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Charlotte Rampling: «Ich bin Schauspielerin, um etwas über das Leben und mich selber zu lernen»
- Text: Melanie Biedermann
- Bild. Cineworx
Die englische Schauspielerin Charlotte Rampling identifiziert sich in ihrem neuen Film «Juniper» stark mit ihrer Rolle Ruth. Mit uns spricht sie offen über Familienbeziehungen und den Tod.
Charlotte Rampling ist eine Legende. Ganz eindeutig. Die Engländerin schauspielert seit Teenagertagen, gilt als Ikone der Swinging Sixties und wurde später zur Muse einer ganzen Reihe Kreativer, darunter Fotografen wie Helmut Newton und Jürgen Teller oder Regisseur François Ozon. Hier und da schielt die Schauspielerin auch von Arthouse- und Theaterbühnen in Richtung Blockbuster-Kino, zuletzt war sie etwa in Denis Villeneuves Neuauflage von «Dune» zu sehen.
Doch ihr Herz schlage für Charakterrollen, erklärt sie, als wir telefonieren. Diese Parts passen zu Rampling, deren Privatleben zeitweise mehr Schlagzeilen schrieb als ihre Filmkarriere, und das sich oft liest wie ein verheissungsvolles Skript: Die heute 76-Jährige hat zwei Söhne aus zwei Ehen – die erste mit Agent Bryan Southcombe endete nach vier Jahren, die zweite mit dem französischen Komponisten Jean-Michel Jarre, dessen Tochter sie adoptierte, öffnete sich während zwei Dekaden mal mehr mal weniger offiziell. Ramplings letztbekannter Partner Jean-Noël Tassez starb 2015 nach 20 gemeinsamen Jahren an Krebs.
Über den Tod ihrer älteren Schwester Sarah, die 1966 Suizid beging, und schwere Depressionen, die viele Jahre ihr Leben bestimmten, sprach Rampling offen, aber erst einiges später. Geprägt haben sie diese Dinge allemal – auch in der Rollenwahl. Es ist offensichtlich, wenn man ihren aktuellen Film «Juniper» sieht. Darin spielt Charlotte Rampling die ehemalige Kriegsfotografin Ruth, die kurz vor ihrem Tod versucht, ihre Familienverhältnisse zu kitten und sich nach einem letzten Liebhaber sehnt.
Charlotte Rampling, der Film, über den wir heute sprechen, hat auffällig viele Parallelen zu Ihrem Privatleben. Das ist alles kein Zufall, oder?
Nein. Ich wähle Filme und Charaktere, die mich interessieren und zu denen ich mich auf psychologischer Ebene verbunden fühle. Für mich ist das eine sehr organische Sache. Ich bin nicht der Karriere wegen in dieser Branche, Entertainment interessiert mich nicht wirklich. Ich bin Schauspielerin, um Teil von etwas zu sein und etwas zu lernen, über das Leben und über mich selber.
In einem Gespräch mit «The New Yorker» erklärten Sie, dass Sie sich gerne herausfordern und persönliche Grenzen durchbrechen. Ist das immer noch Ihr Ziel?
Ja, absolut.
Ist Ihnen das auch bei der Arbeit an «Juniper» gelungen?
Ja, dass Ruth vor ihrem Tod Erlösung findet, hat mich stark herausgefordert.
Man begegnet Ihrer Figur Ruth als schwere Alkoholikerin, die ein zerrüttetes Verhältnis zu ihrem Sohn hat, der darüber hinaus weit entfernt in Neuseeland lebt. Dorthin reist sie, nachdem sie sich das Bein gebrochen hat. Was danach passiert, ist nur bedingt vorhersehbar.
Ja, sie ging nicht explizit dorthin, um Erlösung zu finden, das ist etwas, das sie im Unbewussten tat. Sie wusste, dass sie sterben wird, und wenn du das weisst, musst du in dich hineinhören. In solchen Momenten braucht man einen Kompass – ohne wird das Sterben zur Qual und als intelligente Frau wollte sie das nicht. Sie wollte mit sich selber ins Reine kommen, mit ihrer Rolle in ihrer Familie, in der Beziehung zu ihrem Sohn und ihrem Enkelkind. Allerdings wusste sie diese Dinge noch nicht, als sie nach Neuseeland ging. Aber das ist ja das Wunderschöne am Leben, dass wir diese inneren Stimmen haben, die uns die Richtung weisen – wenn wir sie denn hören wollen!
«Der Film ist sehr frontal. Es gibt kein Zögern, kein Zimpern»
Vertrauen Sie selber auf Ihre innere Stimme?
Wenn man es nicht tut, blockiert man sich und lebt nur ein Leben, von dem man glaubt, dass man es leben sollte.
Wie ging es Ihnen damit, die Position einer Frau einzunehmen, die weiss, dass sie nur noch eine sehr begrenzte Zeit leben wird?
Auch das war sehr fordernd. Ich dachte aber auch: So wie Ruth würde ich gerne gehen! Ich glaube, Filme wie dieser sind auch dazu da, dass man die Dinge neu denkt. Vielleicht muss ich die Situation selber neu denken, wenn es so weit ist. Ich weiss nicht, was ich dann vorfinden werde. Das ist ja die eine Sache, die niemand weiss.
Was gefällt Ihnen an Ruths Weg und der Art, wie der Film mit dem Thema Tod umgeht?
Der Film ist sehr frontal. Es gibt kein Zögern, kein Zimpern. Ruth kommt in Neuseeland an wie ein Donnerwetter und holt sich, was sie will, auf ihre ganz eigene Art – ohne Höflichkeiten, ohne Manieren: Das wurde alles aus dem Fenster geworfen. Brauchen wir nicht. Natürlich auch aus der Situation heraus, dass sie keine Zeit hat, rumzueiern. Ich mag das sowieso, es ist, wie ich selber lebe.
Sie fühlen sich Ruth in der Hinsicht also verbunden?
Oh ja!
Wünschten Sie sich im Alltag manchmal mehr dieser direkten Art?
In meinem Leben habe ich sie durchaus. Ich bin so aufgewachsen. Mein Vater war im Militär und als ich heranwuchs, galt ganz generell ein anderer Erziehungsstil, ein guter: Es war strikter. Nicht alle in meiner Familie mochten das. Ich mag es. Es ist ein Erziehungsstil, der dich später schützen wird.
«Ich bin Schauspielerin, um Teil von etwas zu sein und etwas zu lernen»
Wie meinen Sie das?
Kinder müssen sich beschützt fühlen, und ein bisschen Ordnung hilft dabei. Ordnung ist ja auch nichts Schlechtes! Wenn man seinen Kindern ein paar Grundregeln vermittelt, macht es am Ende das Leben von uns allen einfacher. Man selber funktioniert auch besser. Ist glücklicher.
Wollen Sie sagen, Sie hätten nie rebelliert?
Oh, ich habe rebelliert. Aber es ist wichtig, dass man weiss, wie man sich wieder sammeln kann. Wenn dir das abhandenkommt, verlierst du dich so richtig.
Gibt es spezifische Regeln, die Ihnen beim Funktionieren helfen?
Dieselben, die ich auch meinen Kindern beibrachte: Du musst anderen Menschen Respekt entgegenbringen und verstehen, dass wir alle gleich sind. Wir mögen mit Hierarchien leben, aber in unserer Menschlichkeit gibt es keine Hierarchien. Bei unterprivilegierten Menschen schaut man nicht einfach weg, man respektiert sich. Das ist etwas Grundlegendes, das man sich immer wieder in Erinnerung rufen muss – aber wir sind ausgeufert! Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich habe nicht den Eindruck, dass der Gesellschaft ein direkterer Umgang untereinander fehlt, aber der gegenseitige Respekt. Vielleicht haben die Menschen auch einfach vergessen, was das Wort Respekt bedeutet.
Woran liegt das Ihrer Meinung?
Es muss einem vorgelebt werden. Wenn sich deine Eltern schlecht benehmen, benimmst du dich wahrscheinlich auch schlecht, oder? Es ist natürlich etwas komplizierter als das, aber es schadet sicher nicht, zu versuchen, seine Kinder mit etwas Anstand auszustatten! (lacht)
Ist es Ihnen als Mutter leicht gefallen, Regeln durchzusetzen?
Als Elternteil will man von seinen Kindern konstant geliebt werden, aber das ist unnatürlich. Und darum geht es auch gar nicht. In erster Linie muss man seine Kinder aufs Leben vorbereiten. Meine Kinder haben ab und zu sicher gedacht: Oh mein Gott, jetzt kommt die schon wieder … immer dasselbe! Heute sagt mein Sohn, dass ihn die Regeln befreit haben. Ich habe ja selber erst viel später verstanden, was mir meine Eltern mitgegeben hatten. Wir reden gerade sehr viel über dieses Thema – warum eigentlich?
Im Film geht es im Kern ja um Familienbeziehungen.
Das stimmt. Absolut. Ich glaube, ich beginne zu verstehen, wie Ruth ihre Ängste und Probleme in den Griff kriegte. Oft ist es einfacher, über mehrere Generationen zu lernen.
Hat sich Ihr Bild von Familie und Elternschaft über die Jahre, die Sie nun selber Mutter sind, gewandelt?
Mutterschaft verändert sich nicht, aber man geht mit seinen Kindern durch Phasen. Man sieht sie als Babys und dann beim Aufwachsen und merkt, dass man dabei selber ebenfalls weiter wächst und neue Schritte in seinem eigenen Leben macht. Das hat grossen Einfluss in Familien, man geht durch alles gemeinsam. Wir hatten furchtbare Zeiten, waren völlig zerstritten, eifersüchtig aufeinander, herzlos und kalt miteinander, aber heute verstehen wir uns. Meine Kinder sind mir so nah wie niemand sonst. Auch wenn wir uns nicht oft sehen, sind sie und meine Enkelkinder Teil von mir und unserem Familienkreis. Dieses Wissen gibt mir ein gutes Gefühl, ich schätze es sehr. Ich habe viel geopfert, aber Mütter müssen das, und letztlich bin ich glücklich und froh, dass wir miteinander sprechen.
Apropos: Ihr Sohn Barnaby ist halb Neuseeländer. «Juniper» spielt in Neuseeland und wurde dort gedreht. Ich nehme an, dass auch diese Verbindung kein Zufall ist.
Nein. Mein erster Mann war Neuseeländer und ich verbrachte vor vielen Jahren einige Zeit dort. Es ist ein sehr aussergewöhnliches Land mit einer aussergewöhnlichen Geschichte. Die Tatsache, dass der Film dort spielt und gedreht wurde, hat tatsächlich zu meiner Entscheidung beigetragen. Obwohl ich eigentlich nicht so weit weg reisen wollte. Ich mag Inseln auch einfach nicht sehr gerne – tatsächlich, obwohl ich auf einer geboren bin! Das ist wohl auch der Grund, warum ich in Frankreich auf dem Festland lebe. Jedenfalls: Die Geschichte war so stark, dass ich den Film nicht «nicht machen» wollte – ich musste ihn machen. Also musste ich mich aufraffen und gehen.
Ihre Barrieren durchbrechen?
Ja! (lacht)
Sonst hat man nicht den Eindruck, dass Sie sich gross aufraffen müssten: Sie scheinen mehr denn je zu arbeiten.
Ich bin neugierig und habe meine Energie zurück. Wenn das einmal nicht mehr so ist, werde ich aufhören müssen. Es wird irgendwann passieren, aber bis dahin arbeite ich.
Sie sagen, die Energie ist zurück. Wann hatten Sie zuletzt keine mehr?
Corona. Da wusste ich nicht, ob ich je wieder arbeiten würde.
Was ging damals in Ihnen vor?
Ich bin eine eigenbrötlerische Person und dachte, ich würde mit der Isolation zurechtkommen. Aber ich merkte, dass ich zwar gern für mich bin und eine Art von Alleinsein mag, aber wenn sich das Alleinsein in Einsamkeit kehrt, ist das eine ganz andere Sache. Mit Einsamkeit kann man nicht leben, sie zermürbt dich früher oder später. Gegen Ende wurde es sehr schwierig für mich – das konstante Getrenntsein … Wir sind schon durch weit schwierigere Zeiten gegangen, aber das hat mir wahnsinnig zugesetzt.
Dazu eine letzte Parallele zwischen Film und Leben: Sam, Ruths Enkel, geht nach dem Tod seiner Mutter durch eine schwierige Zeit. Wie überlebt man so etwas?
Wenn dir eine Reihe schwerer Dinge passieren, bist du natürlich instabil. Und im Fall von Sam würde ich sagen: Wer seine Mutter verliert, wird eine ganze Weile lang instabil sein und sicher mit psychischen Problemen konfrontiert werden. Du wirst nie mehr sein wie zuvor. Du wächst.
«Juniper», der Debütfilm des neuseeländischen Regisseurs Matthew J. Saville, läuft aktuell in ausgewählten Schweizer Kinos.