vorurteilen arbeiten sollen. Dann waren wir vor allem bei den Menschen in Chayllas Umfeld, die sie unterstützen, etwa ihre Freundin und ihre Schwiegermutter. Auch sie haben Gewalt erfahren. Letztlich haben wir vor allem von diesen Menschen gelernt. Aber wir wollten das Thema häusliche Gewalt angehen, ohne Chayllas Entscheidungen zu verurteilen. Das hat es uns sicher ermöglicht, ein echtes Vertrauensverhältnis zwischen uns dreien aufzubauen.

Und wie sieht es beim Publikum aus?
Nach vielen Vorführungen des Films sind wir in den Kinos am häufigsten auf Vorurteile gestossen. Es gibt manchmal Zuschauer:innen, die nicht ganz verstehen, warum Chaylla William nicht früher verlassen hat und vor allem, warum sie mehrmals zu ihm zurückgekehrt ist. Zum Glück sind diese Reaktionen in der Minderheit. Das Gegenteil wäre ein Misserfolg für den Film.

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«Besonders getroffen hat uns die Erkenntnis, wie schrecklich mächtig psychischer Missbrauch sein kann, vielleicht noch mehr als physische Gewalt»

Sie beleuchten in «Chaylla» Aspekte wie Schuldumkehr, die emotionale oder finanzielle Abhängigkeit von Opfern und den Gewaltzyklus, der sich über mehrere Generationen zieht. Was haben Sie durch den Film über das Thema häusliche Gewalt gelernt?
Vor den Dreharbeiten waren wir uns beide der Problematik der sozialen Reproduktion, der wirtschaftlichen und emotionalen Abhängigkeiten bewusst. Was wir gelernt haben, ist vielleicht eher eine menschliche als eine analytische oder wissenschaftliche Sichtweise: Besonders getroffen hat uns die Erkenntnis, wie schrecklich mächtig psychischer Missbrauch sein kann, vielleicht noch mehr als physische Gewalt. Wir erkannten durch die Erfahrung einer einzelnen Geschichte, wie komplex die Prozesse von missbräuchlicher Kontrolle sind und wie jeder Schritt immer wieder einen neuen Kampf mit sich bringt.

Wie meinen Sie?
Der Anwalt, den Chaylla im Film kennenlernt, erzählte uns zum Beispiel, dass Chaylla als Einzige von den 13 Frauen, die er als Opfer häuslicher Gewalt empfing und die bereits eine erste Anzeige bei der Polizei erstattet hatten, bis zum Ende des Prozesses ging. Alle anderen Frauen hatten während des Prozesses aufgegeben, – aus Angst oder aus dem Gefühl heraus, verlassen oder missverstanden zu werden.

Wie war es für Sie, Chaylla während dieses sehr schwierigen und emotional herausfordernden Prozesses, ihren Partner zu verlassen, mit der Kamera zu begleiten? War es schwierig für Sie, Distanz zu wahren?
Ja, es war schwierig, weil man immer glaubt, dass man das Leben der Menschen beeinflussen kann. Auch wenn sie es nicht wollen. Es war, zumindest am Anfang, eine ständige Aufgabe, sich daran zu erinnern, dass wir als Regiesseur:innen da waren und nicht als Sozialarbeiter:innen oder Psycholog:innen. Es stand nie zur Debatte, dass wir diese Grenze überschreiten. Wir haben Chaylla aber auch oft getroffen, ohne sie zu filmen, vor allem in den Momenten, in denen es ihr nicht gut ging. In diesen Momenten waren wir als Freund:innen da, die einen geliebten Menschen begleiten, nicht als Regie. Ich denke, es war vor allem eine Frage des Vertrauens. Und darüber haben wir auch gesprochen: Als Chaylla zum Beispiel das erste Mal wieder mit William zusammenkam, schämte sie sich. Wir mussten ihr klarmachen, dass wir sie nicht verurteilen und ihre Geschichte mit allen Höhen und Tiefen erzählen wollten. Und dass wir sie nicht in eine Rolle pressen, sie nicht zur Verkörperung der misshandelten Frau oder zum Aushängeschild im Kampf gegen häusliche Gewalt machen wollten.

Wissen Sie, wie es Chaylla heute geht und ob sie ihren Partner verlassen konnte?
Ja, wir haben noch immer regelmässigen Kontakt mit ihr. Wir sind glücklich, denn obwohl viele Dinge nach wie vor schwierig sind, geht es Chaylla heute gut. Zu William hat sie überhaupt keinen Kontakt mehr, ausser, wenn es in Bezug auf die Kinder etwas zu klären gibt. Sie machte letztes Jahr eine sehr schmerzhafte Zeit durch, als ihre Schwiegermutter, der sie sehr nahe stand, nach einer schweren Krankheit plötzlich starb. Aber es geht ihr besser, sie hat von sich aus beschlossen, wieder in einem Heim zu leben, um bei ihren psychologischen und administrativen Verfahren begleitet zu werden. Und sie hat einen neuen Partner, mit dem es sehr gut läuft.

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Wie hat sie auf den Film reagiert?
Als Chaylla den Film sah, war sie zunächst sehr bewegt. Eine ihrer ersten spontanen Reaktionen war sehr stark: Sie sprach über die Szene, in der sie sagt, dass sie bereit wäre, unter den Schlägen ihres Lebensgefährten zu sterben. «Aber ich war damals wirklich verrückt, wie konnte ich nur so denken? Wie konnte ich sagen und denken, dass ich bereit war, für diesen schlechten Typen zu sterben?» Sie ist sehr stolz auf den Film und ich glaube, er hat ihr ein neues Bewusstsein gegeben und ihr klar gemacht, wie weit sie gekommen ist.

Was wollen Sie mit «Chaylla» erreichen?
Wir können nur hoffen, dass der Film bewusst macht, was eine Person in einer Situation missbräuchlicher Kontrolle erleben kann. Und dass er uns dazu bringt, unsere Urteile zu diesem Thema zu überdenken. Wir hoffen auch, dass Chayllas Geschichte Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, dazu ermutigt, zu erkennen, dass sie nicht allein sind. Dass ihnen geholfen werden kann und dass sie aus der Situation herauskommen können. Dafür ist aber noch viel Arbeit seitens der Politik und Institutionen nötig, was Prävention, Aufklärung und Schutz angeht.

«Chaylla» wird am 12. April im Riffraff in Zürich gezeigt. Im anschliessenden Podiumsgespräch diskutieren die Filmemacher:innen Clara Teper und Paul Pirritano mit Rozë Berisha (Verantwortliche Beratung bei Brava) über das Thema häusliche Gewalt und den Umgang mit Betroffenen. Mehr Infos findet ihr hier.

Mehr Informationen und Hilfsangebote zum Thema psychische und physische Gewalt findet ihr hier:

Opferhilfe Schweiz

143 – Die Dargebotene Hand

BIF – Beratungsstelle für Frauen 

Frauenhäuser in der Schweiz

Männerhäuser in der Deutschschweiz und in Genf

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Hedi

Noch heute leugnet meine Mutter die jahrelangen Gewalttaten meines Vaters. Wäre er nicht abgehauen (Kein Geld mehr zu holen), weiss ich nicht ob Sie/wir noch Leben würde. Als er vor Jahren Kontakt aufnehmen wollte (was mit einer Drohung einer Anzeige verhindert werden konnte), meinte sie nur, dass sie ihn noch heute liebe. Zum Glück ist er vor ein paar Jahren einsam verstorben.