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Casterin Corinna Glaus: «Ich bin keine Starmacherin!»

Casterin Corinna Glaus: «Ich bin keine Starmacherin!»

Kein wichtiges Filmprojekt in der Schweiz ohne Corinna Glaus. Die Casterin wird jetzt mit einem Award für ihr Lebenswerk geehrt. Ein Interview über Diplomatie, Influencer:innen als Filmstars und Lohnungleichheit im Schweizer Film.

annabelle: Sonst bekommen eher die Schauspieler:innen die Auszeichnungen, wie fühlt es sich an, mit dem «Prix d’honneur» anlässlich der Solothurner Filmtage einmal selbst geehrt zu werden?
Corinna Glaus: Ungewohnt. Aber ich freue mich extrem, vor allem weil es eines meiner Ziele ist, den Beruf der Casterin sichtbar zu machen. Casting ist für viele ein Mysterium.

Sie meinen, alle denken, Sie seien eine «Starmacherin»?
Genau (lacht). Eine furchtbare Bezeichnung und wirklich nicht stimmig. Denn ob jemand ein Star wird, liegt vollkommen an den Schauspieler:innen selbst. Ich kann den Weg bereiten, aber fliegen müssen sie selbst. Wenn sie eine schöne grosse Rolle bekommen, dann müssen sie eine schauspielerische Leistung abliefern, die den Menschen in Erinnerung bleibt. Abgesehen davon haben nur ganz wenige Leute das Zeug zum Star, was auch immer das genau bedeuten mag.

Aber Sie haben doch sehr viele prominente Schauspieler:innen entdeckt. Das können Sie ganz unschweizerisch unbescheiden zugeben.
Ja, es ist schön zu beobachten, dass es doch einige gibt, die national und vor allem auch international Karriere gemacht haben. Das ist eine Freude: Sarah Spale etwa oder Marie Leuenberger, die in «Die göttliche Ordnung» wirklich glänzen konnte. Aber auch Luna Wedler, Ella Rumpf oder Joel Basman.

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«Ich will eine Besetzung gut machen – bis in die letzte Nebenrolle»

Warum sind Sie so gut in Ihrem Job?
Ich habe eine innere Freude und Begeisterung für die Schauspielkunst. Und dann auf jeden Fall Durchhaltevermögen, Casting kann recht langwierig sein. Manchmal muss man komplizierte Umwege machen, weil viele Leute involviert sind und mitreden möchten. Da gebe ich nicht auf, denn eine Besetzung, die ich angefangen habe, will ich gut machen bis in die letzte Nebenrolle.

Haben Sie jemals damit geliebäugelt, selbst auf der Bühne zu stehen?
Nein, ich habe am Theater gearbeitet und Regie geführt, aber der Beruf der Schauspielerin wäre nichts für mich. Ich habe schnell realisiert, dass ich wahrscheinlich weder das Talent noch die Nerven für eine Karriere als Schauspielerin hätte. Es braucht ausserdem die Fähigkeit, bis an seine Grenzen zu gehen und sich fallen zu lassen. Und ich habe die Dinge gerne im Griff.

Wie mächtig ist man als Castingdirektorin?
Mächtig ist nicht das richtige Wort. Man kann Einfluss auf ein Projekt nehmen. Aber es kommt immer darauf an, wie viel Vertrauen die Regie und die Produktion mir entgegenbringen. Und je grösser ein Projekt, je mehr Geld im Spiel ist, umso mehr Leute möchten mitreden. Manchmal leider auch solche, die nicht wirklich wissen, worum es bei einem guten Casting geht. Dann rutscht einem die Besetzung manchmal ein wenig aus den Händen.

Sie haben das Casting in einem Interview mal mit der Pubertät verglichen. Wie meinen Sie das?
Nun, erst gibt es ein Drehbuch, dann klärt man die Finanzierung, dann gibt die Produktion grünes Licht und dann gibt es so einen Moment, in dem sich das Projekt beweisen muss, wenn die Schauspieler:innen zum ersten Mal zusammenkommen. Dann ist plötzlich wieder alles möglich und gerät irgendwie durcheinander. Man muss sich wieder neu zusammensetzen. Das Chaos der Neuorientierung, es ist zwar lustvoll, kann aber auch Stress auslösen – wie die Pubertät eben! (lacht)

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«Influencer:innen sind keine Schauspieler:innen, nur weil sie eine grosse Followerschaft auf Social Media haben»

Wir leben in einer Zeit, in der alle berühmt werden möchten. Wie wichtig ist eine Ausbildung als Schauspieler:in noch?
Talent ist das eine, aber wenn Talent mit einer guten Ausbildung zusammenkommt, dann hat man viel besseres Werkzeug, kann also nicht nur sich selbst spielen, sondern sich auch immer wieder neu erfinden. Es kann schon mal ein Projekt wie die Faust aufs Auge passen, aber das ist selten und mit einer Ausbildung hat man eine viel grössere Chance auf interessante und auch abwechslungsreiche Rollen. Influencer:innen sind keine Schauspieler:innen, nur weil sie eine grosse Followerschaft auf Social Media haben. Es ist eben nicht umsonst ein Beruf.

Aber Sie müssen bei der Besetzung bestimmt auch immer mehr auf die Anzahl Follower auf Social Media achten, oder?
Ja, es wird seitens der Produktionen immer mehr eingefordert. Auch wenn ich meine Bedenken habe, bin ich immer dafür, Leuten eine Chance zu geben. Ich finde es spannend, neue Talente zu entdecken und im Idealfall haben die natürlich auch noch eine grosse Reichweite. Nur hat sich eben oft herausgestellt, dass solche Berühmtheiten keine Hauptrolle tragen können, weil sie zu ich-bezogen sind und den Beruf nicht beherrschen. Das sehen dann die Produktionen zum Glück auch meistens ein. Zumindest hierzulande. In wichtigeren Märkten, etwa in den USA, spielt die Social-Media-Präsenz der Talente eine noch viel grössere Rolle.

Was tun Sie, wenn ein Produzent etwa seine Tochter besetzen möchte, obwohl die überhaupt kein Talent hat?
Es ist ein Klischee, aber es ist mir tatsächlich ab und zu passiert. (lacht) Da muss man sehr diplomatisch sein. Wir lassen die Tochter dann vorsprechen, wie alle anderen auch, und damit erledigt sich der Fall meistens von selbst. Einmal konnte ich aber nichts tun, das war vor einer Ewigkeit: Da hat dann plötzlich die Freundin des Produzenten mitgespielt.

Wenn Sie zurückblicken: Auf welches Projekt sind Sie besonders stolz?
«Platzspitzbaby» von Pierre Monnard war eine grosse Herausforderung, die am Ende sehr gut aufgegangen ist. Oder die Miniserie «Frieden». Und «Heldin», der neue Film von Petra Volpe, der demnächst erscheint.

Spielt KI bereits eine Rolle im Castingprozess?
Ja, da gibt es bereits einige Tools. Man kann ganze Drehbücher einlesen und die KI macht dann Vorschläge für die Besetzung. Das ist aber heikel, weil man so immer mehr in Typisierungen und Klischees verfällt und für Newcomer:innen, von denen es noch nicht so viele Daten gibt, verkleinert sich damit die Chance auf eine Besetzung. Das Casting ist ein «People Business», das wird es immer sein. Es ist auch erstaunlich: Wenn man Live-Castings macht und die Schauspieler:innen nicht per Zoom oder Videocasting vorsprechen lässt, fällt es dem Team bedeutend leichter, zu entscheiden. Man hat einfach viel mehr Informationen, die sich per Bildschirm nicht erschliessen.

«Es gibt mehr Schauspielerinnen als Schauspieler und trotzdem bedeutend mehr signifikante Rollen für Männer»

Sie üben diesen Beruf seit den Neunzigern aus. Wie hat sich die Rolle der Frauen im Filmbusiness – auch hinter der Kamera – im Laufe der Jahre verändert?
Wir sind heute glücklicherweise in den meisten Berufen mehr Frauen an der Zahl, nur die Kamera ist vornehmlich noch ein Männerberuf. Und je mehr Frauen wir sind, umso ausgeglichener die Produktionen – ich bin überzeugt, dass man das auch im Endergebnis spürt. Es ist spannend, aber es ist auch nicht in jedem Fall einfacher, mit Frauen zu arbeiten. Leider gibt es immer noch mehr Schauspielerinnen als Schauspieler und trotzdem bedeutend mehr signifikante Rollen für Männer. Da besteht nach wie vor ein Missverhältnis.

Würden Sie sagen, dass sich die Rollenprofile für Frauen zum Guten entwickelt haben?
Kommen wir immer mehr weg von den Klischees der «Liebhaberin» oder der «Mutter von»? Ja, es gibt schon deutlich mehr Geschichten über und von Frauen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Schweiz immer ein paar Jahre länger braucht als der Rest der Welt, aber die Tendenz ist da.

Wie viel Einfluss können Sie da als Casterin nehmen?
Leider nicht sehr viel, auch was sonstige Diversity angeht – ich kann nur das besetzen, was die Autor:innen ins Drehbuch geschrieben haben.

Wie sieht es mit Diversity-Vorgaben aus, hat sich da etwas getan?
Ja, auf jeden Fall. Manchmal ist es aber auch problematisch, wenn ich merke, dass es nur ein Abhaken einer Quote ist. Wenn alle Hauptrollen weiss besetzt sind und man dann krampfhaft versucht, in den Nebenrollen divers zu sein, ist das eher eine unangenehme Alibi-Aktion.

Warum sind eigentlich die meisten Caster:innen weiblich?
Wir sind Matchmakerinnen zwischen Schauspiel und Regie, müssen diplomatisch sein und gut vermitteln können – ich weiss nicht, ist das eine weibliche Qualität? Es ist aber auch ein Beruf, in dem man nicht sonderlich Karriere macht und nicht wahnsinnig viel Geld verdient – davor schrecken Männer vielleicht eher zurück.

Haben Sie schon mal selbst ein Projekt produziert?
Nein, da habe ich zu grossen Respekt vor. Ich glaube, ich würde relativ schnell bankrottgehen (lacht). Ich habe es noch nie gewagt.

Was würden Sie sich noch für die Zukunft von Schweizer Frauen in Film und Fernsehen wünschen?
Vielschichtige, komplexe Frauenrollen. Und Lohngleichheit – was die Gagen betrifft, klafft noch immer eine riesige Lücke.

Die Solothurner Filmtage feiern dieses Jahr ihr 60. Jubiläum und laufen noch bis zum 29. Januar 2025.

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