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Darstellerinnen aus «The Seed of the Sacred Fig»: «Ob das Publikum eine Ahnung hatte, was wir alles durchmachten?»
- Text: Mariam Schaghaghi
- Bild: Trigon-Film
Setareh Maleki und Mahsa Rostami spielen im Film «The Seed of the Sacred Fig», der im Iran unter strengster Geheimhaltung gedreht wurde. Im Gespräch mit unserer Autorin Mariam Schaghaghi erinnern sie an die «Frau, Leben, Freiheit»-Proteste in ihrem Heimatland, das Trauma und die ungebrochene Hoffnung, dass ihr Kampf sich auszahlen wird.
Inhaltshinweis: Gewalt
Wie weit geht man für die Freiheit? Voller Staunen beobachteten wir im Herbst 2022, wie die «Frau, Leben, Freiheit»-Bewegung den Iran erschütterte und bewunderten den Mut vor allem junger Frauen, die auf der Strasse demonstrierten, ihre Kopftücher abrissen und unbewaffnet gegen die Staatsgewalt kämpften. Und wir lernten, dass solche Frauen im Iran «Shir Zan» genannt werden: Löwenfrauen.
Der Film «The Seed of the Sacred Fig» von Mohammad Rasoulof ist eine zornige und unverblümte Abrechnung mit dem Unrechtsregime der Mullahs: Eine Geschichte, wie eine Familie durch Lügen und Unrecht zerbricht, mit authentischen Bildern der erschütternden Proteste, die vom Tod der jungen Mahsa Amini ausgelöst worden waren.
Der geheim im Iran gedrehte Film hat so viel Wirkkraft, dass nicht nur Regisseur Rasoulof, sondern auch seine zwei jungen Hauptdarstellerinnen Setareh Maleki und Mahsa Rostami aus dem Land fliehen mussten. Gleichzeitig ist der Film so gross, dass er seine Weltpremiere im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes feierte, seitdem weltweit im Preisregen steht und, als deutsche Produktion, sogar für Deutschland ins Oscar-Rennen geht.
Auf dem Filmfest in Hamburg traf annabelle die beiden iranischen Schauspielerinnen Setareh Maleki und Mahsa Rostami zum Gespräch.
annabelle: Setareh, Mahsa, woher wussten Sie von dem Undercover-Projekt, dass in Teheran ein hochkarätiger, regimekritischer Film gedreht werden soll?
Setareh Maleki: Mich hatte ein lieber Kollege angerufen, ob mich ein wichtiges Projekt reizen könnte. Ich sagte: «Nein, danke. Ich drehe keinen Film, der eine staatliche Drehgenehmigung hat und mich zwingt, ein Kopftuch zu tragen. Ich bin nur zu haben, wenn der Dreh inoffiziell stattfindet.»
Setareh Maleki, Schauspielerin («The Seed of the Sacred Fig»)«Rasoulof ist der Einzige, der den Mut für solch ein riskantes Projekt hat»
Sie sind also eine dieser mutigen Löwenfrauen, für die Iran bekannt geworden ist!
Setareh: Na klar! Diese Entscheidung stand für mich seit Mahsa Aminis Tod fest und war unumstösslich. Ich habe auch schnell vermutet, dass Rasoulof hinter dieser ominösen Anfrage stand, weil er der Einzige ist, der den Mut für solch ein riskantes Projekt hat. Ihn selbst habe ich erst nach den Testaufnahmen getroffen, als er mir das Drehbuch gab – und ab da konnte ich es kaum erwarten, dass der Dreh beginnt.
Mahsa, wie erfuhren Sie von diesem geheimen Projekt?
Mahsa Rostami: Ich war eine der letzten, die zu dem Team stiess. Alle Hauptrollen standen fest, nur nicht die der älteren Schwester. Eine Kandidatin war wohl aus Angst abgesprungen. Aber auch für mich stand nach der Mahsa-Revolution fest: Ich werde nie für etwas arbeiten, was dem Staat in die Hände spielt, was den Mullahs gefällt und von ihnen abgesegnet ist. Rasoulof hatte mein Bild in einem Underground-Theater gesehen, zum Casting lud mich aber jemand anderes ein. Ich verlangte, den Namen des Regisseurs zu erfahren. Wenn ich solch ein Risiko eingehe, dann möchte ich wissen, vor wessen Kamera ich stehe und für wen ich den Kopf hinhalte.
Rasoulof übt in seinen Filmen immer scharfe Kritik am Mullah-Regime – für «Doch das Böse gibt es nicht» gewann er den Goldenen Bären. War auch Ihnen, Setareh, bewusst, dass Sie sich in Gefahr begeben?
Setareh: Ja, ja! Und trotzdem habe ich die Minuten bis zum Drehstart gezählt. Vor etwa einem Jahr ging es dann los.
Haben Sie beide aktiv an der «Frau, Leben, Freiheit»-Bewegung teilgenommen?
Mahsa: Ja. Jede Demo war so gefährlich, dass du nicht wusstest, ob du wieder nach Hause kommst.
Setareh: Auf uns wurden einige Male Waffen gerichtet, wir wurden verprügelt und verletzt, Mahsa besonders stark. Aber wir liessen uns nicht stoppen. Wir gingen weiter auf die Strasse und leisteten Widerstand.
Was stiess Ihnen zu, Mahsa, als Sie verletzt wurden?
Mahsa: Ich zog mit Freund:innen los, wie immer ohne Handys, in unauffälliger Kleidung. Das war Usus geworden, daran hielt sich jede:r … Ein Handy kann zu viel über dich verraten und dir noch grössere Probleme machen. Ich war auch allein in Teheran, meine Familie lebt weit entfernt in der Provinz. Wir zogen also los, und … (schluckt schwer).
Mahsa Rostami, Schauspielerin («The Seed of the Sacred Fig»)«Ich erinnere mich an ihre Schreie: ‹Hör auf, sie stirbt!› Er lachte nur und schlug wieder zu»
Sie wirken noch sehr angegriffen, obwohl das über zwei Jahre her ist.
Mahsa: Mir fällt es immer noch schwer, darüber zu sprechen, ja. Das Trauma ist noch vorhanden. Wie bei vielen. Aber ich möchte es erzählen.
Bitte erzählen Sie.
Mahsa: Ich wurde plötzlich von Gummigeschossen getroffen; unter der Brust, an der Seite, am Rücken. Gleichzeitig schlug jemand von hinten heftig mit einem Schlagstock auf mich ein. Ich fiel, rappelte mich auf, bekam wieder ein Geschoss ab, stürzte wieder. Meine Freund:innen stürmten auf den Schläger ein. Ich erinnere mich an ihre Schreie: «Hör auf, sie stirbt!» Er lachte nur und schlug wieder zu. Bis meine Freund:innen mich ihm entrissen und retten konnten. Sie brachten mich zu Bekannten in der Nähe. Ich war so schlimm dran, dass ich zwei Wochen nicht aus dem Bett aufstehen konnte.
Dennoch haben Sie weiter ungebrochen Widerstand geleistet und das Kopftuch verweigert?
Setareh: Ja, wir machten weiter. Denn andere haben im Kampf für unsere Freiheit ihr Leben gelassen. Familien haben ihre Kinder verloren, viele kamen ins Gefängnis – ich dachte, was immer ich tue, ist doch nichts im Vergleich dazu. Wenn ich zögerte, ob ich meiner Familie zuliebe nicht so forsch sein soll, dachte ich: «Mein Blut hat doch keine andere Farbe als das der anderen. Wenn ich einen Schritt beitragen kann, muss ich es tun. Wozu bin ich sonst auf dieser Welt?»
Mahsa Rostami, Schauspielerin («The Seed of the Sacred Fig»)«Das ‹Gelingen› bedeutete: Ich verlasse meine Heimat und meine Eltern, vielleicht für immer»
Der Film von Rasoulof war also ein weiterer Akt Ihres politischen Widerstands, Ihres Ungehorsams gegenüber der Islamischen Republik. Wie hat man sich den Dreh vorzustellen? Sie durften ja nicht auffallen.
Setareh: Erstmal war Rasoulof nie am Set selbst. Falls man ihn beim Drehen schnappen sollte, wollte er uns in Sicherheit wissen. Er war immer in der Nähe versteckt und war per Telefon mit seinen Assistenten verbunden. Natürlich war das seltsam. Ich scherzte mal, dass es aussähe, als würden wir Regisseure entführen, als Rasoulof im Kofferraum eines Wagens unter einer Decke lag, mit seinem Monitor, damit niemand auf der Strasse mitkriegt, dass wir einen Film drehen.
Mahsa: Wir standen jede Sekunde unter Stress. Merkt die Miliz was, überfällt sie uns, schleppt sie uns ins Gefängnis? Die grösste Angst war, dass wir verhaftet werden, bevor alle Szenen im Kasten sind. Dann wäre all unsere Mühe umsonst gewesen. Auch nachts machten wir kein Auge zu. Jede Nacht dachte ich, heute ist es so weit, heute Nacht holen sie uns.
Zeitgleich mit dem Drehende erhielt Rasoulof ein Hafturteil: Er wurde für seine Social-Media-Aktivitäten und weitere «Propaganda gegen den Staat» zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Er floh innert 24 Stunden. Und Sie?
Mahsa: Zeitgleich hatte sich die Nachricht vom Film rumgesprochen. Misagh Zareh und Soheila Golestani, die unsere Eltern spielen, wurden verhört. Ihnen nahm man auch gleich ihre Pässe ab, um sie an einer Ausreise zu hindern. Ich war darauf gefasst, dass mir mein Pass auch abgenommen wird und buchte ein Ticket, mit einer Freundin zusammen; wir taten so, als würden wir für eine Woche in die Ferien fliegen. Ich kann noch immer nicht fassen, dass das gelang – und wie schwer es dennoch war. Denn das «Gelingen» bedeutete gleichzeitig: Ich verlasse meine Heimat und meine Eltern, vielleicht für immer.
Wussten Sie von Rasoulofs Flucht über die grüne Grenze?
Setareh: Nein. Aber ich hörte, dass unser Film nach Cannes gehen soll, ab da machte ich mir grösste Sorgen. Irgendwann erreichte mich eine Nachricht, er sei an einem sicheren Ort.
Mahsa: Alle von uns flohen allein. Niemand hatte Ahnung davon, was die anderen vorhatten. Ich wusste auch nicht, dass Setareh geflohen war.
Setareh Maleki, Schauspielerin («The Seed of the Sacred Fig»)«Ich war schon seit jungen Jahren Aktivistin, aber jetzt war ich müde von all den Verhören, Telefonaten, Vorladungen. Ich wollte endlich leben»
Setareh, wie haben Sie es geschafft, nach Berlin zu kommen?
Setareh: Ich hatte das Glück, von Frankreich ein Talent-Visum für den Schengen-Raum zu besitzen. Aber mein Pass wurde konfisziert … (bricht ab, kämpft mit den Tränen). Ich hatte einen Flug in die Türkei gebucht, ich wollte nur mal schauen, ob ich am Flughafen durch die Kontrolle komme. Aber dort nahm man mir den Pass sofort ab: Ich hätte Ausreiseverbot und sei vors Revolutionsgericht geladen. Ich nahm dann den Weg über die Berge und die grüne Grenze.
Bei Rasoulof dauerte diese Flucht 28 beschwerliche Tage lang. War Ihre Flucht nur eine situative Notwendigkeit – oder war es eine lang überlegte, bewusste Entscheidung fürs Exil?
Setareh: Meine Entscheidung stand fest. Ich konnte nicht mehr. Ich wollte raus. Ich war ja schon immer Aktivistin gewesen, seit jungen Jahren. Die Islamische Republik und ich, das ging nie zusammen. Ich machte immer den Mund auf, widersetzte mich, war renitent. Aber jetzt war ich müde, von all den Verhören, Telefonaten, Vorladungen. Ich wollte endlich leben.
Ihr Ziel hiess erstmal: Freiheit. Wo landeten Sie?
Setareh: In einem Nachbarland Irans. Die französische Botschaft stellte mir einen Reisepass und ein Ticket nach Frankreich aus, weil wenig später der Film in Cannes lief. Ich reiste also nach Cannes.
Mahsa Rostami, Schauspielerin («The Seed of the Sacred Fig»)«Bei der Filmpremiere in Cannes verschmolzen Trauer und Freude»
Es ging direkt von der Fluchtroute auf den Roten Teppich?
Setareh: Ja, es war völlig surreal. Während der 15 Minuten Standing Ovations dachte ich daran, was ich alles erlebt hatte und wo ich jetzt stand. Ich fragte mich, ob das Publikum wohl eine Ahnung hatte, was wir alles durchgemacht hatten.
Was empfanden Sie, als Sie dort diesen lebensverändernden Film sahen?
Mahsa: Es war eine seltsame Mischung aus Erinnerungen, aus dem Bewusstsein, dass du deine Familie und dein Land verlassen hast und aus der Zukunftsangst, auch der Angst davor, wie es sich als Immigrantin leben wird. Gleichzeitig sieht man sich auf einer riesigen Leinwand und feiert Premiere auf dem wichtigsten Filmfestival der Welt. Da verschmelzen Trauer und Freude.
Wie und wo leben Sie heute?
Setareh: Wir leben beide in Berlin. Wir sind dauernd zusammen. Rasoulof hat ein Auge auf uns, er behandelt uns wie Töchter. Wir erfahren viel Unterstützung – und wir haben uns gegenseitig! Das ist fast so gut wie eine Familie. Wir können nur von Glück sprechen.
Mahsa: Das Einzige, was schwer ist, ist die Sehnsucht. So weit weg von der Heimat und seinen Lieben zu sein.
Setareh: Aber es wird jeden Tag etwas leichter, hoffen wir.
Setareh Maleki und Mahsa Rostami, Schauspielerinnen («The Seed of the Sacred Fig»)«Unsere Zukunft ist hell. Voller Freiheit. Prachtvoll»
Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft vor?
Mahsa: Hell. Voller Freiheit.
Setareh: Prachtvoll. Wir können so vieles zusammen schaffen. Mit der Arbeit wird es vorwärts gehen. Das Gute ist, dass Mahsa und ich nun eine Familie sind, wir halten zusammen, geben uns Kraft – und selbst wenn Angebote fehlen sollten, inszenieren wir uns eben gegenseitig und spielen für uns. Wir geniessen es, freiheitlich denken und handeln zu können. Der Anfang mag vielleicht etwas schwer sein, aber unsere Zukunft ist hell.
Fragen Sie sich manchmal: War es das alles wert? Ist Ihre Freiheit den Verlust der Heimat wert, von allem, was Sie kennen und was Ihnen vertraut ist, die Sehnsucht nach den Eltern und Freund:innen, die ungewisse Zukunft?
Setareh: Ja!
Mahsa: Unbedingt.
«The Seed of the Sacred Fig» ist aktuell in den Schweizer Kinos zu sehen.
Informationen und Hilfsangebote zum Thema Gewalt findest du hier:
BIF – Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft
Für Männer, die Gewalt gegenüber ihre:r Partner:in einsetzen und/oder sich in einer sonstigen Konflikt- und Krisensituation befinden, bietet das Mannebüro Beratungen an.
Danke für das Interview mit den mutigen Perserinnen. Der Film ist absolut sehens- und empfehlenswert!