Popkultur
Das neue Doppelalbum ist da: Wann zur Hölle schläft Taylor Swift?
- Text: Charlotte Theile
- Bild: Universal Music
Superstar Taylor Swift hat am Freitag gleich zwei neue Alben veröffentlicht – und damit die ganze Welt überrascht. Autorin und Swiftie Charlotte Theile hat in «The Tortured Poets Department» und «The Anthology» reingehört.
Jetzt ist es also endlich da. Das Album, auf das alle gewartet haben.
Seit Taylor Swift am 6. Februar angekündigt hat, dass sie – während ihrer ausverkauften «Eras»-Tour – noch mal eben ein neues Album geschrieben hat, Name: «The Tortured Poets Department», wartete gefühlt die halbe Welt auf diesen 19. April, an dem es, Punkt Mitternacht, Eastern Standard Time, herauskommen sollte. Und das tat es dann auch.
Tragisch – und super sauber produziert
Schwarz-weisse Ästhetik, retro, tragisch und super sauber produziert, vom Sound her irgendwo zwischen dem melancholischen Indie-Pop, den Swift im Lockdown für sich entdeckt hatte, und dem Synthesizer-Groove, den man von ihrem Produzenten Jack Antonoff kennt. Dazu Texte, die an ihre frühesten Erfolge anknüpfen – sich also an vielen Stellen so intim anfühlen, als würde man in einem Tagebuch blättern.
Einige davon klingen verträumt und verwunschen, andere hauen so rein, dass jedem sofort klar ist, worum es geht. (Mehr zu den einzelnen Songs später.)
Heisst also: Taylor Swift at her best.
Kurz nach Mitternacht (beziehungsweise am frühen Freitagmorgen, Schweizer Zeit) publizieren «Rolling Stone» und viele andere gut informierte Musikredaktionen euphorische Besprechungen der 16 neuen Songs.
Für die Fans, die erwartet hatten, dass auf diesem Album vor allem der Schauspieler Joe Alwyn, mit dem Swift von 2017 bis 2023 zusammen war, besprochen und zerrissen werden sollte, wird dann klar: Es geht meist um jemand anderen.
Etwa eine Handvoll Songs, und vor allem die, die besonders viele juicy details verraten, dürften von Matty Healy handeln, Leadsänger der britischen Indie-Band 1975, den Swift im Frühjahr 2023, nach der Trennung von Alwyn, einige Wochen lang datete. Healy und Swift kennen sich seit 2014 – in «Fresh Out The Slammer» geht es um einen Rebound-Boy, dem der erste Anruf nach einer langen Zeit gegolten habe.
In «The Smallest Man Who Ever Lived» wird Healys «Jehovas Witness Suit» beschrieben, an anderer Stelle seine Tattoos, seine Zigaretten, seine Lieblingsband, The Blue Nile. An einer Stelle fragt sie sich, ob er vielleicht nur ein Spion war – oder während ihrer kurzen Beziehung Material für ein Buch gesammelt habe.
Alwyn dagegen ist «So Long, London» gewidmet, ein Break-up-Song, der nicht austeilt, sondern vor allem beschreibt, wie sich viele nach einer langen Beziehung fühlen: traurig, erschöpft, «pissed off you let me give you all of that youth for free». Und trotz all der «Tragedy» mit dem Wissen, dass es weitergeht, weitergehen muss. «You’ll find someone, I’ll find someone.»
«Auf Social Media überschlagen sich die Swifties»
Auf Social Media überschlagen sich die Swifties – zu denen ich, wie man zum Beispiel hier nachlesen kann, seit vielen Jahren auch gehöre, mit ungläubigen Posts.
«Wie kann es sein, dass wir seit Monaten auf ein Album über Joe Alwyn warten, und dann geht es um Matty-fucking-Healy?»
«O mein Gott, Taylor, du machst mich verrückt. Was noch, bitte, was noch?»
Nun, zwei Stunden später geht es erst richtig los.
Um zwei Uhr morgens veröffentlicht Swift, die seit Monaten mehr oder weniger verschlüsselte Hinweise auf die Zahl zwei fallen lässt, das nächste Album.
Gleich noch mal 15 Songs
Es heisst «The Tortured Poets Department: The Anthology» (zu Deutsch etwa: Der Sammelband) und ist gleich noch mal 15 Songs schwer. Und während die Fachwelt auf das erste Album vorbereitet war (und einige sogar schon ein paar Tage früher auf Leaks gestossen waren), erwischt das zweite Album alle wie ein Schock.
«Wir hören noch und melden uns später mit der Rezension», schrieb etwa der «Spiegel» auf Instagram, der «Rolling Stone», bei dem sich am Freitag alle meistgelesenen Texte mit Swifts neuen Alben beschäftigen, schrieb erst mal nur «Surprise!».
Ja, das kann man so sagen. Denn obwohl Swift als eine der produktivsten und effizientesten Musikerinnen der Welt gilt, lässt sich dieser Output irgendwie kaum fassen.
Swifts letztes Album, «Midnights», ist erst anderthalb Jahre alt. Seither hat sie nicht nur eine Welttour, sondern auch zwei Trennungen erlebt und ihren neuen Freund Travis Kelce eine ganze Football-Saison lang von den Zuschauerrängen aus begleitet.
«Diese Alben sind vor allem auch persönlich, weil sie zeigen, wie manisch Taylor Swift schreibt»
Wie sie es in dieser Zeit geschafft hat, 31 Songs zu schreiben? Wurden Aaron Dessner und Jack Antonoff, mit denen sie die Songs geschrieben und produziert hat, nach Brasilien und Japan eingeflogen? Haben die Hotels ihre Zimmer zu Musikstudios ausgebaut?
Und vor allem: Wann zur Hölle schläft Taylor Swift? Wann geht sie duschen, wann putzt sie sich die Zähne, wann hat sie Zeit, zu bemerken, dass ihr Ex vergessen hat, seinen Standort zu deaktivieren – und sie deshalb sehen kann, dass er wieder mal in der Bar «The Black Dog» in London ist, nur dieses Mal ohne sie?
Klar ist: Diese Alben sind nicht nur deshalb persönlich, weil darin Zeilen vorkommen wie diese hier (die vermutlich von Travis Kelce handelt):
Truth, dare, spin bottles
You know how to ball, I know Aristotle
Brand new, full throttle
Touch me while your bros play Grand Theft Auto
It’s true, swear, scouts honor
You knew what you wanted, and, boy, you got her
(Aus: «So High School»)
Sie sind vor allem auch persönlich, weil sie zeigen, wie manisch Taylor Swift schreibt. Ihre Emotionen werden zu Gedichten, dann zu Liedern, es scheint ihr Weg zu sein, mit all dem umzugehen, was sie umgibt. Dem unglaublichen Ruhm, den Medien, den Männern, dem Älter-Werden – und (auch das ein sich wiederholendes Thema auf den beiden Alben), so mein Eindruck, der Traurigkeit darüber, dass es bisher nicht geklappt hat, jemanden zum Heiraten und Kinder-Bekommen zu finden.
Sie so zu hören, ist manchmal wirklich sehr traurig, wie zum Beispiel im Song «The Prophecy»:
Please
I’ve been on my knees
Change the prophecy
Don’t want money
Just someone who wants my company
Let it once be me
Who do I have to speak to
About if they can redo the prophecy?
Manchmal aber auch sehr unterhaltsam, etwa in «But Daddy, I love him» (sowieso ein guter Song):
Now I’m running with my dress unbuttoned
Scrеamin’, «But, daddy, I love him»
I’m having his baby
No, I’m not, but you should see your faces
So weit mein erster Eindruck von den zwei Stunden Musik, mit denen Taylor Swift an diesem Freitagmorgen ähnlich viele Erdbeben ausgelöst haben dürfte wie zuletzt im Sommer mit ihrer «Eras»-Tour.
Auch wenn ich noch viel Zeit damit verbringen werde, versteckte Anspielungen in den Texten zu verstehen, Refrains mitzusingen und Parallelen zu früheren Alben zu entdecken, weiss ich schon jetzt: Das «Tortured Poets Departement», bei dem ich erst ein bisschen Sorge hatte, es könnte eine etwas unreife Abrechnung mit ihrem Langzeit-Freund Joe Alwyn werden, hat das Zeug dazu, eines meiner Lieblingsalben zu werden.
Es zeigt Taylor Swifts Stärke als Songwriterin, erzählt unzählige Geschichten und macht einfach Spass. Und natürlich hoffe ich, dass es einige der Songs in das Set der «Eras»-Tour schaffen werden. Schliesslich habe ich Karten für den Juli, wenn Swift in Zürich spielt.
Der Most-Taylor-Swift-Song-Ever
Übrigens: Auch die Tour hat einen eigenen Song auf «The Tortured Poets Departement» bekommen. Er heisst: «I Can Do It With a Broken Heart» und wird bereits als der Most-Taylor-Swift-Song-Ever gehandelt. Einer der wenigen echten Party-Banger auf diesem Album, witzig, ehrlich, herzzerreissend.
’Cause I’m a real tough kid
I can handle my shit
They said, «Babe, you gotta fake it till you make it»
and I did
Lights, camera, bitch, smile
Even when you wanna die
He said he’d love me all his life
But that life was too short
Breaking down, I hit the floor
All the piеces of me shatterеd as the crowd was chanting «more»
I was grinnin’ like I’m winnin’
I was hitting my marks
’Cause I can do it with a broken heart (One, two, three)
I’m so depressed, I act like it’s my birthday, every day
I’m so obsessed with him, but he avoids me, like the plague
I cry a lot, but I am so productive, it’s an art
You know you’re good when you can even do it with a broken heart
Man könnte das schon als eine Art Zusammenfassung lesen – wenn es nicht noch ein Outro gäbe, auf dem Taylor Swift selbst die Meta-Analyse von all dem liefert. Die Musik dreht sich immer schneller, ihre Stimme kippt leicht ins Manische, sie lacht (auch das ein bisschen irre), «cause I’m miserable», und fügt dann ironisch an: «Try and come for my job.» Zu Deutsch etwa: Versucht mal, meinen Job zu machen.