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«Close to You»: Warum ihr euch den neuen Film von Elliot Page ansehen solltet

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«Close to You»: Warum ihr euch den neuen Film von Elliot Page ansehen solltet

In seinem Kino-Comeback «Close to You» spielt Elliot Page einen trans Mann, der zum ersten Mal nach seiner Transition seine Familie wiedersieht. Warum sich der Film lohnt.

Fast fünf Jahre ist es her, seit Sam, der in seinen Dreissigern ist, zuletzt bei seiner Familie im kanadischen Cobourg zu Besuch war. Er lebt in Toronto, in einem WG-Zimmer mit einer Freundin. Zum Geburtstag seines Vaters fährt Sam nach Jahren der Funkstille zurück in die Heimat – und weiss, dass das Wochenende nicht einfach wird: Sam ist trans und zog von zu Hause weg, weil er Abstand brauchte. Obwohl seine Familie ihn akzeptiert, wie er ist, weiss er, dass unangenehme Fragen zu seiner Transition und seiner Transidentität warten.

Darum gehts im neuen Film von Elliot Page («Juno»), dem wohl berühmtesten trans Schauspieler Hollywoods. Der Kanadier schrieb «Close to You» gemeinsam mit dem Regisseur Dominic Savage und feiert damit sein Comeback auf die grosse Kinoleinwand seit seinem letzten Film «Flatliners» im Jahr 2017.

«Nichts als eine Enttäuschung»

Entstanden ist ein feinfühliger Spielfilm, der viel Platz für Zwischentöne lässt. «Close to You» gibt Einblick, wie komplex, schwierig und gleichzeitig liebevoll die Beziehung innerhalb einer Familie sein kann. Und welchen Hürden queere oder trans Menschen im Umgang mit der Kernfamilie ausgesetzt sein können. «Ich weiss, dass ich nichts als eine Enttäuschung für sie bin», sagt Sam vor seiner Reise zu seiner Mitbewohnerin. Sie würden zwar akzeptieren, dass er trans sei. «Aber tun sie es wirklich? Ich weiss nicht, was sie ihren Freund:innen über mich sagen.»

«Close to You» ist nicht die Geschichte über Pages eigenes Leben, aber es gibt Überschneidungen. Der Schauspieler outete sich 2014 als queer, im Dezember 2020 schliesslich als trans Mann. In seiner Biografie «Pageboy», die letztes Jahr erschien und das Buch des Jahres der «New York Times» war, beschrieb der 37-Jährige offen die Geschlechtsdysphorie, an der er sein Leben lang litt. Und den Missbrauch, den er erst als Frau und später als queere und trans Person erlebte – in Hollywood und privat. Page erzählte in seinem Buch von Selbsthass und dem quälenden Versteckspiel, mit dem er sich gesellschaftlichen Normen zu fügen versuchte.

Der Grossteil des Dialogs ist improvisiert

Geschlechtsdysphorie und Selbsthass kennt auch Sam. Doch während trans Personen in Film und Fernsehen oft schablonenartig nur als tragische, unglückliche oder übersexualisierte Figuren dargestellt werden, nimmt Sam in «Close to You» eine andere Perspektive ein. Sams Geschichte ist facettenreich – er ist eine vielschichtige Figur, die auf eine schwierige Vergangenheit zurückblickt, sich davon allein aber nicht definieren lässt. Gefilmt im Stil eines Dokumentarfilms erzählt «Close to You» – der Grossteil des Dialogs im Film ist übrigens improvisiert – sanft und unaufgeregt die Geschichte eines trans Menschen, ohne dabei in die Klischeekiste zu greifen.

Und auch Sams Familienmitglieder sind spannend geschriebene Figuren, die nah am echten Leben wirken. So freuen sich zwar alle, Sam wiederzusehen – und doch fühlt sich die Freude nach so langer Funkstille ein bisschen zu überbordend und schliesslich fast unangenehm an, als sich alle im Wohnzimmer des Elternhauses versammeln und direkt unbeholfen Fotos fürs Familienalbum geschossen werden.

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Beide Elternteile unterstützen Sam, einfach ist die Beziehung trotzdem nicht. Die Eltern sind froh, dass er glücklich ist, nachdem sie sich jahrelang grosse Sorgen um ihn machen, weil er so depressiv war. Gleichzeitig müssen sie sich aber teilweise noch daran gewöhnen, dass ihr Kind eine Transition hinter sich hat.

So misgendered Sams Mutter (Wendy Crewson) ihren Sohn einmal aus Versehen und entschuldigt sich, sichtlich beschämt, dafür. Er nimmt es ihr nicht übel. Unter Tränen antwortet sie: «Ich habe dich einfach so sehr vermisst. Ich sehe dich immer noch als mein kleines Mädchen und nenne dich immer noch sie. Dabei will ich nur, dass du glücklich bist. Ich denke daran, wie mutig du bist, dein Leben so zu starten. Ich bin stolz auf dich. Eine Mutter, die sich glücklich schätzen kann.»

Trans sein als Bedrohung

Im Gespräch mit Sams Eltern und Schwestern, die jeweils mit ihren Partnern angereist sind, gibt es viele berührende Momente, die die aufgeladene Beziehung untereinander illustrieren. Etwa als Sams Schwester verstehen will, warum er der Familie den Rücken kehrte und nach Toronto ging – und ihre Wut darüber nicht verbirgt. Sie beobachte, wie sich ihre Eltern konstant Sorgen um Sam machen würden. «Mit geht es gut, ich lebe mein Leben. Aber als es mir am schlechtesten ging, hat sich niemand Sorgen gemacht», sagt Sam. «Deshalb war es so schwierig, nach Hause zu kommen: Es ist hart, an einen Ort zu kommen, wo man sich nicht gesehen gefühlt hat.»

Die Situation im Familienkreis eskaliert, als Sams Schwager transphobe Äusserungen macht und Sam absichtlich mit seinem alten Namen, seinem «Deadname», anspricht. Als Sam seinen Schwager darauf anspricht, reagiert dieser sauer. Er und alle anderen Familienmitglieder wüssten, dass Sam «gerade eine Sache durchmache» und würden sich dem unterwerfen, «es» aushalten, wirft er ihm vor. «Was an mir macht dich so wütend?», fragt Sam. Und trifft es auf den Punkt: «Warum kannst du nicht einfach die Existenz einer Person respektieren? Inwiefern tut es dir weh? Ich sitze einfach nur hier und existiere – und du scheinst, es nicht verkraften zu können.»

Konstante Rechtfertigung

Die Szene am Esstisch beleuchtet Sams Umgang mit Menschen, die als Bedrohung empfinden, dass er trans ist. Es zeigt, wie frustrierend es sich anfühlen muss, konstant (Mikro-)Aggressionen von Menschen ausgesetzt zu sein, die sich über die eigene Geschlechtsidentität lustig machen, sie nicht ernst nehmen, passiv aggressiv darüber spotten oder einen gar beleidigen. Und wie es sein muss, sich selbst ständig dafür verteidigen zu müssen, weil man einfach existiert: Sam kommt immer wieder in eine Erklärungsnot und muss sich für seine Entscheidungen rechtfertigen, weil er trans ist.

Der Moment im Film zeigt auch, wie wichtig Support ist – denn anstatt den Partner von Sams Schwester nach seinen Äusserungen aus dem Haus zu werfen, verlangt die Familie, dass sich alle für das Abendessen zusammenreissen und das Geschehene unter den Teppich kehren. Dem Familienfrieden zuliebe. «Dass man von mir erwartet, hier zu sitzen und so zu tun, als wäre alles okay, ist daneben», sagt Sam, ehe er es ist, der aus dem Haus stürmt. «Familie ist nicht das Wichtigste.»

Ein relevanter Film

«Close to You» zeigt so auch, wie herausfordernd es sein kann, alte Muster innerhalb einer Familiendynamik aufzulösen – selbst wenn die Mitglieder im Kern noch so unterstützend und empathisch sind und es mit dem Gegenüber gut meinen mögen. Support erhält Sam lediglich von seiner ehemaligen Highschool-Freundin Katherine (Hillary Baack), die er auf der Zugfahrt nach Hause wiedertrifft und der er sich wieder annähert.

Obwohl Sam ein mehrdimensionaler Charakter ist, ist es schade, dass man nicht mehr von seinem Leben und Alltag in Toronto sieht: Ein Einblick in seine Arbeit, seinen Freundeskreis oder seine Hobbys bleibt dem Publikum verwehrt. «Close to You» kann man deshalb vorwerfen, Sam als trans Figur zu stark auf diesen Aspekt seiner Identität zu reduzieren.

Trotzdem: «Close to You» zeigt, wie wichtig Repräsentation und eine grosse Vielfalt an Erfahrungen von trans Personen sind, die in Filmen dargestellt werden. Das Drama ist, gerade in einer Zeit, in der Hate Crimes an Mitgliedern der LGBTQI-Community zunehmen, ein relevanter Film, der nicht nur berührt, sondern von dem man viel lernen kann.

«Close to You» startet am 5.9. im Kino