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Deshalb ist das Erotik-Drama «365 Days» problematisch
- Text: Vanja Kadic
- Bild: Next Film, Netflix
Der Netflix-Film «365 Days» wird weltweit als frauenverachtend kritisiert. Nun fordert die Juso, dass das Erotik-Drama von der Plattform verschwindet. Ist der Streifen tatsächlich so problematisch? Redaktorin Vanja Kadic liefert die Kritik zum kontroversen Film.
Das Erotik-Drama «365 Days» wird im Netz heiss diskutiert. Seit Wochen belegt der Film die vorderen Plätze der Top-Ten-Liste der Streaming Plattform Netflix. Schauen wollte ich den «50 Shades of Grey»-Abklatsch aus Polen trotzdem nicht: Die paar Szenen, die ich bislang gesehen habe, und die Kritiken, die ich gelesen habe, reichten mir vollkommen aus. Dann schaltete sich die JUSO Schweiz ein und forderte, dass der Film von Netflix gelöscht wird. Der Grund: «365 Days» verharmlose Stalking und sexuelle Gewalt gegen Frauen. Auch die britische Organisation Pro Empower forderte, dass der Film von Netflix verschwindet. Voll übertrieben oder ein berechtigter Aufschrei? Ugh, ich musste es selbst herausfinden.
Die Story ist schnell erzählt: Der sizilianische Mafioso Massimo Torricelli (Michele Morrone), reich und gut aussehend, sucht fünf Jahre lang nach der Polin Laura Biel (Anna Maria Sieklucka). Denn: Sie war das Letzte, was er sah, als sein Vater erschossen wurde. Er findet sie in einem Ferienresort in Italien, wo er sie betäubt und kidnappt (!). Als Laura auf Massimos Anwesen vor einem riesigen Gemälde aufwacht, auf dem sie abgebildet ist, eröffnet er ihr seinen Plan: Sie habe 365 Tage Zeit, sich in ihn zu verlieben. «Du wirst mich lieben wollen», sagt er ihr entschieden. Als Zuschauer denkt man da bereits: Ja eh! Ist ja nicht so, als hätte sie einen eigenen Willen!
Noch nie etwas von Consent gehört
Aber fangen wir vorne an. Der Film, der mehr schlechter Soft-Porno als Drama ist, beginnt bereits mit einer expliziten Szene, die mich anekelt. Massimo hat im Privat-Jet aggressiven Oral-Verkehr mit einer Stewardess, wobei nicht ganz klar ist, ob diese das überhaupt möchte. Der Streifen etabliert Massimo damit sogleich als den klischierten Typ Mann, der sich nimmt, was er will. Oder anders formuliert: Als schmierigen Dude, der noch nie etwas von Consent gehört hat – und sich auch nicht darum kümmert.
Ein Beispiel: Massimo sagt Laura, dass er sie nicht anfassen werde, wenn sie es nicht wolle. Er sagt dies, während er ihr an die Brust grapscht – und nachdem er sie unter Betäubungsmittel gesetzt und entführt hat. «Ich werde warten, bis du mich willst», sagt Massimo. Die Möglichkeit, dass sie das eventuell nicht möchte, existiert gar nicht. Während des Films fasst er sie immer wieder gegen ihren Willen an. Er missbraucht sie emotional, behandelt sie wie sein Eigentum und verhält sich körperlich immer wieder grob ihr gegenüber. Lauras Widerstand gegen ihren Entführer wird im Film derweil als lustig dargestellt. Als sie gegen ihren Willen in einen Privat-Jet getragen wird und sich mit Händen und Füssen wehrt, meint Massimo mit einem Augenzwinkern zu seinem Handlanger: «Sie ist ganz schön temperamentvoll.»
Lauras Widerstand legt sich aber bereits am zweiten Tag ihrer Gefangenschaft, nachdem Massimo ausgiebig mit ihr shoppen geht. Weil Frauen sich mit Kleidern kaufen lassen – klar, oder? Und dann ist es auch plötzlich nicht mehr creepy und beängstigend, dass er sie gegen ihren Willen gefangen hält? Ich bin ratlos. Um Laura zu beweisen, «was sie verpasst», fesselt Massimo sie vor einem riesigen Gemälde von sich mit einem Löwen auf dem Bett. Auch in dieser Szene wehrt sie sich. Mit BDSM hat das Ganze herzlich wenig zu tun. «In diesem Moment habe ich Zugang zu jedem Teil deines Körpers», sagt er zur gefesselten Laura, bevor er sich vor ihren Augen von einer anderen Frau oral befriedigen lässt.
Weltweit wollen sich Frauen entführen lassen
Eine weitere Szene, die die Problematik von «365 Days» offenlegt: Massimo und Laura gehen in einen Club. Sie trägt ein Minikleid – er rastet aus. «Was trägst du?», faucht er sie an. «Provozier mich nicht!» Als ein Typ sie später im Club belästigt, erschiesst er diesen kurzerhand. Und sagt Laura danach: «Wenn du dich nicht wie eine Hure angezogen hättest, hätte ich das nicht tun müssen.» Schon mal was von Victim Blaming gehört?
Das alles hindert Laura nicht daran, Massimo zu verfallen. Nach wenigen Tagen haben die beiden einvernehmlichen Sex auf seiner Jacht. Zum Schluss des Films «verloben» sich Massimo und Laura. Verlobung heisst in diesem Fall, dass er ihr den Verlobungsring an den Finger steckt, während sie schläft – denn auch hier spielt ihre Zustimmung (natürlich!) keine Rolle.
Für mich ist «365 Days» die Geschichte einer Frau, die am Stockholm-Syndrom leidet. Wieder zurück zuhause in Polen eröffnet Laura ihrer besten Freundin, dass sie sich in Massimo verliebt hat. Er sei ein Alpha-Mann, der sie verteidigt und sein Körper sei «von den Göttern geformt». «Wenn ich bei ihm bin, gibt er mir das Gefühl, ein kleines Mädchen zu sein», schwärmt sie. Unzählige Zuschauerinnen von «365 Days» würden gern mit Laura tauschen. Weltweit schreiben Frauen bei Social Media, dass sie sich vom Mafioso entführen lassen wollen. Ich frage mich, wie es wäre, wenn der Typ kein Geld hätte, nicht gut aussehen würde und Laura in ein Kellerloch statt in einen Palazzo entführt hätte, die Storyline aber gleich bleiben würde. Es wäre kein Erotik-Drama, sondern ein Horror-Film.
Nicht nur ekelhaft, sondern beängstigend
«365 Days» ist ein frauenverachtender Film, der sexualisierte Gewalt und übergriffige Handlungen romantisiert. Massimos Missbrauch von Laura wird als sexy Dominanzverhalten dargestellt. Die Botschaft des Films lautet: Das Nein einer Frau ist nichts wert. Wenn eine Frau zehn Mal Nein sagt, hör nicht auf sie – irgendwann wird sie Ja sagen, wenn du nur hartnäckig genug bist. Das finde ich nicht nur ekelhaft, sondern auch beängstigend. Geschrieben hat die Geschichte übrigens zu meiner Überraschung eine Frau: Der Film basiert auf dem ersten Roman einer Trilogie der polnischen Autorin Blanka Lipinska, die sich an der «50 Shades of Grey»-Reihe orientierte. Verfilmt wurde das Buch von Barbara Białowąs und Tomasz Mandes. Die Fortsetzung ist bereits in Planung.